Mid-Century Retreat
Restaurierte Moderne: Eine Fünfzigerjahre-Villa in Berkeley erstrahlt in altem Glanz.
Architektenhäuser sind mehr als pure Wohnbauten. Sie sind begehbare Visitenkarten. Dass es nicht zwangsläufig ein Entwurf aus eigener Feder sein muss, um persönlichen Gestaltungswillen auszudrücken, zeigt ein sorgsam restauriertes Mid-Century-Kleinod in Berkeley (Kalifornien).
Lange schon hatte die Architektin Joanne Koch ein Faible für die kalifornische Moderne gepflegt. Als sie 1999 eine Annonce für eine in die Jahre gekommene Villa aus dem Jahr 1952 entdeckte, ergriff sie die Chance. Die Retrowelle hatte zu diesem Zeitpunkt zwar bereits die Möbel- und Interieurbranche fest in im Griff. Doch am Immobilienmarkt war die Wiederentdeckung der Moderne bislang noch nicht angekommen. 365.000 Dollar bezahlte Joanne Koch für diesen ungeschliffenen Diamanten und zog schließlich mit Mann und Tochter ein.
Schichten an Geschichten
Dem einstigen Entwurf des Architekten Roger Lee war in den vorangangenen fünf Dekaden schwer zugesetzt worden. Viele seiner räumlichen Qualitäten sind durch nachträglich Ein- und Umbauten beeinträchtigt oder gar zerstört worden. Doch Joanne Koch zeigte Geduld und versetzte das Haus Stück und Stück in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Unzählige Farbschichten wurden von den holzgetäfelten Wänden abgetragen. Abgehangene Decken wurden entfernt. Und auch der fließende Übergang zwischen Wohnraum und Garten wurde wieder so hergestellt, wie ihn Roger Lee (1920-1981) einmal konzipiert hatte.
Demokratische Moderne
Der Kalifornier mit chinesischen Wurzeln war kein Unbekannter. Über 100 Wohnhäuser hatte er in der Bucht von San Francisco, in Nevada sowie auf Hawaii geplant – und nicht nur Kunden mit prall gefüllten Geldbeuteln im Sinn gehabt. Vor allem kompakte Grundrisse verstand Lee als Herausforderung, was ihm 1949 für sein eigenes Wohnhaus in Berkeley den America‘ Best Small Houses Award einbrachte. In den sechziger Jahren entwickelte er mit Moduflex ein System aus standardisierten Grundelementen, mit dem die damaligen Baukosten auf rund 200 Dollar pro Quadratmeter gesenkt werden konnten. Und obwohl seine Gebäude in den fünfziger und sechziger Jahren regelmäßig publiziert wurden, gilt sein Name heute als Geheimtipp.
Räumliche Erweiterung
Auch das Wohnhaus von Joanne Koch ist mit einer Fläche von 104 Quadratmetern eher überschaubar dimensioniert. Dennoch entsteht kein Eindruck von Enge. Eine raumhohe Verglasung lässt den Wohnbereich mit dem dicht bewaldeten Hang verschmelzen. Die hölzerne Dachkonstruktion unterstützt diesen Effekt. Indem sie vom Eingangsbereich des Hauses in Richtung Garten eine deutliche Neigung nach oben vollzieht, funktioniert sie wie eine riesige Lichtschaufel.
Weil der Platz für ihre Familie dennoch nicht ausreichte, mischte Joanne Koch die räumlichen Karten ein wenig neu. Die frühere Garage wurde in ein Büro umgewandelt. Und im früheren Wäschereiraum im Untergeschoss wurde ein weiteres Schlafzimmer eingerichtet, das dank der Hanglage des Hauses ebenso über eine Fensterfront verfügt. Der Effekt: Das gesamte Erdgeschoss wird mit Ausnahme der Küche vom Wohnbereich bespielt und lässt – ganz wie es Roger Lee beabsichtigt hatte – das Kleine plötzlich ganz groß erscheinen.
FOTOGRAFIE Bruce Damonte
Bruce Damonte