Unter Drachen und Stalaktiten
Himmel, Wald und Erde – das waren die drei Themen, nach denen das Schweizer Architekturbüro OOS AG (Zürich) und die niederländischen Designer Bureau de Bank (Utrecht) die neuen Innenräume der Pensionskasse „Nest“ in Zürich gestalteten. Doch während solch programmatische Stimmungsszenarien bei ungeschickter Umsetzung leicht ins Banale oder Esoterische kippen können, erweisen sie sich hier als praktikable Folien für die äußerst originelle und differenzierte Gestaltung unterschiedlicher Arbeitsanforderungen und deren räumlicher Formgebung.
Die „Nest Sammelstiftung“ ist eine schweizerische Pensionskasse mit ethisch-ökologischer Ausrichtung und entsprechendem Anspruch. Ihre neuen Räumlichkeiten in der Molkenstrasse 21 in Zürich bedurften einer kompletten Überarbeitung und Neuausrichtung sowie der Erweiterung. Das Team aus OOS (Architektur und Innenarchitektur) und Bureau de Bank (Innenarchitektur und Möbeldesign) baute daher nicht nur die von „Nest“ beanspruchten oberen beiden Geschosse des Bestandsgebäudes um, sondern setzte zusätzlich ein weiteres Geschoss auf das Dach. Die Gliederung in die drei metaphorisch verwendeten Begriffe „Himmel“, „Wald“ und „Erde“ ist daher nicht nur eine thematische, sondern auch eine „geografische“: Das Dachgeschoss ist das „Himmelsgeschoss“, darunter liegt der „Wald“ und wieder darunter die „Erde“. Dass alle eingesetzten Produkte und Materialien ökologisch und sozial verträglichen Ansprüchen genügen, versteht sich da fast von selbst.
Erde statt Erdgeschoss
Das unterste von der Pensionskasse genutzte Geschoss befindet sich im vierten Stock des Bestandsbaus: die „Erde“. Hier wird die eigentliche Büro- und Verwaltungsarbeit erledigt, hier wird – um in der Bildsprache der Architekten zu bleiben – „geackert“. Dabei sind es zwei Setzungen, die die Innenarchitektur dieses Stockwerks bestimmen: Zum einen sollte der Raum möglichst offen und großzügig wirken, um der niedrigen Deckenhöhe entgegen zu wirken. Die Hauptmöblierung, die aus Aktenschränken besteht, wurde daher in der Mittelachse des Geschosses konzentriert. Von hier aus „zweigen“ die einzelnen Doppelarbeitsplätze ab. Bis auf zwei abgeschlossene Zimmer ist die gesamte Etage offen. Zum anderen war hier sehr viel Stauraum unterzubringen. Um die Raumwirkung nicht zu beeinträchtigen und möglichst auf Trennwände zu verzichten, entwickelten die Architekten ein Möblierungssystem aus „Stalaktiten“ und „Stalagmiten“.
Als „Stalagmiten“ werden die seitlichen, halbhohen Regalelemente aus lackiertem Birkensperrholz bezeichnet, die die Doppelarbeitsplätze an der Stirnseite begrenzen. Die „Stalaktiten“ hängen von der Decke herab, sie sind gleichzeitig Raumteiler zwischen den Doppeltischen, bieten Sichtschutz und Stauraum. Ihre transparenten, farbigen PET-Rückwände (Dreiform) orientieren sich an warmen Rot-, Orange- und Brauntönen, die für dieses Geschoss konzeptionell vorgegeben sind und sich beispielsweise auch an den Schranktüren wieder finden. Ein Akustikspritzguss aus Zellulose (Sonar-Spray) und ein Teppichbelag sorgen trotz der großen Offenheit für eine akustisch gedämpfte Atmosphäre, die von den gepolsterten FS-Arbeitsstühlen des Möbelherstellers Wilkhahn ergänzt wird. Für das informelle Gespräch unter Kollegen oder als temporäre Ablage eignet sich ein über die gesamte Raumlänge reichendes Sideboard an der Fensterseite, in dem auch die Heizkörper verschwinden; das Baumaterial ist hier eine verleimte Collage aus heimischen Hölzern.
Durch Gräser schauen
Während das „Erde-Geschoss“ recht geradlinig organisiert ist, spielt der darüber liegende „Wald“ mit Brüchen in der Orthogonalität. Schon beim Betreten – in dieser Etage befindet sich der repräsentative Eingag der Pensionskasse – steht man einem skulptural-dynamisch geformten Tresen gegenüber, der gleichzeitig als Sitzgelegenheit für Besucher dient. Auch die dahinter liegende Wendeltreppe ergänzt den Raum um ein organisches Element und verweist gleichzeitig auf das Dachgeschoss. Der Fußboden dieses Geschosses ist konzeptkonsistent mit Bambus-Parkett ausgelegt, aus dem der Tresen „herauswächst“.
Das „Wald“- und Pflanzen-Thema wurde hier auch in die Vertikale übersetzt: Eine halbdurchsichtige Glas-Trennwand mit Grasmotiv lässt als Raumteiler die hinter dem Empfangsbereich liegenden Arbeitsbereiche erahnen. Letztere sind in kleineren und größeren Gruppen angeordnet; auch wurden hier wieder die von der Decke hängenden Stauraumelemente eingesetzt. Hier haben sie transparente Rückwände in verschiedenen Grüntönen, die zusammen mit den ebenfalls in Grün gehaltenen Trennwänden beziehungsweise Schranktüren das Leitmotiv „Wald“ vor allem in der Lichtstimmung erfahrbar machen.
Neben der Wendeltreppe als verbindendes vertikales Element gibt es eine weitere Besonderheit auf dieser Etage: Ein kleiner innenliegender Besprechungsraum, dessen raumhohe Glaswände mittels lichter grüner Vorhänge zum Flur abgeschirmt werden können, wurde mit einem Oberlicht zum „Himmelsgeschoss“ ausgestattet. Auch die Bestuhlung mit den von Eames entworfenen DSW-Stühlen gibt dem Raum eine lockerere Atmosphäre und verweist auf die im Dachgeschoss eingesetzten Sitzgelegenheiten. Die „optionale Offenheit“– oder auch optionale Intimität –, die sich durch das Öffnen und Schließen der Vorhänge herstellen lässt, ist ein Thema, das OOS bereits in ihren eigenen Büroräumen erprobt haben.
Himmel über Zürich
Das Dachgeschoss ist ganz den gemeinschaftlichen Anlässen und der Kommunikation gewidmet: In dem großen Konferenzraum mit seinem eigens für die Stiftung entworfenen, polygonalen Tisch mit Corian-Oberfläche und der DCW-Bestuhlung kann man den Blick über die Dächer Zürichs schweifen lassen. Hier und in der angrenzenden Cafeteria mit ihren Tischgruppen und Morph-Holzstühlen (Zeitraum) wählten die Architekten eine raumhohe Verglasung und schwellenlose Übergänge zur holzbeplankten Dachterrasse. Der auf der Rückseite des Gebäudes angeordnete Arbeitsraum hat dagegen ein großes Panoramafenster für einen gerahmten Blick über die Stadt.
Im Dachgeschoss stehen weiße und blaue Töne für die Farben des Zenit: Der Fußboden aus himmelblauem und türkisfarbenem Polyurethan bildet einen schönen Kontrast zu den Holzstühlen und -untergestellen sowie den weißen und den mit Holz beplankten Wänden und Türen. Ein dunkelblauer Vorhang setzt einen kräftigen Akzent. Als Lichtquelle und Blickfang entwarf das holländische Bureau de Bank zudem spezielle Leuchten, die sie „Kites“, also „Drachen“, nennen: Die mit Fallschirmseide bespannten Drahtkonstruktionen, in der Leuchtstoffröhren als Lichtmittel dienen, wirken ein wenig wie sphärische Raumobjekte. Im „Himmelsgeschoss“ ist also alles bereit zum Abheben...
FOTOGRAFIE Bureau de Bank
Bureau de Bank