Arbeiten im White Frame
Für fünf Jahre hat das Zürcher Architekturbüro OOS – Open Operating System – ein ausgedientes Laborgebäude im Szenebezirk Züri West angemietet. Das ehemalige Gewerbequartier hat sich in den letzten Jahren zum florierenden Kultur- und Ausgehviertel entwickelt. Doch die Zukunft des Gebäudes ist ungewiss. Vermutlich wird es in fünf Jahren abgerissen. Was macht man aber mit einem Raum, den man nur für einen kurzen Zeitraum bespielen darf? Nutzt man die Zeit zum Experimentieren oder entscheidet man sich für Pragmatismus? OOS versucht beides und hat dabei originelle Office-Ideen entwickelt, die nur auf rege Nachahmer zu warten scheinen.
Wie in den meisten entwidmeten Industriegebieten waren auch in Züri West die Künstler, Schauspieler und Kreativen als erste da, um es für sich zu nutzen. Mit ihnen kamen die Galerien und Clubs, dann die Cafés – und kurze Zeit später auch die Touristen. Seit einigen Jahren gibt es hier das größte Sprechtheater der Schweiz im „Schiffbau“, zwei Museen, zig Shops – unter ihnen der inzwischen Designpreis-gekürte Freitag-Taschen-Tower – mehr als ein halbes Dutzend Galerien, eine rege Tanz- und Filmszene, über zwanzig Clubs und Bars, noch mal genauso viele Restaurants – und mittendrin das Laborgebäude, in dem die hier vertretene Kreativszene erneut als Mikrokosmos auftaucht: Neben dem Architektur-, Design- und Konzeptbüro OOS logieren hier die Rialto-Film AG und der Musiker Nik Bärtsch. Zudem haben OOS im Untergeschoss des Gebäudes den Club „Exil" ausgebaut, der an fünf Tagen in der Woche Live-Musik spielt sowie Clubbing zelebriert – und an dessen Betreibergesellschaft sie ebenfalls beteiligt sind.
Doch auch die Investoren haben Züri West längst für sich entdeckt – die Bautätigkeit brummt. Unter anderem entsteht hier der Schweiz höchstes Hochhaus – der Prime Tower, geplant vom Architekturbüro Gigon Guyer. Inzwischen gibt es sogar, ähnlich wie in den neunziger Jahren in Berlin am Potsdamer Platz, ein Info-Center, das über alle Bauprojekte informiert.
Farbe als Zeichen
Ein Ziel beim Um- und Ausbau des Laborgebäudes zum „Kreativhaus“ mit Office-Bereichen war es, das Haus ohne großen Aufwand den unterschiedlichen Nutzern anzupassen. Analog zum museumsspezifischen Begriff des „White Cube“ wollte man eine Art „weißen Raum“ als Frame für die neue künstlerische Ausrichtung des vormals industriell und gewerblich geprägten Ortes schaffen. Die Räume sollten möglichst abstrakt wirken, zudem wünschte sich OOS ein wenig Glamour. Der gezielte Einsatz von Farbe wurde zum bestimmenden Gestaltungswerkzeug. So wird das lilafarbene Treppenhaus vom anonymen Nutzraum zur Zeichen setzenden Eingangsgrotte: Die Farbe strahlt in den Straßenraum und sorgt dort für Aufmerksamkeit, weil dieser sonst hauptsächlich von Primärfarben dominiert wird. Nebenbei schluckt der aufgetragene Putz den Schall und vermindert so die Halligkeit des Treppenhauses.
Arbeiten ganz in Weiß
Die Arbeitsbereiche wurden dagegen komplett in Weiß gehalten: nicht nur Wände und Decken, sondern auch der Boden. Dabei erhielt letzterer eine Sonderbehandlung, denn in den neuen Polyurethanboden wurden Goldpartikel eingestreut, die wie feiner Goldstaub wirken. Je nach Lichteinfall erscheint der Boden nun wie eine dunkle Wolke oder hell glitzernd, vor allem ist er dadurch aber pflegeleichter. Auch die Wände sind nicht einfach Weiß, wurden sie doch mit Magnetfarbe gespachtelt und dienen gleichzeitig als riesiges Flipchart. Daneben gibt es noch ein interaktives Whiteboard, das sowohl als Tafel, Pinboard oder Projektionsfläche genutzt werden kann.
Der ungewöhnlichste Raum im neuen Studio ist jedoch zweifellos der Arbeitsraum: „Großraumbüro oder Bankettsaal?“ fragt man sich unwillkürlich beim Anblick des riesigen Tischs, der die Länge des gesamten Raums einnimmt. Hier wird gezeichnet, geschrieben, gebaut und entwickelt; hier kommen alle Mitarbeiter des Büros zusammen: Städteplaner, Architekten, Szenografen und Designer. Auch die flache Hierarchie des Unternehmens wird durch den gemeinsamen Tisch symbolisiert. Gleichzeitig wird der Individualität des Einzelnen Raum gegeben: Neben Schweizern arbeiten hier Menschen aus vierzehn weiteren Nationen von Argentinien über Kuwait bis Thailand, auch das Interessenspektrum ist vom professionellen Handballspieler über den Computerfreak bis zum Poetry-Slam-Poeten sehr vielfältig – und darf sich hier abbilden. Die umgebenden Wände zeigen daher nicht nur den Arbeitsprozess, sondern werden auch durch private Mitbringsel bespielt: So hängen Kinderzeichnungen neben Terminplänen, Gedichte neben Visualisierungen und Einladungen neben Modellfotos.
Rückzug und Gespräch
Für die Besprechung im kleinen und größeren Kreis sowie das Kundengespräch sind insgesamt vier weitere Räume vorhanden, deren Möblierung jeweils die Gesprächsdauer und -intensität widerspiegelt: Zum Beispiel gibt es ein kleineres Zimmer mit Stehtischen und Hockern von Konstantin Grcic für Kurzbesprechungen und Telefonkonferenzen. Ein heller Raum mit gut sortiertem Bücherregal, Küche und bequemen Sitzmöbeln von Patricia Urquiola ist das kommunikative Herz des Unternehmens. Er dient sowohl als kleine Bibliothek als auch als Ort für die wöchentlichen Warm-up-Meetings. Hier gibt es einen Zugang zur Außenterrasse mit Besprechungsbereich und Grillmöglichkeit, hier kann man den Blick auf den benachbarten Schiffbau genießen. Alle Tische wurden von den Architekten selbst entworfen, ihre polygonale Geometrie erlaubt dabei das Zusammenstellen von ungewöhnlichen Tischgruppen je nach gewünschter Arbeits- oder Gesprächssituation. Zudem sind sie so stabil gestaltet, dass man sowohl daran sitzen als auch darauf laufen und stehen kann. Auch die goldfarbenen Papierkörbe sind eine Eigenproduktion des Büros, deren Farbgebung man schon fast psychoanalytisch interpretieren könnte ... Im Erdgeschoss befindet sich der Raum, der die größte Abgeschiedenheit ermöglicht: Durch einen schwarzen Vorhang lässt er sich in eine kreative Höhle verwandeln, in der man sich vor akustischen und visuellen Immissionen abgeschirmt zurückziehen oder unterhalten kann. Platz bieten dabei die Stühle der Serie Thonet 404 von Stefan Diez.
Ein eher nüchterner großer Raum mit einem langem Glastisch (der übrigens aus dem Nachlass des russischen Baletttänzers Rudolf Nurejew stammt), Akustikplatten an den Wänden, Blick auf die Autobahn und einer Stool-One-Bestuhlung wird für kleinere Meetings und Kundengespräche genutzt. Dass die Wortmarke des Unternehmens OOS von dort aus betrachtet zum Wort „ZOO“ wird, zeugt von einer gesunden Portion schmunzelnd zur Schau getragener Selbstironie.
FOTOGRAFIE Dominique Wehrli, OOS
Dominique Wehrli, OOS