Am Puls der Stadt
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Kreis 5. In Zürich weiß jeder, was damit gemeint ist: Im ehemaligen Industriequartier – auch Zürich West genannt – tobt das Leben, jedenfalls für Schweizer Verhältnisse. Ein paar Kilometer entfernt von nobler Bahnhofstraße, See und pittoresker Altstadt befindet sich dieses Stadtgebiet mitten im Umbruch. Hier entwarf das Büro Kyncl Gasche Architekten Partner die Großüberbauung "Puls 5", während Rossetti + Wyss Architekten dort das Interieur eines Lofts gestalteten.
Spätestens seit die Gebrüder Freitag – ja genau, die Taschen-Brüder! – ihre Hamburger Überseecontainer an der Geroldstraße übereinander gestapelt haben und daraus einen coolen, über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Shop mit Aussichtsplattform gemacht haben, dürfte klar sein, was dem Stadtteil blüht. Wie auch in anderen Metropolen wird sich die kreative Szene, die finanziell bescheiden ausgestattet ist, wohl bald nach einem neuen Ort umsehen müssen. Denn überall im Kreis 5 sind Neubauprojekte im Entstehen, werden alte Gebäude entweder abgerissen oder luxussaniert. Für den kleinen Geldbeutel ist dann kein Platz mehr.
110 Jahre Schweizer Industriegeschichte
Das Schweizer Maschinenbau-Unternehmen Escher, Wyss & Cie. begann 1891 mit dem Bau einer neuen Fabrik auf einem 17 Hektar großen Brachland, das damals noch weit vor den Toren Zürichs gelegen war. Heute liegt es mitten im (Bau-)Geschehen. Denn anders als in den anderen Quartieren der größten Schweizer Stadt befindet sich der Kreis 5 im Umbruch. Als die Industrie in Zürich West in den 1970er Jahren an Bedeutung verlor, wurde das Escher-Wyss-Gelände schrittweise neuen Nutzungen zugeführt. So entstanden Büros, Wohnungen, Kultur, Freizeit- und Dienstleistungsprojekte. 1995 wurden dann auf Grundlage des kantonalen Richtplans und des privaten Gestaltungsplans Escher Wyss der Turbinenplatz und neue Großprojekte wie „Puls 5“ entwickelt.
Von der Gießerei zum Loft
Die Großüberbauung „Puls 5“, die an den 14.000 Quadratmeter großen Turbinenplatz grenzt, ist rund um eine Gießereihalle aus dem Jahr 1898 konstruiert. Sie dient als Erschließungshalle für den Komplex. Die 3.500 Quadratmeter große Halle – die glücklicherweise weitgehend erhalten blieb – ist Standort für diverse Geschäfte und Gastronomie und wird auch als Ort für temporäre Events genutzt. Während die unteren vier Geschosse des Baus verschiedene Dienstleistungsunternehmen beherbergen, dienen die oberen drei, weit auskragenden Geschosse dem Wohnen: Hier sind insgesamt 102 Wohnungen und Lofts entstanden. Sämtliche Wohnungen sind mit raumhohen Fenstern ausgestattet und über eigene Treppenhäuser und einen Lift mit den Garagen verbunden.
Wohnen ohne Grenzen
120 Quadratmeter Fläche misst das Loft, das Rossetti + Wyss Architekten für einen privaten Auftraggeber ausbauten. Wände und Decke sind in kargem Sichtbeton gehalten. Die Aufgabe bestand darin, den großen Raum in die Bereiche Kochen, Essen, Wohnen, Schlafen und Baden zu unterteilen, dabei aber trotzdem die räumliche Einheit zu wahren. Zudem sollten zwei separate Nasszellen eingebaut werden. Für eindeutige Zonierungen wurden dunkle Intarsien in das weiß geölte Eichenparkett gelegt und präzis gesetzte Einbaumöbel in Wenge-Furnier geschaffen.
Kochlandschaft
Die Küche ist in die Wohnlandschaft des Lofts integriert, wurde also speziell für diesen Raum maßgefertigt. Betritt man die Wohnung, dann liegt der Küchenraum gleich gegenüber. Er besteht aus drei Elementen: einer Rückwand mit Kochnische, einer Waschinsel und der Bar mit einem Multimediapaket von CD, DVD, TV und Licht. Im Material korrespondiert die Küche mit den anderen Einbauten, denn auch sie ist mit Wenge furniert. Die Arbeitsflächen bestehen aus poliertem Chromstahl mit eingelassener Spüle, was eine angenehme Kombination mit dem Holz des Möbels und der rauen Betonoptik ergibt. Um die Türen zu öffnen, benutzt man – ganz minimalistisch – entweder Griffnut oder Druckschnäpper. Die Küchengestaltung von Rossetti + Wyss Architekten zeichnet sich durch eine formale Reduktion aus, die die gesamte Gestaltung des Lofts durchzieht. So viel Reduktion hat ihren Preis: 1,2 Millionen Schweizer Franken.
FOTOGRAFIE Jürg Zimmermann, Zürich
Jürg Zimmermann, Zürich
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