Ziegelstein und Hefe
Hannes Peer gestaltete die Bäckerei Signor Lievito in Mailand
Backen ist wie Magie: Aus gerührten Zutaten entstehen im Ofen köstliche Meisterwerke. Wie deren Wirkung über die Geschmacksknospen hinausgeht, zeigt die Bäckerei „Signor Lievito“ in Mailand. Das Interieur von Hannes Peer setzt auf eine modernistische Liaison aus Terrakotta und Birkenholz.
Eine Bäckerei ist mehr als ein gewöhnliches Geschäft. Sie kann sich zum Treffpunkt für die Nachbarschaft entwickeln und einen Ort des Austauschs definieren. Wie das funktioniert, ist in der Via Maestri Campionesi in Mailand zu sehen. Baguette, Roggenbrot und apulische Focaccia werden bei Signor Lievito ebenso gebacken wie Zimtschnecken oder Mohngebäck. Der Name der Bäckerei verweist auf die Grundzutat, eine 120 Jahre alte Mutterhefe. „Der Besitzer eines alten Ofens in San Giorgio a Cremano in Kampanien hat sie mir geschenkt“, sagt Natalia Nikitina.
Neue Perspektive
Die gebürtige Lettin hat in Mailand als Modell gearbeitet und während des ersten Lockdowns mit dem Backen angefangen. Zuerst für ihre Familie, bald schon für ihre Freund*innen und schließlich für die ganze Nachbarschaft. Denen haben die Teigwaren so sehr gemundet, dass sie Natalia Nikitina ermutigten, die neue Leidenschaft auf eine professionelle Ebene zu heben. Das Leben verläuft nun in einem anderen Rhythmus. „Ich wache jetzt jeden Morgen vor Sonnenaufgang auf, um die Öfen anzustellen und den Teig vorzubereiten“, erklärt Natalia Nikitina. Sie hat den beruflichen Wandel an einem neuen Ort vollzogen: einer Bäckerei, die vom Südtiroler Architekten Hannes Peer eingerichtet wurde.
Treffpunkt statt Kaufpunkt
Der Wahl-Mailänder ist für sie kein Unbekannter. Seit zehn Jahren gestaltet er die Boutiquen des Modelabels N°21, dessen Geschäftsführer der Ehemann von Natalia Nikitina ist. Zudem hat Hannes Peer die Wohnung des Paares renoviert, die nur einen Steinwurf von der neuen Bäckerei entfernt liegt. Die Vorgabe war eindeutig: Es sollte ein einladender Ort zum Verweilen sein, was in Mailand eher untypisch ist. Kaffee und Croissant werden am Morgen in Espresso-Bars eingenommen, schnell und im Stehen. Aber niemand käme auf die Idee, sich hinzusetzen, was allein aus räumlichen Gründen oft nicht möglich ist. Hier sollte etwas anderes entstehen: ein Hybrid aus Bäckerei und Café, wo die Nachbar*innen miteinander plauschen können. Kurzum: ein Ort sozialer Interaktion.
Verbindende Materialität
Inspiration lieferte das Apartment der Bäckerin. „Im Wohnzimmer gibt es einen großen, gemauerten Kamin. Natalia bat mich, die gleiche Materialität zu verwenden und so ein Stück ihres Zuhauses mit an den Arbeitsplatz zu bringen“, sagt Hannes Peer. Die gebrannten Steine sind ein Sinnbild für das Backen selbst. Daher kommen sie nicht nur punktuell, sondern in raumgreifenden Dimensionen zum Einsatz: an den Wänden und auf dem Boden im Innenraum. Aber auch an der Außenfassade senden die matten, unglasierten Fliesen von Fornace Bernasconi einen warmen Schimmer in den Stadtraum hinaus.
„Wir wollten eine Osmose zwischen Innen und Außen erzeugen“, so der Architekt. Das zeigt sich auch bei der Möblierung. Unterhalb des großen Schaufensters ist eine Bank in die Fassade eingelassen. Sitzfläche und Rückenlehne sind ebenso mit Terrakotta-Fliesen verkleidet, deren Farbigkeit von flachen Sitzkissen aufgegriffen wird. Sie senden eine Einladung, für einen Moment Platz zu nehmen und der Hektik des Alltags zu entfliehen.
Interieur nach Maß
65 Quadratmeter misst der Innenraum im Erdgeschoss. Hinzu kommt ein 30 Quadratmeter großer Keller. An die Rückseite der Schaufensterbank schließt eine gepolsterte Sitzfläche an, die mit zahlreichen Kissen bestückt ist und eine warme, wohnliche Facette einbringt. Die Polsterbank vollzieht einen 90-Grad-Knick und erstreckt sich bis in die Tiefe des Raums. Mit Terrakotta-Fliesen verkleidete Tische dienen als Unterlage zweier Schirmleuchten von Vintage-Märkten. Sämtliche Einbaumöbel sowie die hölzernen Stühle und runden Bistrotische sind eigens für das Bäckerei-Café entworfen und maßgenau angefertigt worden.
Oberhalb der Polster ziehen vier Bilder die Blicke auf sich, die Hannes Peer in Acryl auf Leinwand gemalt hat. Sie bilden ein durchgehendes Motiv, das Menschen entspannt beim Sonnenuntergang am Strand zeigt. Die feinen Konturen lassen entfernt an die Wandzeichnungen Le Corbusiers denken. Sie sind eine Ode an die Moderne. Dasselbe gilt für jene Wände, die nicht mit Terrakotta-Fliesen verkleidet, sondern weiß verputzt sind: „Sie sind eine Anspielung auf die kalifornische Moderne, die eine ständige Inspirationsquelle für alles ist, was ich mache“, sagt Hannes Peer.
Gläserne Backstube
Links vom Eingang folgt der Tresen. Der Unterbau ist mit Terrakotta-Fliesen verkleidet, sodass ein fließender Übergang zum Boden entsteht. Darüber spannt sich eine Ablage aus hellem Birkenholz hinweg. Die Brote werden in einer Vitrine aufbewahrt – auf weißen Marmor-Flächen ruhend wie Schmuckstücke. In einem offenen Wandregal aus Birkenholz werden weitere Backwaren in geneigter Position präsentiert. Rechter Hand der Kasse fallen die Blicke durch ein Fenster mit vorgelagertem Gitterwerk aus Birkenholz direkt in die Backstube. Hier wird nichts versteckt. Und doch behält der Ort sein größtes Geheimnis für sich: Es sind die Rezepturen, deren Wirkung dann zutage tritt, wenn die Teigwaren auf der Zuge zergehen.
FOTOGRAFIE Helenio Barbetta Helenio Barbetta
Name | Signor Lievito |
Typologie | Bäckerei, Café |
Adresse | Via Maestri Campionesi 26, 20135 Mailand, Italien |
Öffnungszeit | Montag bis Freitag 08:00-19:00h, Samstag 8:00-13:30h |
Entwurf | Hannes Peer |
Zeit | 2021-2022 |
Größe | 65 Quadratmeter Erdgeschoss, 30 Quadratmeter Keller |
Terrakotta-Fliesen | Fornace Bernasconi |