Projekte

„Material mit Identität behält immer seinen Wert“

Restaurant Kramer in Berlin-Neukölln von Thilo Reich

Ästhetische Präzision: Der Architekt Thilo Reich hat das Berliner Restaurant Kramer mit gebrauchten Materialien wie Gehwegplatten und Betonsteinen eingerichtet – und einen Einblick in die Geschichte des Hauses geöffnet.

von Jasmin Jouhar, 28.04.2025

Der erste Eindruck? Typisch Berlin! Die Räume des Restaurants Kramer im Stadtteil Neukölln sind dunkel gehalten, es dominieren Schwarz und Grau, kantige Möbel und viel Metall. So könnte auch ein Club aussehen. Wie viel Berlin aber tatsächlich in der Innenarchitektur steckt, offenbart sich erst auf den zweiten oder dritten Blick. Denn der Architekt und Designer Thilo Reich hat einen guten Teil der Inneneinrichtung des Restaurants aus gebrauchten Materialien und Möbeln gestaltet, und das meiste davon kommt aus Berlin. So bestehen die Theken im Restaurantbereich aus ehemaligen Gehwegplatten und die Wände sind teilweise mit alten Industriefliesen verkleidet, wie man sie aus Berliner Hinterhöfen kennt.

Fundstücke mit Geschichte
„Die Materialien stammen oft von umzubauenden Bestandsgebäuden“, sagt Thilo Reich. „Ich halte die Augen offen, wenn in der Stadt etwas umgebaut wird – da findet sich einiges Spannendes.“ Das Restaurant befindet sich an einer Straßenecke, im Ladengeschäft eines Altbaus, und wird von dem Namensgeber Fabian Kramer geführt. Das Konzept: Die meisten Gerichte werden direkt auf dem offenen Feuer zubereitet. Entsprechend bilden eine offene Feuerstelle und ein großer Grill den Mittelpunkt des Lokals.

Klare Ästhetik
Mit bereits Gebrauchtem zu bauen und einzurichten, ist ganz auf der Höhe des Zeitgeists. Dennoch unterscheidet sich das Restaurant Kramer von anderen Re-Use-Projekten, weil es nicht den Secondhand-Look feiert. Das Interieur sieht weder selbst gebastelt noch bunt zusammengewürfelt aus. Im Gegenteil: Es hat etwas Glattes, Präzises an sich, das einen kühlen Kontrast bildet zum offenen Feuer. Diese Ästhetik verdankt sich der Sorgfalt, mit der Thilo Reich die gefundenen Materialien bearbeitet hat. Die Gehwegplatten werden geschnitten und poliert, bis das Terrazzomuster schön hervortritt, und dann exakt zusammengefügt. Ebenso die Betonformsteine, auch bekannt als „Knochen“: Fein säuberlich geschliffen, bilden sie jetzt den Tresen im Barbereich. Die Tischplatten bestehen aus Parkettstücken, die einheitlich dunkel gebeizt sind.

Gestalten mit Patina
Für die Türrahmen und Barfronten hat der Berliner Sperrholz upgecycelt und ebenfalls eingefärbt. Als Stühle und Barhocker fungiert ausgemustertes Schulmobiliar aus Tschechien. Die Beine hat Reich jeweils auf die richtige Höhe verlängern lassen. „Die elegante Integration alltäglicher Materialien lenkt die Aufmerksamkeit auf die oft übersehene Schönheit ihrer Muster und Strukturen und enthüllt verborgene Geschichten von Produktion, Handwerkskunst und Kultur, die in ihnen stecken“, sagt der Architekt. Bereits Gebrauchtes zu verwenden, hat allerdings auch seinen Preis: „Es ist natürlich ein Mehraufwand, die Elemente zu reinigen oder von altem Mörtel zu befreien – Arbeit, die keiner mehr machen möchte, da neue Produkte oft günstiger sind“, so Thilo Reich weiter. „Aber der Mehrwert zeigt sich dann später in der gleichmäßig abgenutzten Optik, Haptik und Patina.“

Material mit Identität
Den Blick für die Qualitäten der alltäglichen Materialien hat Thilo Reich auch durch seine gestalterischen und künstlerischen Arbeiten geschärft. So verarbeitet der Architekt alte Steine und Platten zu Möbelstücken weiter. Kürzlich hat er etwa die Tischserie The Undercurrents auf der Messe Collectible in Brüssel gezeigt. Bei der Vienna Design Week im vergangenen Jahr wiederum waren Objekte aus der Serie Double T zu sehen, hergestellt aus geschnittenen und neu zusammengesetzten Betonformsteinen. Hinter all diesen Projekten steht für Reich das Prinzip: „Material mit Identität behält immer seinen Wert“.

Hommage an das Gebäude
Ein Großteil der Materialien im Restaurant Kramer sei so verbaut, dass sie in einem dritten Zyklus wiederverwertet werden könnten. Reich hat aber auch die Geschichte des Neuköllner Altbaus selbst sprechen lassen, mit zwei Glasreliefs aus seiner Serie Temporal Imprint, die die Gasträume des Kramer schmücken. Dafür legt er jeweils einen kreisrunden Wandausschnitt frei bis auf das tragende Ziegelmauerwerk und formt das Relief der Ziegel und Fugen mit Silikon ab. Daraus stellt er eine Gussform her, in die schließlich das Glas gegossen wird. Den so entstandenen gläsernen Wandabdruck hängt Reich direkt über den ursprünglichen Ausschnitt – wie eine verblassende Erinnerung, die das Vergangene überlagert.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Entwurf

Thilo Reich

www.thiloreich.com

Projekt

Kramer Berlin

kramerberlin.com

Mehr Projekte

Aalto forever

Fyra gestaltet den Besucherbereich der Finlandia-Halle von Alvar Aalto in Helsinki neu

Fyra gestaltet den Besucherbereich der Finlandia-Halle von Alvar Aalto in Helsinki neu

Handwerk statt Hektik

Das Designstudio loeserbettels gestaltet die Nomad Bakery in Chemnitz

Das Designstudio loeserbettels gestaltet die Nomad Bakery in Chemnitz

Genuss unter Freunden

Restaurant Ninyas in Mexiko-Stadt von Ignacio Urquiza Arquitectos

Restaurant Ninyas in Mexiko-Stadt von Ignacio Urquiza Arquitectos

Ein Eiscafé wie ein Dessert

Das Affogato von kaviar:collaborative in Mumbai

Das Affogato von kaviar:collaborative in Mumbai

Feuer und Fermentation

Koreanisches Restaurant Odem in Singapur von Nice Projects

Koreanisches Restaurant Odem in Singapur von Nice Projects

Geschichtsträchtige Oase

Parkhotel Mondschein mit Bar und Restaurant Luna in Bozen von Biquadra

Parkhotel Mondschein mit Bar und Restaurant Luna in Bozen von Biquadra

Alternative zum Büro

Kafeterija in Belgrad von KIDZ

Kafeterija in Belgrad von KIDZ

Wohnliche Aussichtstürme

Elva Hotel in Norwegen von Mange Bekker Arkitektur

Elva Hotel in Norwegen von Mange Bekker Arkitektur

Gestaltung in Gewürztönen

Restaurant-Interior für das Hamburger Authentikka von Studio Lineatur

Restaurant-Interior für das Hamburger Authentikka von Studio Lineatur

Meer auf dem Teller

Restaurant Hav & Mar von Atelier Zébulon Perron in New York City

Restaurant Hav & Mar von Atelier Zébulon Perron in New York City

Digestif in der Raumkapsel

Restaurant Kinkally mit Kellerbar von Da Bureau in London

Restaurant Kinkally mit Kellerbar von Da Bureau in London

Geschmackvolle Pausenräume

Kantinen und Cafeterien mit Aufenthaltsqualität

Kantinen und Cafeterien mit Aufenthaltsqualität

Zwischen Himmel und Fjord

Schwimmendes Restaurant Iris in Norwegen von Norm Architects

Schwimmendes Restaurant Iris in Norwegen von Norm Architects

Rot und roh

Rum-Bar Campana del Rey in München von Buero Wagner

Rum-Bar Campana del Rey in München von Buero Wagner

Harte Schale, weicher Kern

Keyu Café von Fabian Freytag am Berliner Tacheles

Keyu Café von Fabian Freytag am Berliner Tacheles

Gestaltung mit Rhythmus

Bursa Bar in Kiew mit japanischen Stilreferenzen von Nastia Mirzoyan

Bursa Bar in Kiew mit japanischen Stilreferenzen von Nastia Mirzoyan

Mit Stil und Textil

COCC. hat das traditionsreiche Seegerhaus in St. Gallen restauriert

COCC. hat das traditionsreiche Seegerhaus in St. Gallen restauriert

Zwischen Erbe und Erneuerung

JKMM Architects und Fyra haben Alvar Aaltos Haus der Kultur in Helsinki umgebaut

JKMM Architects und Fyra haben Alvar Aaltos Haus der Kultur in Helsinki umgebaut

Sommerfrische reloaded

Das Eierhäuschen in Berlin wird zum Spreepark Art Space

Das Eierhäuschen in Berlin wird zum Spreepark Art Space

Tanzen mit OMA

Nachtclub Klymax auf Bali in Kooperation mit DJ Harvey

Nachtclub Klymax auf Bali in Kooperation mit DJ Harvey

Bitte lächeln

Einladendes Café in Athen von Karn Studio

Einladendes Café in Athen von Karn Studio

Bar eines Handlungsreisenden

Neuinterpretation eines Bruin Cafés in Amsterdam von Studio Modijefsky

Neuinterpretation eines Bruin Cafés in Amsterdam von Studio Modijefsky

Urbanes Wohnzimmer

Teehaus Basao Panji in Xiamen von Building Narrative

Teehaus Basao Panji in Xiamen von Building Narrative

Bunter Knallbonbon

Experimentelle Eisdiele in Nürnberg von MEKADO

Experimentelle Eisdiele in Nürnberg von MEKADO

Zurück in die Zukunft

Umbau und Erweiterung des Traditionshotels Zum Hirschen in Salzburg

Umbau und Erweiterung des Traditionshotels Zum Hirschen in Salzburg

Raum für Gäste und Gewächse

Hotel-Restaurant Steirereck am Pogusch von PPAG architects

Hotel-Restaurant Steirereck am Pogusch von PPAG architects

Die glorreichen Siebziger

Trattoria del Ciumbia von Dimorestudio in Mailand

Trattoria del Ciumbia von Dimorestudio in Mailand

Speisen in der Lagerhalle

Restaurant Tramo in Madrid von SelgasCano

Restaurant Tramo in Madrid von SelgasCano

Futuristischer Zufluchtsort im Schnee

Café & Bar im chinesischen Chongli von Jumgo Creative

Café & Bar im chinesischen Chongli von Jumgo Creative

Ruf der Sirene

Studio RHO aus Berlin gestaltet ein Café in Prenzlauer Berg

Studio RHO aus Berlin gestaltet ein Café in Prenzlauer Berg