Digestif in der Raumkapsel
Restaurant Kinkally mit Kellerbar von Da Bureau in London
London gilt als eine der aufregendsten kulinarischen Metropolen der Welt. Dass dabei auch das Interieur nicht vor avantgardistischen Konzepten zurückschreckt, beweist ein frisch gelandeter Neuling. Das georgische Kinkally-Restaurant mitsamt seiner darunter liegenden Kinky-Bar beamt die Gäste erst in eine warme Höhle, um sie dann in einer kühlen Raumkapsel landen zu lassen.
Fitzrovia, die nördliche Nachbarin von Soho, ist als Gegend ein Eldorado für Foodies. Auf der Charlotte Street reiht sich ein Restaurant an das nächste und internationale Küchen liegen Tür an Tür. Mit dem Kinkally ist ein Georgier hinzugekommen, der mit einem Augenzwinkern auf seine Speisekarte verweist. Khinkali, mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen, stammen aus dem georgischen Hochgebirge und der Lokalname Kinkally ist ein davon inspirierter Pseudoanglizismus. Das in Talinn und London ansässige Design- und Architekturstudio Da Bureau übernahm die Gestaltung der zwei Etagen der Gastronomie und machte dabei die vielen kulturellen Einflüsse zum Thema. Neben dem britischen Standort und den georgischen Wurzeln berücksichtigten die Interiordesigner*innen auch die asiatischen Einflüsse, die bei dem Schnittstellenland in der Kulinarik, in der Architektur sowie im Kunsthandwerk zu finden sind. „Wir suchten die Annäherung zwischen der asiatischen und der georgischen Kultur in ihrer gemeinsamen Liebe zur Natur und zur Handarbeit. Während Georgien einen eher wilden, dynamischen und rohen Ausdruck findet, interpretieren wir Asien als symmetrisch und detailverliebt“, beschreibt das Team von Da Bureau seine Herangehensweise.
Aus der Höhle in den Weltraum
Zwei Drittel des 130 Quadratmeter großen Gastronomiebetriebs befinden sich im Untergeschoss. Aus ihnen wurde mit dem Kinky so etwas wie der räumliche Digestif. Eine Treppe führt vom Restaurant in die Bar. Sie wirkt wie eine Höhle: dunkel und geheimnisvoll, mit bunten Lichtakzenten und metallischen Oberflächen. Die Reise der Gäste allerdings beginnt oben – mit einem ästhetischen Kontrastprogramm. Das Restaurant auf Straßenniveau erinnert in seiner Farbigkeit an Steppenlandschaften und karge Bergregionen und ist mit vielen natürlichen Materialien eingerichtet. Unbehandelte Holzoberflächen treffen auf rohen Beton, Leinen und dunkel eloxierte Metalldetails. Die Nuancen bewegen sich zwischen Sandbeige, Felsgrau und Erdbraun, während das Licht gezielt Highlights inszeniert und eine warme, wohnliche Grundstimmung erzeugt. Mit seinen vielen strukturierten und matten Oberflächen und einer asketischen Möblierung ist das Kinkally ein eleganter und ruhiger Ort.
Stilelemente aus drei Kulturen
Weil Gastraum und Küche in einem sehr langen, schmalen Layout untergebracht werden mussten, wurden die Möbel speziell für den Ort entworfen und auf Maß gefertigt. Entlang der Treppe zwischen den Geschossen läuft eine Sitzbank mit kleinen Paartischen, während die an der Wand montierte Bank mit großen Tischen und zusätzlichen Stühlen ausgestattet ist. Im hinteren Teil des Raums, der durch einen Versatz im Grundriss dezent separiert ist, gibt es eine offene Küchentheke. An ihr können Gäste wie an einer Bar Platz nehmen und die Zubereitung der Teigtaschen beobachten. In den schlicht gehaltenen Räumen gibt es kaum dekorative Elemente. Es hängen keine Bilder an den Wänden, die Leuchten sind als Strahler in die Decken integriert. Allerdings wurde in einer stillen Ecke hinter dem Treppenabgang eine Installation aus Zweigen platziert, die gut ausgeleuchtet zu einer schwebenden Skulptur wird. Es ist der britische Moment des Konzepts, denn die Äste wurden aus dem Londoner Richmond Park geholt. „Diese Zweige sind ein Symbol für unsere Verbundenheit mit der Natur“, erläutern die Architekt*innen.
Licht wie Lava
Wer direkt aus dem Restaurant in die Kinky-Bar geht, muss sich an die neue Raumstimmung erst gewöhnen. Im Gegensatz zum Kinkally liegt das Kinky im Dunklen und die Beleuchtung setzt wenige, dafür aber sehr akzentuierte Highlights. Oberflächen aus Edelstahl, Spiegelelemente und Glaswände sorgen dafür, dass die Raumgrenzen sich verlieren. Versteckte Leuchtelemente erzeugen unter der Decke ein orangefarbenes Licht, das wie ein dramatischer Sonnenuntergang über die Wände fließt. Nur die kleine Sitznische, ausgestattet mit einem blauen Polstersofa und schweren Vorhängen im gleichen Farbton, bildet mit einer kühlen, lilafarbenen Lichtdecke einen in den Raum hineinwirkenden Kontrast. Es ist ein Szenario wie aus einem Weltraumfilm: In der hochfunktionalen, steril wirkenden und dramatisch illuminierten Umgebung fühlen Gäste sich schnell an Kubricks Discovery One erinnert. Obwohl die beiden Etagen unterschiedliche Funktionen haben und unterschiedliche Atmosphären erzeugen wollen, gibt es Gemeinsamkeiten, wie die Architekt*innen feststellen: „Sie sind durch dieselben Formprinzipien und architektonischen Techniken miteinander verbunden.“ So bezieht sich die Form des Bartresens auf die Arbeitsplatte in der offenen Küche und auch über dem Tisch im Keller schwebt ein Bündel der skulptural wirkenden Richmond-Zweige.
FOTOGRAFIE Sergey Melnikov Sergey Melnikov