Sommerfrische reloaded
Das Eierhäuschen in Berlin wird zum Spreepark Art Space
In Berlin gibt es einen neuen Ort für Ausflügler*innen, Kunstinteressierte und Stipendiat*innen. Wiewiorra Studio hat für das aufwendig restaurierte Eierhäuschen an der Spree das Interiordesign umgesetzt. Dabei treffen in dem Backsteingebäude aus der Jahrhundertwende maßgefertigte, multifunktionale Möbel auf ein Farbkonzept, das sich am Originalzustand orientiert.
Die Lage des Eierhäuschens im Bezirk Treptow könnte nicht schöner sein: Umgeben vom Plänterwald und mit Wasseranschluss, sieht man am gegenüberliegenden Spreeufer das Funkhaus Berlin und den Kulturhafen Rummelsburg. Kein Wunder also, dass dieser idyllische Ort schon um die Jahrhundertwende eine beliebte Sommerfrische war.
Auch Fontane war hier
Das pittoreske Gebäude mit einem hohen Turm und holzverzierten Giebel wurde in seiner jetzigen Form in den Jahren 1890 bis 1891 errichtet. Entworfen vom Architekten Karl Frobenius, handelt es sich um einen zweigeschossigen Ziegelverblendbau aus rotem Backstein und schwarz glasierten Steinlagen. Schon Theodor Fontane nannte das Eierhäuschen in seinem Roman „Der Stechlin“ ein „Lokal für Tanz und Volksversammlung“ und lobte die Pappelweiden, das Schilf und die Wasserlage.
Ausflugsgeschichte(n) & Lost Places
Das Eierhäuschen blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Es wird kolportiert, dass an dieser Stelle einst eine Schifferkneipe stand, in der Holzarbeiter, Fischer und Spaziergänger Getränke und gekochte Eier aus der Hühnerhaltung des Wirtes kaufen konnten – daher wohl auch der ungewöhnliche Name. Nachdem das Gebäude mehrmals abgebrannt war, wurde es Ende des 19. Jahrhunderts nach Plänen des Architekten Frobenius neu errichtet. Das charmante Backsteingebäude war noch zu DDR-Zeiten ein beliebtes Ausflugslokal, denn in unmittelbarer Nähe befand sich mit dem Kulturpark Plänterwald seit 1969 ein Vergnügungspark mit Fahrgeschäften. Nach der Wende geschlossen, meldete das in der Zwischenzeit in Spreepark umbenannte Gelände 2001 Insolvenz an. Ebenso wie das Eierhäuschen wurde es zu einem Lost Place – überwuchert von Bäumen und Sträuchern. Inzwischen wieder im Besitz des Landes Berlin, wird das Gelände seit 2016 von Grün Berlin in einen öffentlichen Park mit ortsspezifischen Kunstwerken umgewandelt. Das wiedereröffnete Eierhäuschen ist als Kunsthaus und Ausflugslokal ein wichtiger Teil des Entwicklungskonzepts Spreepark Art Space.
Spreepark Art Space
Die Sanierung des Eierhäuschens nahm mehrere Jahre in Anspruch, weil es durch Leerstand und Vandalismus stark zerstört war. DHL Architekten aus Berlin waren sowohl für die Sanierung des 2.000 Quadratmeter großen Gebäudes verantwortlich wie auch für einen 700 Quadratmeter großen Neubau, der als externer Kubus die Küche beherbergt und durch einen gläsernen Gang mit dem Altbau verbunden ist. Ziel aller Baumaßnahmen waren die „Bestandssicherung und der sorgsame Rückbau bis auf die Originalsubstanz“, so die Architekt*innen.
Das Raumprogramm des Gebäudes ist komplex: Neben einem Restaurant mit 60 Sitzplätzen, einem Tanzsaal mit 70 Sitzplätzen und einem Biergarten an der Spree mit 250 Sitzplätzen befinden sich im Erdgeschoss Ausstellungs- und Büroräume des Spreepark Art Space. Die erste Etage beherbergt einen Gemeinschaftsraum mit Küche sowie vier Wohnungen für Kunststipendiat*innen. Der große Raum im obersten Dachgeschoss kann für Zusammenkünfte genutzt werden und ist funktional mit Tischen und Stühlen ausgestattet.
Flexible Raumgestaltung
Die Innenarchitektur des Eierhäuschens stammt von Wiewiorra Studio aus Berlin, das auch einige Möbel entworfen hat, darunter mobile Tresen für den Gemeinschaftsraum der Stipendiat*innen in der oberen Etage. Die Elemente können kurzerhand hin und her gerollt werden – dorthin, wo sie gerade gebraucht werden. Sie fungieren als zusätzlicher Arbeits- oder Esstisch und sind außerdem mit offenen Fächern ausgestattet, die praktischen Stauraum bieten. Dachschrägen, helle Farben und natürliche Materialien wie beispielsweise Holz schaffen Behaglichkeit, während ein nachträglich eingesetztes großes Dachfenster für natürlichen Lichteinfall sorgt. Die großzügigen Wohnbereiche für die Stipendiat*innen bestehen aus einem Arbeits- und Schlafbereich sowie einem Badezimmer. Auch hier entwarf Wiewiorra Studio flexible Elemente: Holzmöbel wie Regale sind an Leisten aufgehängt und können leicht verschoben werden.
Kunst & Speisen
Das Erdgeschoss des Eierhäuschens wird bis auf die Büroräume öffentlich genutzt. Hier finden Ausstellungen und Veranstaltungen des Spreepark Art Space statt – zur Eröffnung beispielsweise die Kunstschau „Park Einsichten“, die ortsspezifische Werke von Marcus Maeder, Sabine Scho, Sissel Tolaas und Annett Zinsmeister zeigte.
Im Restaurant Ei-12437-B nebenan wird deutsche Küche mit Fokus auf regionale und saisonale Spezialitäten serviert. Da auch der Gastraum denkmalgerecht saniert werden musste, wurde die vorgefundene Farbgebung in dunklen Rottönen wiederhergestellt. Dass der große Raum dennoch hell und luftig wirkt, hat vor allem mit den eingesetzten Materialien zu tun: helles Holz für Boden und Möbel, Messing und Granit (Marinace Gold) für den maßgefertigten Tresen, der auch als Raumteiler fungiert.
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