Projekte

Café im Palazzo

Wie AMAA mit dem Caffè Nazionale den Charme des Unvollendeten feiert

In einem historischen Palazzo im norditalienischen Arzignano hat das Architekturbüro AMAA ein Café geschaffen, das mehr als ein Ort der Einkehr ist. Im Caffè Nazionale werden Spuren der Geschichte mit zeitgenössischen Elementen zu einem atmosphärischen Ganzen verwoben.

von Lilian Ingenkamp, 16.07.2025

Ein Palimpsest ist wie ein Schatz, in dem die Spuren vergangener Zeiten sichtbar bleiben, auch wenn sie längst von Neuem überlagert wurden. In der Architektur steht der Begriff für Orte, an denen Geschichte und Gegenwart miteinander verschmelzen, ohne dass das Alte verloren geht. 

Genau das geschieht im Caffè Nazionale in Arzignano, einer kleinen Stadt zwischen Verona und Vicenza. Dort hat das venezianische Architekturbüro AMAA einen alten Palazzo neu entdeckt und behutsam umgestaltet – zu einem Raum, in dem Vergangenheit und Gegenwart in einen spannenden Dialog treten.

Ein Palazzo mit Geschichte – und neuer Seele
Der von Antonio Caregaro Negrin erbaute Palazzo aus dem späten 19. Jahrhundert ist kein unberührtes Denkmal. Über Jahrzehnte haben sich bauliche und gestalterische Schichten angesammelt, die das ursprünglich Erscheinungsbild überlagerten und verdeckten. AMAA hat das Innere des Gebäudes mit großer Sorgfalt freigelegt, Stück für Stück zurückerobert und damit den Kern des Ortes wieder sichtbar gemacht.

Schon die Eingangstüre – übrigens das einzige opake Element in der neuen Architektur – wirkt wie der geheimnisvolle Zugang zu einer Schatzkammer: Aus massivem, brüniertem Eisen geformt, trägt sie einen kleinen, edlen Knauf aus grünem Serpentinmarmor – eine Arbeit des multidisziplinären Künstlers Nero / Alessandro Neretti. Man wird neugierig, was sich hinter der schweren Metalltür verbirgt.

Räume als Bühnenbilder
Beim Betreten zeigt sich, dass dort keine gewöhnliche Gastronomie entstanden ist. Das Team von AMAA inszenierte eine Folge von Räumen, die an Bühnenbilder erinnern – mit Blickachsen, die von der Piazza über die Kolonnade bis tief in den Innenraum reichen. Die Atmosphäre changiert zwischen Offenheit und Geheimnis, Licht und Schatten, Alt und Neu.

Eine perforierte Wand aus gefalteten Edelstahlplatten wirkt wie ein Vorhang, hinter dem sich ein kleiner Birkenhain im Innenhof abzeichnet – geheimnisvoll, fast szenisch, und zugleich eine subtile Verbindung zwischen Innenraum und Natur. Die Küche, gut sichtbar für die Gäste, steht für Transparenz und Gastfreundschaft. Eine Treppe zwischen Bar und Küche führt hinauf zum Restaurant im Obergeschoss.

Zwischen Patina und Präzision
„Das Projekt Caffè Nazionale ist ein dynamisches Projekt, das bestehende Materialien und ihre Geschichten aufnimmt, um eine neue Architektur zu schaffen“, erklären die Gestalter*innen von AMAA. Die restaurierten Oberflächen zeigen Patina und Gebrauchsspuren, die Zeitgeschichte spürbar machen: Unverputzte Wände, sichtbare Konstruktionsdetails und bewusst unvollendete Bereiche präsentieren den Bauprozess als Teil des Erlebnisses.

Kunsthandwerk trifft Industriecharme
Bodenmosaike mit feinen Mustern begegnen in dem Café einer mehrlagigen Kassettendecks aus Holz, die nicht nur optisch beeindruckt, sondern auch Licht und Akustik reguliert. Maßgeschneiderte Tische und Bänke aus Okumé-Holz – entworfen von AMAA und Nero / Alessandro Neretti – verbinden klare Linien mit urbaner Materialität. Schwarze Tischoberflächen aus Linoleum und Lederpolster zitieren sowohl die robuste Ästhetik der New Yorker U-Bahn als auch die minimalistischen Skulpturen eines Donald Judd.

Ein Raum der Erinnerung und Begegnung
Die Neugestaltung des ehemaligen Palazzos schafft einen Rahmen für das alltägliche Leben, in dem Geschichte und Gegenwart unaufdringlich miteinander kommunizieren. Große Glasfronten, hohe Decken und luftige Räume bewahren die Großzügigkeit des Palazzos, während feine Details – etwa die Türgriffe von Neretti oder Kunstplakate von Stefan Marx – dem Ort eine eigenständige, zeitgenössische Identität verleihen. Das Caffè Nazionale ist ein lebendiges Archiv, ein Raum der Erinnerung und ein Ort der Begegnung.

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Projektinfos
Projektname: Caffè Nazionale
Kunde:  MAM Srl (Marco Mettifogo – Andrea Poli – Marcello Galiotto) und  Gemeinde Arzignano
Projektfläche 565 Quadratmeter, davon:
Garten:  130 Quadratmeter
Äußerer Säulengang:  110 Quadratmeter
Erdgeschoss:  325 Quadratmeter
Projektfertigstellung: November 2024
Baukosten: 1,6 Millionen Euro
Links

Entwurf

AMAA Collaborative Architecture

www.amaa.studio

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