Bar eines Handlungsreisenden
Neuinterpretation eines Bruin Cafés in Amsterdam von Studio Modijefsky
In der niederländischen Hafenstadt Amsterdam treffen traditionell Seeleute auf Sesshafte, fremde Kulturen auf lokale Tradition. Studio Modijefsky hat sich bei dem Interieur für ein Restaurant mit Bar an eine Tradition seiner Heimat erinnert und mit viel Handwerk eine zeitgenössische Interpretation eines „Bruin Cafés“ umgesetzt.
England hat seine Pubs, die Niederlande haben sogenannte „Bruin Cafés“. Der Begriff „bruin“ bedeutet „braun“ und bezieht sich auf das Interieur der Etablissements, die meist mit dunklem Holz verkleidet, rustikal und gemütlich sind. Ihr Ursprung liegt im 17. Jahrhundert, als es den Niederlanden als Handelsnation wirtschaftlich besonders gut ging und sich Seeleute, Händler und Bürger an den Tresen der Wirtschaften trafen. Später wurden diese zum ausgelagerten Wohnzimmer und ihr Interieur voller antiker Möbel, historischer Bilder und alter Dekoration spiegelt als Zeuge der Vergangenheit die teils bewegte Geschichte der Kneipen wider. Am belebten und angesagten Beukenplein im Südosten von Amsterdam hat in einem Eckhaus das Leo eröffnet, dessen Gestaltung dem ebenfalls in Amsterdam ansässigen Studio Modijefsky übertragen wurde. Das neue Lokal ist Teil der sogenannten Goudvisch-Familie, einer Gruppe von sechs urigen Gaststätten, die allesamt Vornamen wie Polly, Fred, Bonnie – oder eben Leo – tragen.
Tradition und Handwerk
Besonders an dem von Esther Stam gegründeten Studio Modijefsky ist, dass es komplett in Frauenhand ist. Außerdem zeichnen sich die Arbeiten des neunköpfigen Teams durch einen sehr individuellen Stil aus. Mit Materialien, Texturen, Licht und Wegeführung entstehen konsequente und überzeugende Räume, die auf die Nutzer*innen ebenso eingehen wie auf den urbanen oder ruralen Kontext und die Funktion des Ortes. Das gestalterische Thema für das Leo war eine besondere Herausforderung, da das Flair eines traditionellen Treffpunkts zitiert werden sollte, ohne dass das Ergebnis historisierend oder kitschig wirkt. Studio Modijefsky stellte das Thema Handwerk in den Mittelpunkt des Konzepts, um über aufwendige Details und hochwertige Materialien das Erbe der Vergangenheit mit einer zeitgenössischen Sprache zu verbinden.
Material-Collage
Eine besondere Technik, die die Gestalterinnen eingesetzt haben, ist die koreanische Textilkunst Pojagi. Dabei werden quadratische oder rechteckige Tücher aus verschiedenen Stoffen und in unterschiedlichen Farben zusammengenäht. Studio Modijefsky fertigte in diesem Stil Vorhänge für die Fenster und definierte Patchwork als Thema für die gesamte Raumgestaltung. So wie die Farben und Texturen hier zusammentreffen, begegnen sich auch im restlichen Interieur unbehandelte Hölzer, Marmor, Keramik und Glas. Lavendel-, Grau- und Pflaumentöne werden mit unbehandeltem Nussbaum- und Eichenholz, Leder und Messing kombiniert. Der gestalterische Kosmos bezieht sich einerseits auf die Entstehungszeit der Bruin Cafés, zum anderen auch auf die abgeschrägten Fassadendetails der Architektur, die bei Wandpaneelen, Geländern und Leuchten aufgegriffen werden.
Treffpunkt Bar-Koloss
Die massive Bar ist ein beeindruckendes Volumen und aus Holz, Messing und Marmor gefertigt. Während die abgestufte Holzbasis mit Terrazzo-Platten in Schwarz und Weiß geschmückt ist, sind in die Holzverkleidung partiell stark geäderte, burgunderrote Marmorplatten eingelassen. Durch die erhöhte Position der Bar wird sie zum sozialen Zentrum des Raumgeschehens. Handgefertigte Neonleuchten in der hinter ihr liegenden Wand werden unterstützend zu einem Rahmen aus Licht. Gläser und Flaschen stapeln sich auf unzähligen, rückwärtig verspiegelten Regalbrettern bis unter die Decke und wirken wie eine von der Zeit kuratierte Spirituosensammlung. Überall gibt es für die Gäste liebevoll gestaltete handwerkliche Details zu entdecken. Die Stehtische ruhen auf gedrechselten und verdreht ausformulierten Holzbeinen, die Wandleuchten bestehen aus mit grafischen Ornamenten geätzten und geschliffenen Kristallglaskörpern. Und die konsequente Innenraumverkleidung aus Nussholz ist eine gemütliche Interpretation des Themas „bruin“.
Hommage an Tradition und Geschichte
In seiner Funktion als zweites Wohnzimmer bietet das Leo neben den kommunikativen Bereichen auch Rückzugsorte an. Im hinteren Teil des Raums geht es zum Mezzanin, das mit einer verspiegelten Wand, einer durchlaufenden Bank und jeder Menge Kunst ausgestattet ist und eine intime Atmosphäre vermittelt. Von oben überblicken die Gäste durch die Balustrade den geschäftigen Café-Bereich. Ein weiterer Zufluchtsort ist die großzügige Terrasse auf dem Beukenplein. Unter Sonnenschirmen und hinter hölzernen, bepflanzten Windschutzelementen können die Gäste auf 115 Quadratmetern Außenfläche mit der Nachbarschaft in Kontakt kommen. Das Leo nimmt Bezug auf die Geschichte und überführt die lokale Tradition ins Jetzt. Amsterdam war als Hafenstadt immer ein Ort der Begegnung und des Austauschs – und Studio Modijefsky beruft sich mit seiner Hommage an die Bruin Cafés auf diesen weltoffenen Charakter seiner Heimat.
FOTOGRAFIE Maarten Willemstein Maarten Willemstein
Projektname | Leo Goudvisch |
Typologie | Cafe, Bar & Restaurant |
Bauherr | Joost Lebesque & 3WO |
Entwurf | Studio Modijefsky |
Team | Esther Stam, Natalia Nikolopoulou, Pauline Renlef, Marit van der Gulik, Ivana Stella |
Standort | Amsterdam, The Netherlands |
Fläche | innen 140 Quadratmeter, außen 115 Quadratmeter |
Fertigstellung | Juni 2024 |