Whisky im Pantheon
Eine Sichtbeton-Destillerie von Neri&Hu in China
Am Fuße des Berges Emei Shan haben Neri&Hu für The Chuan Malt Whisky Distillery einen räumlichen Erlebnispark erschaffen, in dem sich traditionelle, chinesische Tuschemalereien mit der römischen Antike verknüpfen. Hochprozentiges spielt dabei natürlich auch eine Rolle.
Am Anfang war die Rebe. Nachdem zahlreiche Winzer ihre Anwesen in den letzten zwei Dekaden von berühmten Architekt*innen neu gestalten ließen, sind jetzt die Schnapshersteller am Zuge. Der Branche geht es blendend. Gin hat in den letzten Jahren einen rasanten Wachstumskurs erzielt. Nun ist Whisky an der Reihe. Bis 2025 sollen die globalen Umsätze von rund 65 Milliarden Euro auf knapp 88 Milliarden Euro anwachsen, so die Prognosen. Der Grund: Whisky ist nicht länger nur ein Getränk für einsame Wölfe oder von Zigarrenrauch durchzogene Gentlemen’s Clubs. Immer mehr Frauen entdecken den raffinierten Getreidebrand, der plötzlich mit neuen sozialen Qualitäten punktet. Und damit ändert sich alles.
Räumliche Erlebnisse
Eine Whisky-Destillerie kann heute zur Ausflugsdestination werden. Vielleicht nicht gleich für die ganze Familie, doch zumindest die Erwachsenen kommen auf ihre Kosten. Natürlich hilft es, wenn architektonische und kulturelle Aspekte den hochprozentigen Genuss auf eine neue Ebene heben. Genau an dieser Stelle lohnt der Blick auf ein Projekt, das vom Shanghaier Architektur- und Designduo Neri&Hu entworfen wurde: den neuen Sitz von The Chuan – dem ersten in China gebrannten Whisky des Spirituosenherstellers Pernod Ricard.
Erdung des Flaschengeists
Als Standort wurde ein Grundstück am Fuß des Bergs Emei Shan ausgewählt, der 3.099 Meter in die Höhe ragt. Als einer von vier heiligen, buddhistischen Bergen Chinas wurde er in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen. Einst stand an den Hängen ein berühmtes Kloster. Zudem führten zahlreiche Pilger- und Handelsrouten hier vorbei. Auch große Schlachten sind auf den umliegenden Feldern ausgetragen worden, wo keine Überreste menschlicher Bauwerke den Lauf der Zeit überdauert haben. Die Landschaft am Fuße des Berges ist karg. Dennoch ist sie von der Energie des Ortes und seiner Vergangenheit aufgeladen.
Idee der Dualität
An diesem spirituellen Ort hat nun ein anderer Geist, der Flaschengeist, ein würdevolles Zuhause gefunden. Lyndon Neri und Rossana Hu haben mehrere Gebäude in einen landschaftlichen Park eingebettet, den die Besucher*innen während ihres Aufenthaltes erkunden können. Inspiration fand das Duo im Wechselspiel natürlicher Elemente, wie es typisch für die traditionelle, chinesische Landschaftsmalerei ist. Deren Name Shan Shui bedeutet wortwörtlich übersetzt „Gebirgswasser“. Shan wird als Sinnbild für Stärke und Dauerhaftigkeit verstanden. Shui steht für das Fluide und Veränderliche. Zwei Gegensätze wie Yin und Yang, die sich zu einer Harmonie ergänzen. Diese Idee der Dualität durchdringt die gesamte Architektur.
Bilderrahmen aus Beton
Die drei Produktionsgebäude sind zur Nordseite des Grundstücks ausgerichtet. Mit ihren weit auskragenden Satteldächern werfen sie einen zeitlichen Anker in die Vormoderne. Die aus Ton gebrannten Ziegel sind eigens von Hand angefertigt worden und zeigen beständige Variationen in Farbe und Oberfläche. Ganz anders die Fassaden: Sie erinnern an großformatige Bilderrahmen aus Sichtbeton, die horizontale Fensterbänder einfassen. Die Blicke können so von außen ins Innere hinein wandern, wo großformatige Kupferkessel wie Skulpturen in einem Museum in Szene gesetzt werden. Durch die rückseitigen Fensterfronten gelangen die Blicke wieder hinaus ins Freie. Die Dächer scheinen dadurch regelrecht zu schweben.
Wege der Einkehr
Im Süden des Grundstücks ist das Besucherzentrum ins Erdreich eingelassen. Es wirkt wie ein Turm aus drei riesigen Scheiben, die sich nach oben immer weiter verjüngen und in ihrer Höhe variieren. Die Silhouette des Baus wirkt wie ein Echo auf den Berg Emei Shan. Man könnte auch an ein Mausoleum denken. Die Transparenz der Produktionshallen weicht hier einer vollständig verschlossenen, geradezu geheimnisvollen Erscheinung. Neri&Hu haben die Außenkanten der Scheiben als Reliefs aus hellen Ziegelsteinen ausgeführt, die mit rhythmischen Vor- und Rücksprüngen für wechselnde Schattenwürfe sorgen. Der Zugang zum Gebäude erfolgt unterirdisch. Zuvor müssen die Whisky-Liebhaber*innen einen Weg passieren, der ein Wasserbecken zickzackförmig durchschneidet. Der Richtungswechsel ist kein Zufall, denn er verändert die Perspektiven der sich Nähernden und animiert zur Einkehr.
Neue Zeit
Das Herzstück des Besucherzentrums ist ein kuppelartiger Saal, der sich mit kreisrunder Aussparung nach oben zum Himmel öffnet – genau wie beim Pantheon in Rom. Während sich in der Ewigen Stadt nur bei Starkregen Wassermengen ins Innere ergießen, wird hier in regelmäßigen Abständen ein Wasserfall inszeniert. Von den Betonkanten des runden Dachausschnittes fällt das kühle Nass auf eine steinerne Scheibe, die leicht aus dem Boden emporragt. Die Intensität des Wasserspiels ist so kalkuliert, dass die Spritzer in sicherem Abstand vor den Füßen der Besucher *innen Halt machen. Diese nehmen auf einer ringförmigen Bank Platz, die den gesamten Raum umrundet. Es ist ein anmutiger Ort zum Meditieren, zum Denken und zum Steigern der Vorfreude auf den Genuss. Dieser erwartet die Besucher*innen in einem Tasting-Room mit mehreren Tresen und Eichenholzfässern an den Wänden. VIPs nehmen in einem wohnzimmerartig eingerichteten Nebenraum Platz. Whisky – soviel ist sicher – ist in einer neuen Zeit angekommen.
FOTOGRAFIE Hao Chen
Hao Chen
Typologie | Whiskey-Brennerei |
Entwurf | Neri+Hu |
Ort | Emeishan, China |
Größe | 7.350 Quadratmeter |
Landschaftsarchitekten | YIYU Design |
Materialität | Sichtbeton, Tonziegel, Naturstein |