Monolith im Laubwald
Gut getarnte Memphis-Hommage von Jean Verville

In der Einsamkeit der kanadischen Natur hat der Architekt Jean Verville ein exzentrisches und naturnahes Holzhaus landen lassen. Während das organische Volumen des Baus sich mattschwarz in den Laubwald legt, wird der Wohnraum zum goldenen Kaleidoskop mit Lagerfeuer-Flair und Memphis-Zitaten.
Viele Märchen spielen im Wald – und deshalb ist es nur konsequent, die Gestaltung eines Wald-Refugiums einem Architekten zu überlassen, der sich auf Bauwerke mit narrativem Charakter spezialisiert hat. Jean Verville verwischt in seinen Arbeiten die Grenzen zwischen Realität und Fantasie sowie zwischen Architektur und Kunst. Der Kanadier steht für Projekte, die sowohl an ihrem Standort verwurzelt sind, als auch das Tor zu einer neuen Welt öffnen. Und weil die Auftraggeber*innen sich für ihr Grundstück in der abgelegenen Landschaft der Region Laurentides nördlich von Montreal „ein alternatives Universum“ mit „skurriler Energie“ wünschten, fanden sie in Verville (der seine Methodik als „disruptiv“ beschreibt) einen geistesverwandten Verbündeten.
Ein organisches Raumschiff
Als Inspiration wählten Verville und die Bauherr*innen einen Zusammenschluss ästhetischer Rebellen aus der Vergangenheit, die sie gemeinsam schätzen: die Gruppe Memphis. Das Design-Kollektiv der Achtziger steht für Blockfarben und assoziative Geometrien, wilde Muster und skurrile Proportionen. Allerdings sollte die Freude der Planenden am ästhetischen Krawall die Natur in Laurentides nicht stören. Der Baukörper ist ein exzentrisches Volumen, das sich mit einem weiten Schwung zwischen die Wipfel der Laubbäume schmiegt, sich aber mithilfe von Material und Farbe tarnt. Die Fassade aus Holz wurde schwarz lasiert, das Dach mattschwarz eingedeckt, die Öffnungen nach außen wohlüberlegt platziert. Die Südseite öffnet sich mit vielen bodentiefen Fenstern zur Landschaft. Wer sich dem Haus jedoch von Norden nähert, steht vor einer komplett verschlossenen Front.
Lichtung mit Lagerfeuer
Selbst der dunkle Kiesweg, der zum Haus führt, scheint mit dem Haus zu verschmelzen. Die Architektur entwickelt eine durchaus düstere Magie, die Besucher*innen aber auch in den Bauch des Baukörpers hineinzieht. Gerade in der Dämmerung wirkt der warme Schein hinter den Fenstern wie ein märchenhaftes Irrlicht. Ein Effekt, der entsteht, weil Verville beim Interior nicht nur mit Farbe, sondern auch mit Geometrien, Volumen sowie dem Licht und seiner Reflexion spielt. Der größte Wohnraum, der die Funktionen Küche und Salon aufnimmt, ist ein gelb-goldenes Spiegelkabinett. Er definiert sich über ein in die Decke eingelassenes, gelbes Oval, das sich über die Stauraumwände fortsetzt und stilistisch von einem mit goldener Spiegelfolie verkleideten Küchentresen weitergeführt wird. Der Dunstabzug hängt als goldener Zylinder unter der Decke, daneben sorgen kleine gelbe Leuchten für Spotbeleuchtung und selbst die darunter stehende Sitzgruppe aus Polstersesseln ist mit senfgelben Bezügen ausgestattet.
Memphis im Bad: Less is a bore
Verville erzeugt über seine reflektierende Rauminstallation einen Moment, der zwischen den mattschwarz verkleideten Wänden an ein flackerndes Lagerfeuer im dunklen Wald erinnert. Aus diesem größten und exzentrischsten Raum geht es über einen sich verjüngenden Flur entlang der geschlossenen Hausseite in die privaten Räume. Das hinterste und größte Zimmer ist das mit einer dunkelgrünen Textiltapete ausgekleidete Schlafzimmer, das kleinste und erste wird als Büro genutzt. Dazwischen liegen Badezimmer und WC, für deren Wände, Böden und Decken Verville Fliesen aus der Kollektion Mattonelle Margherita von Mutina verwendet hat. Gestaltet wurden die insgesamt 41 Designs von der Memphis-Mitbegründerin Nathalie du Pasquier. So konsequent eingesetzt wie im Verville-Haus, verwandeln sie einen Raum in einen extravaganten Musterkosmos – und sind eine weitere Hommage an den farbenfrohen Stil der Achtziger.
Holzhaus zum Waldbaden
Über seinen Ansatz sagt Jean Verville selbst, dass er „die Fähigkeit der Architektur betont, die Beziehungen zum Raum zu verändern“. Indem er einen tiefschwarzen Baukörper mitten in der Einsamkeit des kanadischen Waldes landen ließ, gestaltete er auch eine Naturerfahrung. Das Haus übernimmt die Funktion einer geschützten Lichtung, von der aus der Wald beobachtet werden kann. So sieht auch Jean Verville sein Projekt: „Die Wälder von Laurentides sind ein Inbegriff für die Flucht in die Natur. Sie nehmen das Haus auf einem bisher unerschlossenen Teil ihres Gebiets auf und bieten einen Ort des Lebens und der Arbeit an, der dynamisch und frei zugleich ist.“
FOTOGRAFIE Maxime Brouillet, Maryse Béland
Maxime Brouillet, Maryse Béland
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