Mut essen Spielzeug auf
Erfahrung macht klug: Wie ein Fabrikloft zur perfekten Familienwohnung wird.

Bill und Tracy wohnten sechs glückliche Jahre lang in einem Fabrikloft, um das sie all ihre Freunde beneideten. Als das Paar aus Melbourne ein Kind erwartete, erwies sich das zweistöckige Apartment im Szeneviertel Fitzroy jedoch plötzlich als eng und unpraktisch. Aber deshalb gleich in die Vorstadt ziehen? Eine bessere Lösung fanden die Architekten Andrew Maynard und Marc Austin.
Die jungen Architekten schlugen ihnen einen ungewöhnlichen Umbau vor, dem sie ihre eigenen Erfahrungen als Familienväter zugrunde legten. Titel ihres Konzeptes: „Späte Einsicht – alles, was ich als frischgebackener Vater hätte tun sollen." Eine Kampfansage an die gefährliche Treppe, den beengten Eingangsbereich, das isolierte Homeoffice und die allgemein schlechte Raumaufteilung.
Kinderzimmer mit Ordnungsgarantie
Die meisten Kinder lieben Unordnung. Alles, was in ihre Hände gerät, landet früher oder später unweigerlich auf dem Boden. „Was wäre, wenn das Parkett das ganze Durcheinander einfach verschlucken könnte?“, fragten sich Maynard und Austin – und versahen das Kinderzimmer kurzerhand mit einer Art doppeltem Boden. Wie ein überdimensionaler, in die Waagerechte gekippter Setzkasten bietet es nun Platz für sämtliche Spielzeuge und eine Vielzahl von Verstecken. Die Innenwand des Raumes ersetzten sie durch eine hölzerne Schiebetür, die bei Bedarf eine durchgehende Sicht- und Kommunikationsachse zur restlichen Wohnung öffnet. „Wenn wir ein Kinderzimmer schaffen, das sich wie eine Erweiterung des familiären Wohnraums anfühlt, dann scheint es uns wahrscheinlich, dass das Kind dort spielt und seine Spielzeuge nicht überall verteilt“, erläutern sie ihre Strategie.
Büro als Kommandozentrale
Fristete Bills Homeoffice einst ein Schattendasein in einer dunklen Ecke, liegt sein Arbeitsplatz nun im Zentrum der ersten Etage. Angegliedert an die erneuerte Treppe, genießt er vom Schreibtisch aus eine direkte Verbindung zu allen Bereichen der Wohnung. In seinem Rücken befindet sich das Kinderzimmer, sodass er und seine Tochter sich jederzeit im Blick haben und bequem miteinander sprechen können.
Alleskönner Treppe
„Wir haben versucht, eine Treppe zu schaffen, die sich leicht und transparent anfühlt wie Gaze“, so Maynard und Austin. „Gefaltete Lochbleche lassen viel Tageslicht passieren und ermöglichen außerdem eine unkomplizierte Kommunikation zwischen den beiden Etagen.“ Die neue Treppe dient einerseits als Aufgang, Lichtschacht und Sprachrohr – und bietet andererseits sehr viel Stauraum: für Arbeitsmaterialien und Bücher ebenso wie für den Kinderwagen, der direkt neben dem Eingang geparkt werden kann.
Oben mit Verbindung nach unten
„Die Gegenstände einer Wohnung befinden sich in ständiger Bewegung – vor allem, wenn ein Baby ins Spiel kommt“, beschreibt das Architektenduo, „Einkäufe wandern nach oben, Müll nach unten. Saubere Windeln wandern nach oben, schmutzige nach unten. Und Spielzeug ist einfach überall.“ Zwei kleine Eingriffe im Obergeschoss erleichtern das ewige Hin-und Her nun deutlich. Neben der Treppe befindet sich ein Seilzug, der den Transport größerer Objekte oder Möbel zum Kinderspiel macht. Der Wandschrank im Essbereich verfügt zudem über einen Verbindungsschacht mit seinem Gegenstück im darunterliegenden Kinderzimmer. Nach dem Prinzip des Müllschluckers lassen sich damit verschleppte Spielzeuge direkt zu ihrem Ursprung zurückschicken.
Organisation als Ausweg
„Ein Baby bewegt viele zu Konservatismus und Konformität“, erklären die Architekten. „Mehr Platz, ein zusätzliches Badezimmer und ein Garten sind Argumente, die junge Familien in die Vorstadt treiben.“ Dabei ist zumeist gar nicht der Platzmangel das Problem, sondern die fehlende Organisation. Maynards und Austins gelungener Umbau hat nicht nur ihre Auftraggeber vor einem unnötigen Umzug bewahrt. Er zeigt auch, dass manchmal einige durchdachte Veränderungen reichen, um den oft als kräfteraubend empfundenen Familienalltag in einen regelrechten Spaziergang zu verwandeln.
FOTOGRAFIE Fraser Marsden / Andrew Maynard Architects
Fraser Marsden / Andrew Maynard Architects
Andrew Maynard Architects
www.maynardarchitects.comMehr Projekte
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