Projekte

Mut zur Leere

Umbau eines Melbourner Wohnhauses von Splin­ter Soci­ety

„Das Design ist in erster Linie ein Prozess der Reduzierung, damit der Charakter des ursprünglichen Gebäudes hervortreten kann“, sagen die Architekt*innen des australischen Büros Splin­ter Soci­ety. Bei der Renovierung eines Familienhauses in Mel­bourne legten sie alte Strukturen frei und bewiesen Mut zur Lücke.

von Nina C. Müller, 20.04.2021

Einst Fabrikgebäude, später separate Eigentumswohnungen – und nun ein Haus für eine junge Familie: Die wechselhafte Geschichte und industrielle Atmosphäre des Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Melbourner Bestandsbaus wollten Asha Nicholas und Chris Stan­ley vom Architekturbüro Splin­ter Soci­ety und ihre Auftraggeber*innen bewahren.

Dreiviertel voll
Eine Wand, die einst die beiden Wohnungshälften separierte, bildet noch immer eine vertikale Trennlinie innerhalb des dreistöckigen Gebäudes. Durch diese Aufteilung, erklärt das Architektenduo, bilde sich ein schornsteinartiger Leerraum, den sie als wohnliches Zentrum nutzten.

Dieser hohe, nach oben offene Raum stellt etwa ein Viertel des Gesamtvolumens dar. So entstünde eine „dramatische Leere, die die drei Stockwerke und den Eingang verbindet“, sagt das australische Architektenpaar. Konkret heißt das: ein Foyer mit neun Meter hohen Decken, um das sich Wohn-, Ess- und Schlafräume wie auch die Bäder und mehrere Terrassen verteilen. Eine seitlich angegliederte Treppe verbindet die Ebenen, während straßenseitig eine raumhohe Fensterfläche das Tageslicht ins Innere bringt, das von einer rückseitigen Verkleidung aus Rohstahlblech reflektiert wird.

Gewollt unvollkommen
„Die Treppe basiert auf dem Konzept einer Feuertreppe, die strukturell aus Stahl und geriffeltem Glas besteht“, erklären Asha Nicholas und Chris Stan­ley. Sie bildet einen zeitgemäßen Kontrast zu den bewahrten Originalmaterialien. Aus beim Umbauprozess anfallenden Brettern entstand eine stattliche Eingangstür. Und auch andere alte Elemente – wie eine Holzdecke im Erdgeschoss, Kamine und gewölbte Öffnungen – sind noch immer erhalten.

Maßgeblich für das industrielle Erbe war aber vor allem die Freilegung der ursprünglichen Wände. „Wo immer möglich, wird die Unvollkommenheit der Mauern als Hinweis auf ihre Geschichte gefeiert“, sagt das Architektenpaar, das sie lediglich partiell verglaste, um Lücken zwischen den Steinen zu schließen. Auf diese Weise sollten die alten und neuen Schichten eindeutig erkennbar bleiben.

Die ganze Geschichte
„Als Ausgleich zum luftigen Atrium sind die Wohnzimmer viel intimer und zeichnen sich durch subtile Farben, Texturen und weiche Polstermöbel aus“, sagt das Duo, das im Wohnbereich dennoch den industriellen Charakter des Bestandsbaus betonen wollte. Schwarze Wände, Fronten und Fliesen wechseln sich ab mit glänzenden oder hölzernen Oberflächen beim Mobiliar und lenken in ihrer Zurückhaltung den Blick auf die geschichtsträchtigen Materialien des Stadthauses.

„Das Hauptziel des Projektes besteht darin, sein vorhandenes Potenzial auszuschöpfen, anstatt es durch etwas völlig Neues zu ersetzen“, erläutern Asha Nicholas und Chris Stan­ley. So gelingt Splin­ter Society mit den Mitteln der Reduktion – farblich, räumlich und materiell – ein volles Raumerlebnis, das noch immer die ganze Geschichte des alten Baus erzählt.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Projektarchitekten

Splinter Society Architecture

www.splintersociety.com

Mehr Projekte

Surferträume im Reihenhaus

Umbau eines Sechzigerjahre-Wohnhauses in Norwegen von Smau Arkitektur

Umbau eines Sechzigerjahre-Wohnhauses in Norwegen von Smau Arkitektur

Wabi-Sabi am Hochkönig

Boutiquehotel stieg’nhaus im Salzburger Land von Carolyn Herzog

Boutiquehotel stieg’nhaus im Salzburger Land von Carolyn Herzog

Faltbarer Transformer

Ein ländliches Wochenendhaus in Argentinien von Valentín Brügger

Ein ländliches Wochenendhaus in Argentinien von Valentín Brügger

Funktionale Fassaden

Verschattung im Bestand und Neubau

Verschattung im Bestand und Neubau

Wohnhaus in Kurvenlage

Neubau mit rundem Garten in Südkorea von Sukchulmok

Neubau mit rundem Garten in Südkorea von Sukchulmok

Palazzo mit Patina

Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Umbau eines apulischen Anwesens durch das Architekturbüro Valari

Alte Scheune, neues Leben

Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Historisches Gebäude in Tübingen wird zu modernem Wohnraum

Gebaut für Wind und Wetter

Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ferienhaus im schwedischen Hee von Studio Ellsinger

Ein Dorfhaus als Landsitz

Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Wohnumbau von Ricardo Azevedo in Portugal

Ein offenes Haus

Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Feministischer Wohnblock Illa Glòries von Cierto Estudio in Barcelona

Harte Schale, weicher Kern

Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Unkonventionelles Einfamilienhaus in Mexiko von Espacio 18 Arquitectura

Zwischen Bestand und Zukunft

Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Umbau einer Kölner Doppelhaushälfte durch das Architekturbüro Catalanoquiel

Offen für Neues

Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Nachhaltige Renovierung einer flämischen Fermette durch Hé! Architectuur

Baden unter Palmen

Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Studio Hatzenbichler gestaltet ein Wiener Loft mit Beton und Grünpflanzen

Maßgeschneidertes Refugium

Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Georg Kayser Studio verbindet in Barcelona Altbau-Charme mit modernem Design

Rückzugsort im Biosphärenreservat

MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

MAFEU Architektur entwirft ein zukunftsfähiges Reetdachhaus im Spreewald

Im Dialog mit Le Corbusier

Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Umbau eines Apartments im Pariser Molitor-Gebäude von RREEL

Warschauer Retrofuturimus

Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Apartment mit markantem Raumteiler von Mistovia Studio

Trennung ohne Verluste

Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Ferienhaus im Miniformat auf Usedom von Keßler Plescher Architekten

Architektur auf der Höhe

Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Wohnhaus-Duo von Worrell Yeung im hügeligen New York

Architektur im Freien

Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien

Pool und Pergola von Marcel Architecten und Max Luciano Geldof in Belgien

California Cool

Mork-Ulnes Architects restaurieren das Creston House von Roger Lee in Berkeley

Mork-Ulnes Architects restaurieren das Creston House von Roger Lee in Berkeley

40 Quadratmeter Einsamkeit

Ländliches Ferienhaus von Extrarradio Estudio in Spanien

Ländliches Ferienhaus von Extrarradio Estudio in Spanien

Von der Ruine zum Rückzugsort

Wertschätzender Umbau von Veinte Diezz Arquitectos in Mexiko

Wertschätzender Umbau von Veinte Diezz Arquitectos in Mexiko

Zwischen Alt und Neu

Architect George erweitert Jahrhundertwendehaus in Sydney

Architect George erweitert Jahrhundertwendehaus in Sydney

Co-Living mit Geschichte

Umbau des historischen Metropol-Gebäudes von BEEF architekti in Bratislava

Umbau des historischen Metropol-Gebäudes von BEEF architekti in Bratislava

Aus dem Schlaf erwacht

Kern Architekten sanieren das Vöhlinschloss im Unterallgäu

Kern Architekten sanieren das Vöhlinschloss im Unterallgäu

Archäologie in Beton

Apartment-Transformation von Jorge Borondo und Ana Petra Moriyón in Madrid

Apartment-Transformation von Jorge Borondo und Ana Petra Moriyón in Madrid

Geordnete Offenheit

Umbau eines Einfamilienhauses von Max Luciano Geldof in Belgien

Umbau eines Einfamilienhauses von Max Luciano Geldof in Belgien

BAYERISCHES DUO

Zwei Wohnhäuser für drei Generationen von Buero Wagner am Starnberger See

Zwei Wohnhäuser für drei Generationen von Buero Wagner am Starnberger See