Mut zur Leere
Umbau eines Melbourner Wohnhauses von Splinter Society

„Das Design ist in erster Linie ein Prozess der Reduzierung, damit der Charakter des ursprünglichen Gebäudes hervortreten kann“, sagen die Architekt*innen des australischen Büros Splinter Society. Bei der Renovierung eines Familienhauses in Melbourne legten sie alte Strukturen frei und bewiesen Mut zur Lücke.
Einst Fabrikgebäude, später separate Eigentumswohnungen – und nun ein Haus für eine junge Familie: Die wechselhafte Geschichte und industrielle Atmosphäre des Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Melbourner Bestandsbaus wollten Asha Nicholas und Chris Stanley vom Architekturbüro Splinter Society und ihre Auftraggeber*innen bewahren.
Dreiviertel voll
Eine Wand, die einst die beiden Wohnungshälften separierte, bildet noch immer eine vertikale Trennlinie innerhalb des dreistöckigen Gebäudes. Durch diese Aufteilung, erklärt das Architektenduo, bilde sich ein schornsteinartiger Leerraum, den sie als wohnliches Zentrum nutzten.
Dieser hohe, nach oben offene Raum stellt etwa ein Viertel des Gesamtvolumens dar. So entstünde eine „dramatische Leere, die die drei Stockwerke und den Eingang verbindet“, sagt das australische Architektenpaar. Konkret heißt das: ein Foyer mit neun Meter hohen Decken, um das sich Wohn-, Ess- und Schlafräume wie auch die Bäder und mehrere Terrassen verteilen. Eine seitlich angegliederte Treppe verbindet die Ebenen, während straßenseitig eine raumhohe Fensterfläche das Tageslicht ins Innere bringt, das von einer rückseitigen Verkleidung aus Rohstahlblech reflektiert wird.
Gewollt unvollkommen
„Die Treppe basiert auf dem Konzept einer Feuertreppe, die strukturell aus Stahl und geriffeltem Glas besteht“, erklären Asha Nicholas und Chris Stanley. Sie bildet einen zeitgemäßen Kontrast zu den bewahrten Originalmaterialien. Aus beim Umbauprozess anfallenden Brettern entstand eine stattliche Eingangstür. Und auch andere alte Elemente – wie eine Holzdecke im Erdgeschoss, Kamine und gewölbte Öffnungen – sind noch immer erhalten.
Maßgeblich für das industrielle Erbe war aber vor allem die Freilegung der ursprünglichen Wände. „Wo immer möglich, wird die Unvollkommenheit der Mauern als Hinweis auf ihre Geschichte gefeiert“, sagt das Architektenpaar, das sie lediglich partiell verglaste, um Lücken zwischen den Steinen zu schließen. Auf diese Weise sollten die alten und neuen Schichten eindeutig erkennbar bleiben.
Die ganze Geschichte
„Als Ausgleich zum luftigen Atrium sind die Wohnzimmer viel intimer und zeichnen sich durch subtile Farben, Texturen und weiche Polstermöbel aus“, sagt das Duo, das im Wohnbereich dennoch den industriellen Charakter des Bestandsbaus betonen wollte. Schwarze Wände, Fronten und Fliesen wechseln sich ab mit glänzenden oder hölzernen Oberflächen beim Mobiliar und lenken in ihrer Zurückhaltung den Blick auf die geschichtsträchtigen Materialien des Stadthauses.
„Das Hauptziel des Projektes besteht darin, sein vorhandenes Potenzial auszuschöpfen, anstatt es durch etwas völlig Neues zu ersetzen“, erläutern Asha Nicholas und Chris Stanley. So gelingt Splinter Society mit den Mitteln der Reduktion – farblich, räumlich und materiell – ein volles Raumerlebnis, das noch immer die ganze Geschichte des alten Baus erzählt.
FOTOGRAFIE Shayrn Cairns
Shayrn Cairns
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