Mut zur Lücke
Ein Mikrohaus in Köln von Wolfgang Zeh
Wenn es um Wohnhäuser mit offenen Flächen geht, deren Räume nicht durch Türen voneinander getrennt sind, hat man in der Regel das Bild eines großzügigen Grundrisses im Kopf. Doch hier ist es anders als gewöhnlich. Der Open-Space-Bau von Wolfgang Zeh ist extrem kompakt. Und vertikal. Der Kölner Architekt hat eine Mini-Baulücke, in die zuvor gerade mal eine Garage passte, in ein sechsstöckiges, lichtdurchflutetes Familiendomizil mit Dachterrasse verwandelt.
Wer in Köln ein Baugrundstück sucht, der findet meistens keins. Oder es ist unbezahlbar. Oder aber man muss den Mut und die Lust haben, sich der architektonischen Herausforderung unkonventioneller Angebote zu stellen. So wie Wolfgang Zeh. Die Baulücke, die der Architekt erwarb, ist nur 10 mal 3,50 Meter groß beziehungsweise klein. Auch die Lage ist nicht unbedingt ein Traum: Die Lücke befindet sich zwar in einer denkmalgeschützten Häuserzeile aus der Gründerzeit. Direkt gegenüber grenzt jedoch eine frequentierte Bahntrasse an, die in ihren Bögen unter anderem einen Schrotthandel beherbergt. Damit nicht genug: Die lichte Breite zwischen den Brandwänden des Bestands beträgt lediglich drei Meter, und nur eine Tiefe von sieben Metern war tatsächlich bebaubar.
Dreizimmerwohnung auf sechs Etagen
„Innerstädtisches Wohnen mit minimalem Verbrauch an Grund und Boden heißt, Kompromisse einzugehen“, sagt Zeh. Sein Kompromiss besteht in einem radikalen Mikrohaus, das er gekonnt und höchst präzise auf sechs Etagen zwischen zwei Nachbargebäuden eingearbeitet hat – sicherlich eines der schmalsten Wohnhäuser Kölns. Mit einer Wohn- und Arbeitsfläche von 80 Quadratmetern plus Dachgarten wirkt das Ausnahmehaus aber keineswegs beengt. Abläufe sind eben etwas anders geordnet. Denn sie sind gestapelt.
Im Keller befindet sich die Architekturwerkstatt. Dann kommen, wie der Architekt beschreibt, drei mal zwei Etagen: Auf ein Geschoss folgt immer eine Empore, die beide der gleichen Funktion zugeordnet sind. Erdgeschoss und 1. Etage fungieren als Lobby und Arbeitsraum, quasi die Schnittstelle zur Straße. Die privaten Räume, also Elternschlafzimmer, Kinderzimmer und Bad befinden sich im 2. und 3. Obergeschoss – auf Höhe der Schallschutzwand gegenüber. Damit ist es dort sehr ruhig. Darüber folgen in der 4. Etage die Küche auf Augenhöhe mit der Bahn und in der 5. Etage das Wohnzimmer. Hier kann man aus der Hängematte oder den tiefen Fensterbänken einen wunderbaren Blick auf die Stadt genießen. „Das Haus ist wie ein Turm gedacht“, erklärt Zeh.
Treppe als Herzstück
„Durch die vertikale Gliederung braucht es fast keine Türen. Die Räume sind klein, haben aber immer Bezug zu dem Raum darüber, darunter und zur Stadt“, so der Architekt. Durch dieses offene Layout reichen acht Quadratmeter zum Arbeiten, zehn zum Wohnen. Das Bad kommt mit vier Quadratmetern aus und das Kinderzimmer mit etwa sieben. – Die unkonventionelle Raumökonomie könnte als Paradebeispiel dafür stehen, wie sich intelligente und schöne Nachverdichtung auf knappem Raum in Großstädten realisieren lässt.
Eine Schall- und Sonnenschutzverglasung über die komplette Südseite ermöglicht auf allen Etagen nicht nur ein ruhiges, auch ein helles, flexibles Wohnen oder Arbeiten. Eine natürliche Fensterlüftung über die rückseitigen Schrägverglasungen im Norden erlaubt auch im Sommer eine einfache Kühlung in der Nacht.
So waren der Bau und das gesamte Interiordesign ein Prozess, der vor allem das Aufbrechen gewohnter Denkmuster erforderte und Zeit brauchte. Innenausbau, Oberflächen, Möbel, Geländer – vieles hat Zeh selbst gebaut. Jedes Geschoss ist individuell gestaltet, jede Fläche präzise berechnet und verplant, Materialien und Verarbeitungen genauestens ausgewählt. „Vor Ort auf dem Bau zu entwerfen und Entscheidungen dann zu treffen, wenn man die Säge in der Hand hält, ist Freiheit pur“, sagt Wolfgang Zeh. „Nach zwei Jahren Planung war die Treppe entworfen.“ Sie ist aus Beton gefertigt und in diesen engen Verhältnissen das zentrale Element. Geschickt platziert, schafft sie im Innenraum Bezüge und räumliche Verknüpfungen. Es entsteht ein eindrucksvolles, vertikal ausgerichtetes Raumvolumen.
Regionale, helle Materialität
Gut selektierte und hochwertige Materialien kommen zum Einsatz. Das warme Grau des geschliffenen Betons an Wänden und Böden prägt den Farbcode im Interior. Ausnahmen: Der Erdgeschossboden ist anthrazit, es sind recycelte Basaltlava-Fassadenplatten eines ehemaligen Bürogebäudes. Und auch die Wand aus freigelegtem Backstein setzt attraktive Akzente. Die Holzelemente – die Fensterbänke, Fensterrahmen und beispielsweise die Innenwände im Bad – sind aus heimischer Douglasie von einem kleinen Sägewerk in der Voreifel.
Maßgeschneiderte Regale mit filigranem Gestell aus pulverbeschichtetem Stahlrohr (20 mal 20 Millimeter) in hellem Grau und Einlegeböden aus Eternit finden sich in sämtlichen Etagen wieder und werden zum multifunktionalen Allrounder: mal werden Bücher verstaut, mal Arbeitsutensilien. In der Küche dienen sie zum Aufbewahren von Kochgeschirr. Neben den Treppen werden sie zu Absturzgittern und Balustraden. Helle Vorhänge, die über mehrere Etagen reichen, betonen großzügig die Vertikale. Ein Hingucker ist auch das Badezimmer, dessen neon-orangefarbene Armaturen zum Graugrün des kleinen Raums wunderbar kontrastieren. Alle Interior-Elemente wurden komplett auf der Baustelle bearbeitet und verbaut.
Dies ist sicherlich kein Haus für alle Lebenslagen, es ist weder barrierefrei noch altersgerecht, erfordert also ein hohes Maß an Mobilität. „Es ist spezifisch und verlangt viel von seinen Nutzern. Es ist ein Haus fürs Jetzt und die nächsten 20 Jahre. Danach ist es sicherlich viel zu groß!“, erklärt Wolfgang Zeh mit einem Schmunzeln.
FOTOGRAFIE Wolfgang Zeh
Wolfgang Zeh