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Neigung zum Hang

Schindeln, Geometrie, Beton und Le Corbusier: Architekt Herbert Bruhin hat das Haus am Waldrand neu interpretiert.

von Ruth Händler, 26.09.2013

An einem Neubau-Hang im Kanton Schwyz hat der Architekt Herbert Bruhin das Haus am Waldrand modern interpretiert. Schlüssel zum Entwurf war Roman Polanskis Film The Ghost Writer. Traditionelle Schindeln wurden zum Schmuck zeitgemäßer Architektur. Eine offene Flächennutzung, grafische Extravaganz und viel Nähe zur Natur bilden das perfekten Zuhause.

Die abendlichen Gäste kommen direkt aus dem Wald und sind, wenn sie ums Haus herum ziehen, alles andere als scheu. Den Rehen gefällt das neue Menschen-Habitat, das in ihrer Nachbarschaft gewachsen ist und so fein nach Holz riecht. Mit dem geschindelten Fassadenkleid aus Western Red Cedar stellt der modern geschnittene Bau den traditionellen Bauernhäuser des Kantons Schwyz, die man auf den umliegenden Hängen sieht, eine zeitgemäße Interpretation zur Seite.

Frei nach Polanski
Was jetzt auf der obersten Parzelle am neu bebauten Südhang des Buchbergs ebenso selbstverständlich wie selbstbewusst wirkt, war nicht ganz einfach durchzusetzen. „Am Anfang hatte ich ein Betonhaus im Sinn“, erzählt die Schweizer Hausherrin. Natürliche Materialien, warme Farben – waren nicht die ersten Wünsche an ihren Architekten Herbert Bruhin. „Nachdem ich mich näher mit dem Thema beschäftigt hatte, bin ich vom reinen Betonhaus etwas abgekommen und merkte, dass mir auch Holzhäuser gut gefallen.“ Die geschuppte Fassade brachte der Architekt ins Spiel, und dazu gab es für die Bauherrin und ihren Partner noch eine besondere Hausaufgabe: „Wir sollten uns Roman Polanskis Film ‚The Ghost Writer‘ anschauen.“ Das elegante Inselhaus mit der Schindeloberfläche, das in Polanskis Politthriller einen zentralen Platz einnimmt, überzeugte das Paar nachhaltig: Auch im wirklichen Leben „sahen wir nun überall nur noch Schindeln“. Für den Architekten war das eine gute Voraussetzung. Denn er bewies nun seinerseits mit einer Fotodokumentation den zuständigen Behörden, dass eine Fassadengestaltung, die in der Region historisch verankert ist, auch zu einem Neubau passt. „In der Gemeinde waren die Schindeln zunächst sehr umstritten“, sagt Herbert Bruhin, „weil die meisten Neubauten hier eine Putzfassade haben.“

Im Plan und außer der Reihe
Wie die Oberfläche hat der Architekt auch die Form der natürlichen Umgebung angepasst. Zwar war er im Neubaugebiet an einen Gestaltungsplan gebunden, der die Gebäude relativ nahe zueinander ordnet. Die schöne Aussicht aber hat er dennoch gerettet in dem Haus, das sich leicht dem Hang zuneigt und dessen Linie mit seinem schrägen Dach nachzeichnet. Um nach Süden den Blick auf die weite Linthebene und zu den Glarner Alpen zu genießen, ist die Wohnebene ins hohe, offene Dachgeschoss gelegt. Die tief eingeschnittene Loggia, auf der auch ein Tisch für vier Personen ausreichend Raum findet, hat sich als geschützter Freiluftplatz bewährt und ihre Allwettertauglichkeit bewiesen. „Im Winter“, erzählt die Hausherrin, „sitzen wir bei Sonnenschein auf Schaffellen draußen und fühlen uns wie im Skiurlaub.“

Die untere Loggia vor Gästezimmer, Arbeitszimmer und Bad ist durch die Neigung des Hauses etwas weniger tief und hat als Gegenüber die Rückseite des Nachbar-Gebäudes. Dank der langen Fassadenöffnung kann man aber links und rechts daran vorbeisehen – oder aber den Außenbereich mit einem Sonnenschutz in eine Laube verwandeln. Immer nah an der Natur
Die Westfassade mit dem Eingang von der Außentreppe her, die am Gebäude nach oben führt, hat der Architekt weitgehend geschlossen. An der Ostseite, wo der Wald Hang und Haus begleitet, sieht man aus dem schmalen hohen Fenster des Wohnbereichs und aus dem breiten tiefen Fenster des Schlafzimmers hinaus in die Natur. Die abwechslungsreiche Typologie ganz unterschiedlicher Ausblicke ergänzt auf der Galerie des Dachgeschosses das sieben Meter lange Atelierfenster Richtung Norden, wo die Wiese des Grundstücks in eine landwirtschaftliche Zone bis zum Waldrand übergeht. „Damit die Wege im Hanghaus kurz sind, habe ich mich für die Split-Level-Bauweise entschieden“, erklärt Architekt Bruhin. Auf den halb versetzten Ebenen bleiben die Bewohner immer nah an der Natur draußen, vom Erdgeschoss mit seinem dichten Grundriss und seiner Zimmerstruktur bis hinauf zum loftartigen Wohn- und Essbereich.

Nach Le Corbusiers Palette
Herbert Bruhin hat gleich nach dem ETH-Abschluss 1997 sein eigenes Büro in Siebnen (Kanton Schwyz) gegründet und verbindet hier Architektur, Innenarchitektur und Ausstellungsdesign. Er hat Optikerläden ein frisches junges Aussehen verpasst, ein Bankgebäude neu gestaltet und inszeniert die Messeauftritte der Firma Wogg beim Mailänder Salone del Mobile. Sein Gespür für das Zusammenspiel von Oberflächen, Farben und Licht machen die Interieurs im Haus am Waldrand zu einem Wohnerlebnis. Die Reduktion auf wenige edle und ehrliche Materialien wie Sichtbeton, Eichenholz für die Böden und für die Stufenplatten sowie tiefgrauen brasilianischen Mustang-Schiefer für die Bäder verleiht den Räumen ihre ruhige, gelassene Prägung. Pointiert wird das Ganze mit mutigen Farbakzenten, an die sich viele von Bruhins Kollegen und auch deren Bauherren nicht so recht rantrauen. Im Schlafzimmer etwa korrespondiert eine auberginefarbene Wand mit den Grünklängen vor dem Fenster. Der dunkle Ton stammt aus Le Corbusiers Palette mit natürlichen Erd- und Mineralpigmenten, die von der Schweizer Farbmanufaktur kt.color wieder aufgelegt wurde.

Orte der Muße
Auch der Betonkern im Dachgeschoss, der im Gegensatz zu den rauen Sichtbetondecken eine glatte Haut hat, ist mit einem Pigment eingefärbt. In dem weichen Pflaumenton leuchten rotglänzende Nischen für Reise-Souvenirs an der Rückseite des Raumteilers und die rotglänzenden Schleiflackfronten der Küchenschränke an der Vorderseite auf. Einen kräftigen Kontrast setzt dazu die grüne Rückwand des hohen weißen Regals zwischen Wohnraum und Galerie. Dort, an der höchsten Stelle des Hauses, haben die beiden Hausbewohner inzwischen einen weiteren Ort für Mußestunden eingerichtet. Mit der offenen Terrasse und dem Garten seitlich des Gebäudes gibt es auf den diversen Ebenen stimmungsvolle Plätze, die im Wechsel der Jahreszeiten zum Verweilen einladen.

Für die künftige Komfortsteigerung ist bereits vorgesorgt: Ein großer, noch roh belassener Raum im Untergeschoss enthält die Anschlüsse zum Ausbau eines Wellness-Bereichs. Leichten Herzen konnte die Bauherrin dagegen auf den ursprünglich mal geplanten langen Pool im Garten verzichten. „Eine Energieschleuder zu einem Haus nach Minergiestandard passt nicht“, erklärt sie. „Wir haben zum Schwimmen den See in der Nähe – das ist perfekt.“ So perfekt, wie das Haus mit Neigung zum Hang.

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Links

Projektarchitekt

Architekturbüro Herbert Bruhin

www.herbertbruhin.com

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