Plus durch Minus
Auf antiken Pfaden: Die Architekten Giuseppe Gurrieri und Valentina Giampiccolo entdecken das Hofhaus neu.
Gelungener Eingriff: Um eine ehemalige Käserei in ein Wohnhaus für eine Familie zu verwandeln, schnitten die Architekten Giuseppe Gurrieri und Valentina Giampiccolo ein kubisches Volumen aus einem historischen Gebäude heraus. Der neu entstandene Hof sorgt nicht nur für Helligkeit. Als kommunikativer Mittelpunkt des Hauses dient er zugleich als dessen Visitenkarte.
Die Logik der Mathematik ist durchaus dehnbar – erst recht in den unwägbaren Gefilden der Architektur. Wie eine materielle Subtraktion in einer atmosphärischen Addition münden kann, offenbart ein Projekt in der sizilianischen Stadt Ragusa. Großzügig, doch dunkel erschienen den Architekten Giuseppe Gurrieri und Valentina Giampiccolo die Räume einer ehemaligen Käserei bei ihrer ersten Begehung. Dennoch ließen sie die verschlossenen Fassaden beim Umbau in ein Wohnhaus für eine Familie unberührt.
Transformation mit dem Skalpell
Um das fehlende Tageslicht ins Innere zu holen, setzte das Architektenduo aus Ragusa auf eine Bauform, die schon im alten Rom ihre Wirkung nicht verfehlte: das klassische Hofhaus. Wie Chirurgen schnitten Gurrieri und Giampiccolo ein würfelförmiges Volumen aus dem Gebäude heraus und richteten sämtliche Räume zum neu entstandenen Mittelpunkt des Hauses aus. Damit die Spuren des Eingriffs nicht allzu deutlich ins Auge springen, behandelten sie die Hofwände mit grauem Putz aus natürlichem, hydraulischem Kalk, dessen unregelmäßig changierende Oberfläche mit der historischen Substanz harmoniert.
Historische Lesbarkeit
Der Hof grenzt direkt an die freigelegte Südfassade an, in der sich die Eingangstür befindet. Haben Besucher und Bewohner die Pforte passiert, öffnet sich ihnen der Hof als Visitenkarte des Hauses. Dessen Wirkung wird von zwei metallenen sowie einer steinernen Brücke bestimmt, die im ersten und zweiten Obergeschoss die zerschnittenen Gebäudeteile wieder miteinander verbinden. Der historischen Südfassade wurde eine Steinbrücke vorgelagert, mit der die Balkontür im ersten Obergeschoss betreten werden kann. Ihr bogenförmiger Unterbau macht die Konturen des früheren Lagerraums lesbar, der mit seiner gewölbten Decke dem neuen Hof weichen musste.
Ornamentale Verbindungen
Für die beiden Metallbrücken wählten die Architekten transparente Gitterböden, um die offene Wirkung des Hofes nicht zu beeinträchtigen. Mit dem Stand der Sonne wandern ihre Schatten an den Wänden entlang und erzeugen einen spannungsvollen, grafischen Effekt. Wie ein Kontrapunkt zum strengen Raster wirken die umlaufenden Geländer, die mit ihren geschmiedeten Vierpässen ein typisches Dekorationselement der Gotik aufgreifen. Auch dabei wurde nichts dem Zufall überlassen. Schließlich korrespondieren die Vierpässe mit dem Muster der Jugendstil-Tonziegel, mit denen Giuseppe Gurrieri und Valentina Giampiccolo nicht nur die Oberseite der steinernen Brücke verkleidet haben.
Regenerative Qualitäten
Auch der Treppenaufgang am Ende des Wohnzimmers wurde mit denselben Ziegeln ausgestattet, während in der Küche ein farblich abgestimmtes, jedoch weitaus abstrakteres Muster jüngeren Datums zum Einsatz kam. Wie ein Echo auf die steinerne Brücke im Hof wirkt das Wohnzimmer, das sich ebenerdig anschließt. Die weiß verputzten Wände bilden den neutralen Hintergrund für das freigelegte, steinerne Deckengewölbe. Besonderes Augenmerk wurde darauf gelegt, mit vorhandenen Materialien zu arbeiten, die als Stampfbeton für neu hinzugefügte Elemente verwendet wurden. Auch die früheren Tanks, in denen die Salzlake zur Käseherstellung aufbewahrt wurde, fanden eine neue Verwendung. Als Regenspeicher versorgen sie nicht nur die sanitären Anlagen des Hauses, sondern ebenso die Pflanzen, die auf dem Dachgarten und im Hof farbliche Akzente setzen.
FOTOGRAFIE Filippo Poli
Filippo Poli