Radikal Rational
Bitte einmal unfertig: Umbau eines 100 Jahre alten Hauses in Kyoto.
Wie geht man respektvoll mit der Vergangenheit um und liefert gleichzeitig Antworten auf heutige Wohnbedürfnisse? Diese Frage stellte sich das japanische Architekturbüro NAAD, als es mit dem Umbau eines über 100 Jahre alten Holzhauses mitten im historischen Zentrum von Kyoto beauftragt wurde. Und die Antwort ist simpel: Während das äußere Erscheinungsbild vollständig erhalten blieb, fügten die Gestalter eine innere Fassade hinzu, die radikal modern ist.
Der Bauherr ist Mitte zwanzig und lebt alleine: Seine Vision vom Leben ist noch nicht von Absicherung und Familienplanung geprägt. Daher wünschte er sich ein Eigenheim, das alles andere als solide sein sollte. Es sollte einen temporären, fast flüchtigen Charakter haben: eben ein Ephemeral House.
Unfertig, wie gewünscht
Holz, überall ist Holz. Doch während außen der Werkstoff in seiner 100 Jahre alten, dunklen Färbung den Ton angibt, ist das Innere des Baus mit hellen Sperrholzplatten ausgekleidet. Das Ephemeral House in Kyoto ist ein Umbauprojekt der japanischen Architekten Yoichiro Hayashi und Shogo Sakurai (NAAD), die mit ihrer reduzierten Gestaltungsidee vor allem die Hierarchie zwischen Vergangenheit und Gegenwart außer Kraft setzen wollen. Das unbehandelte Material bedeckt wirklich alles: Boden, Wände und Decken. Es könnte auch eine Kunstinstallation oder Baustelle sein, die wir hier betrachten, und genau diesen Eindruck wünschte sich der Bauherr. Das Haus sollte „unfertig“ wirken, weshalb er auch die Möblierung auf ein Minimum reduzierte.
Wohnen im Sandwich
Die Aufdopplung der Außenhülle wird nicht versteckt: Die neu hinzugefügte Fassade schmiegt sich unmittelbar an die alte Substanz und bildet eine Art Sandwichkonstruktion. Durch eine niedrige Aufkantung am Boden wird der Eindruck einer Schichtung noch mal verstärkt. Und von außen betrachtet kann man den Aufbau der Holzwand unverhüllt bestaunen. Einzig unangetastet blieben die alten Stützen, Deckenbalken und eine Treppe, die auf den Dachboden führt. Sie sind exponiert und bilden damit einen Kontrapunkt zu der sonst übermächtigen Sperrholzwelt.
Spielerisch im Detail
Auch der alte Grundriss blieb in wesentlichen Zügen erhalten, einzig einige Innenwände wurden entfernt. Und obwohl das Ephemeral House auf den ersten Blick nichts mit traditioneller, japanischer Architektur gemeinsam hat, gibt es doch Ähnlichkeiten und Referenzen, mit denen die Architekten spielen. NAAD setzten auf der 60 Quadratmeter großen Fläche eine Vielzahl von Schiebetüren ein, die aus intimen Rückzugsräumen mittels weniger Handgriffe großzügige und offene Bereiche schaffen können. Auch das Plattenformat des Sperrholzes und das Muster der Verlegung erinnert an Tatami-Matten, die in Japan in den traditionell gestalteten Zimmern als Fußboden verwendet werden. Das Ephemeral House erfüllt auf beeindruckende Weise die Wünsche des Bauherren und schafft ein temporäres Baukunstwerk, dessen Schichtung von zeitlichen Ebenen nicht nur konzeptionell, sondern auch visuell funktioniert.
FOTOGRAFIE Keishiro Yamada
Keishiro Yamada