Rote Tür zur Black Box
Chilenische Hütte von Estudio Diagonal

Refugio – Rückzugsort – nennen die Architekten von Estudio Diagonal ihre einfache, zweigeschossige Hütte. Sie steht in einer Gegend Chiles, in der die Grandezza der Natur die Hauptrolle spielt: Wer hier übernachtet, sucht Entschleunigung in der stadtnahen Wildnis – und findet alles auf drei mal drei Metern.
Das Architekturbüro Estudio Diagonal arbeitet in Osorno, einer am Fuße eines dauerhaft schneebedeckten Vulkans gelegenen Kleinstadt im Süden von Chile. Aufgrund der vielen Seen, Wälder und Berge wird die Gegend auch als chilenische Schweiz bezeichnet. Die Menschen hier verbringen ihre Zeit gern in der Natur, wandern im Sommer und fahren in den kalten Monaten Ski. Juan Pablo Delgado, Gründer des Estudio Diagonal, wuchs in der ein paar Kilometer von Osorno entfernten Stadt La Union auf. Als er seine Eltern vor einiger Zeit in ihrem Haus am äußersten Stadtrand besuchte, erfuhr er von einem an ihr Grundstück grenzenden Fleckchen Erde, das zum Verkauf stand: „Es ist ein verlassener Wald, der aber noch zur Stadt gehört.“ Drumherum gibt es vereinzelt noch ein paar alte Landhäuser, die aus der deutschen Kolonialzeit stammen. Gleich dahinter beginnen die grünen Weiten der Región de Los Ríos. „Hier wollten wir einen behaglichen Ort schaffen, der von der Natur profitiert: ihre Qualitäten nutzt, sie aber nicht verändert“, berichten die Architekten.
Funktionale Askese unterm Blätterdach
Der Zugang zum Bauplatz erfolgte durch unwegsames Gelände. Keine Straße führt hierher, lediglich ein paar Trampelpfade schlängeln sich zwischen Büschen und Bäumen durchs Unterholz. Bauteile vorzufertigen war deshalb keine praktikable Lösung. Alle Balken, Bretter, Fenster und Türen wurden einzeln auf die Baustelle getragen und verbaut. Deswegen setzten die Architekten bei der Planung auf eine einfache Konstruktion, die auch unter den erschwerten Bedingungen theoretisch in weniger als einem Monat umzusetzen gewesen wäre. Tatsächlich dauerte der Aufbau aber drei Monate – weil er nicht kontinuierlich, sondern als privates Projekt neben anderen Bauaufträgen realisiert wurde. Gerade einmal neun Quadratmeter auf einem quadratischen Grundriss misst die fertige Hütte. Allerdings war die Größe keine Bedingung. „Es hätte kein Tiny House sein müssen. Nur ein Ort, der in seiner Umwelt nicht wie eine unglückliche Intervention wirkt“, berichten die Architekten. Beim Budget hatte Juan Pablo Delgado, der ein wahrer Auto-Enthusiast ist, sich und seinen Kollegen das Ziel gesetzt, dass das Refugio nicht mehr kosten sollte als ein Sedan.
Im Einklang mit dem Wald
Das gebaute Ergebnis bewegt sich im Spannungsfeld von konsequenter Geometrie und organischen Formen. Als geheimnisvolle Black Box steht der Kubus gut getarnt im Wald, seine rote Tür wirkt hingegen wie eine visuelle Einladung. Das Häuschen ist mit schwarz lackiertem Wellblech verkleidet und gibt sich zur Front und zur Hangseite verschlossen. Die Rückseite ist für die bessere Luftzirkulation mit zwei kleinen Fensterluken ausgestattet und die zum Tal weisende Fassade hat ein über die gesamte Fläche laufendes Panoramafenster. Im Innern öffnet sich der eigentlich kleine Raum mit natürlichen Holzflächen, weiß gestrichenen Wänden und einer doppelten Raumhöhe. Statt einer ins Obergeschoss führenden Treppe haben die Architekten eine Metallleiter installiert. Was thematisch gut zu einer rustikalen Herberge mit einer Erschließung über Wanderpfade passt, finden die Planer von Estudio Diagonal: „Eine reguläre Lösung hätte einen um ein Drittel größeren Grundriss gefordert. Deshalb haben wir auf eine schlanke Steigleiter gesetzt – und leben mit den sportlichen Konsequenzen.“
FOTOGRAFIE Nicolás Saieh
Nicolás Saieh
Mehr Projekte
Camden Chic
An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

Aus Werkstatt wird Wohnraum
Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Londoner in der Lombardei
Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See

Zwischen Stroh und Stadt
Nachhaltiges Wohn- und Atelierhaus Karper in Brüssel von Hé! Architectuur

Flexibel zoniert
Apartment I in São Paulo von Luiz Solano

Freiraum statt Festung
Familienhaus mit Innenhof in Bangalore von Palinda Kannangara

Kork über Kopf
Umbau eines Penthouse mit Korkdecke von SIGLA Studio in Barcelona

Drei Pavillons für ein Familiendomizil
Australisches Wohnhaus von Pandolfini Architects und Lisa Buxton

Ein Haus der Gegensätze
Kontrastreicher Neubau nahe Barcelona von Ágora

Die Magie der Entgrenzung
Luftiger Neubau Casa Tres Patis von Two Bo in Spanien

Raumsequenzen in der Grotte
Casa Gruta in Mexiko von Salvador Román Hernández und Adela Mortéra Villarreal

Altes Haus im neuen Licht
Familienwohnung von Jan Lefevere in Kortrijk

Mehr Platz fürs Wesentliche
Umbau eines Backstein-Cottage in London von ROAR Architects

Raum-Chamäleon
Flexibel nutzbarer Anbau in Brisbane von Lineburg Wang

Wohnräume mit Tiefgang
Innenausbau einer Villa am Rhein vom Düsseldorfer Studio Konture

Holz und Stein im alpinen Dialog
Apartmenthaus Vera von atelier oï und CAS Architektur in Andermatt

Haus mit zwei Gesichtern
Umbau eines Reihenhauses in Lissabon von Atelier José Andrade Rocha

Umbau am offenen Herzen
Ply Architecture transformierte einen Sechzigerjahre-Bungalow in Australien

Reise in die Vergangenheit
Studio Hagen Hall gestaltet ein Londoner Reihenhaus im Mid-Century-Stil

Downsizing als Designprinzip
Kompaktes Wohnhaus in Portugal von Atelier Local

Der Reiz der Reduktion
Innenarchitekt Ilkka Palinperä gestaltet ein Wohnhaus bei Helsinki

Authentische Askese
Apartment-Rückbau in Paris von Atelier Apara

Umbau im Anbau
Gianni Botsford erweitert Fosters Londoner Frühwerk

Visionen vom Wohnen
Design-Apartments auf der MDW 2025

Mit Ecken und Kurven
Umbau eines Reihenhauses in London von Pensaer

Raw in Rio
Von Säulen geprägter Wohnungsumbau von Estudio Nama

Nostalgie nach Mass
Belgravia Townhouse von Child Studio

Grobe Perfektion
Symbiose aus Beton und Holz in einem Apartment in Tokio von Kenta Hirayama

Appetitliches Apartment
Wohnungsumbau von Iva Hájková Studio in Prag

Raumwunder in Porto
Umbau eines portugiesischen Mini-Häuschens von Spaceworkers
