Rotonda Light
Ein Familienwohnhaus bei Bratislava, das einen Kontrapunkt zu seinen Nachbarn setzt.

Die Ambitionen waren groß, der Blick in die Nachbarschaft eher ernüchternd. Und doch ist es den Architekten von N/A aus Bratislava mit diesem Einfamilienhaus gelungen, das Beste einzufangen, was dieses Vorortgrundstück zu bieten hat: die unverbaute Sicht ins Grüne. Die Nachbarn dagegen, die werden weitgehend ausgeblendet.
Was dem einen Idyll ist, ist für andere pure Ödnis: Man hört die samstäglichen Rasenmäher förmlich brummen, im Herbst verbrennt im Garten das Laub, und im Winter gibt es hier: nichts. Da lockt lediglich die Stadt als Tagesziel. Der Ort Alžbetin Dvor liegt ein Stück östlich von Bratislava. Eine Durchfahrtsstraße, gesäumt von älteren und neueren Einfamilienhäusern. Auch die Seitenstraßen führen zu Eigenheimen – weiter draußen viele frische, deren Bautafeln Aufschriften wie „Ihr Glück im Grünen“ getragen haben dürften. Dort, am Rande dieses architekturfreien Gebietes, entschloss sich eine junge Familie zu bauen – aber anders.
Spiel mit dem Vorort
Es sollte kein „Modell“ von der Stange werden – ein Haus aber, das mit dem Charakter dieser Vorortsiedlung spielt und besonders die Vorzüge ausreizt. „Das Projekt versucht, den räumlichen Reichtum des ländlichen Wohnumfelds neu zu gestalten, welcher privat und gemeinschaftlich ist, im Freien und drinnen liegt, extrovertiert und introvertiert wirkt“, so die Architekten Benjamín Brádňanský und Víto Halada von N/A aus der Hauptstadt. Allerdings begegneten ihnen die Bauherren mit einer Herausforderung: dem Budget. 180.000 Euro standen zur Verfügung. Ein vergleichbares Standardhaus kostet in dieser Gegend laut Architekten nur ein Fünftel weniger. So war von vornherein klar, dass sich das Haus durch Einfachheit auszeichnen müsse. Dabei aber zugleich den Wünschen gerecht werden sollte, den Raum optimal auszunutzen sowie die ländliche Lage einzubeziehen.
Zweite Hülle aus Beton
Mithilfe einer schlichten Bauweise konnten die Architekten die Kosten klein halten. Das LJM House, dessen Name die Initialen der Bauherren trägt, ist ein eingeschossiger, fast quadratischer Betonbungalow mit Flachdach. Die eigentliche Spannung wird durch eine zweite Hülle, eine Mauer aus Sichtbeton erzeugt, die das Gebäude in unregelmäßiger Form an drei Seiten umfasst und an der Ostseite einen Autostellplatz einschließt. Damit ist die eigentliche Größe des Baus von außen schwer auszumachen. Aufgrund unregelmäßig angeordneter, fensterloser Öffnungen wirkt er sogar eher wie eine Bauruine denn wie ein fertiges Wohnhaus. Dabei wurde innen großer Wert auf formale Vollendung gelegt.
Vorbild aus der Renaissance
Vorbild für ihr Raumprinzip, so die Architekten, sei nichts geringeres als die Villa Rotonda von Andrea Palladio gewesen. Die Renaissance-Ikone bei Vicenza in Norditalien basiert auf einem quadratischen Grundriss, bei dem sich die Räume an den Außenseiten anordnen und dessen Zentrum von einer Kuppel überhöht wird. Alle Säle und Kammern lassen sich im Kreis durchschreiten. Der Vergleich mag vielleicht etwas hochgegriffen sein, doch, wie Benjamín Brádňanský und Víto Halada es ausdrücken, diente er „hauptsächlich als Referenz für ihre Beziehungen zur Landschaft des Veneto. Vier identische Loggias werden (bei der Villa Rotonda, Anm.d.Red.) als architektonisches Mittel verwendet, um die Ausblicke in vier verschiedene Umgebungen einzurahmen. Sie erweitern das Interieur bis auf die äußere Hülle der Villa.“
Spartanisches Interieur
Ganz im Gegensatz zu seinem Vorbild ist die slowakische Villa im Inneren allerdings weniger prächtig, sondern vielmehr spartanisch eingerichtet. Maßgefertigte Schränke aus blankem Sperrholz im Flur, Regale im Wohnbereich und in der Küche bieten reichlich Stauraum. Auch die Türen bestehen aus dem Holzwerkstoff. Damit spendet der Kern die optische Wärme, die man sich im Wohnhaus wünscht, während die äußeren Wände allesamt in Weiß gehalten sind und die Decke in kühlem Grau über den Köpfen hängt. Am Boden liegen Holzdielen. Der Blickpunkt der Küche ist die lange, weiße Kücheninsel.
Mit ihrer Betonvilla trieben die Architekten eine bedauernswerte Eigenart von Vorortsiedlungen kritisch auf die Spitze: das Sich-Abschotten hinter Zäunen und Mauern. N/A lehren aber gleichzeitig, wie man mit Fläche besser umgehen kann: Das 1.200 Quadratmeter große Grundstück grenzt sich nicht ab, sondern öffnet sich zum Feld und bleibt zur Straße zaunlos. So wirkt der Bau trotz seiner Mauern letztlich weniger abgeschottet als so manches Katalogidyll. Na dann: Auf gute Nachbarschaft!
FOTOGRAFIE Jana Ilková
Jana Ilková
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