Ruhe und Ratio
Ein ehrlich gemütliches Büro in Tokio von DDAA
Zu den Vorteilen des Homeoffice gehören neben dem Sofa und dem nahen Kühlschrank auch die fehlenden Blicke der Kolleg*innen und die Möglichkeit, sich gemütlich einzukuscheln. Doch nur wenige Planende berücksichtigen diese „realen“ Annehmlichkeiten des heimischen Schreibtischs bei der Gestaltung von Gemeinschaftsbüros. Anders macht es das Studio DDAA: In einem Büro in Tokio schufen die Planer*innen Rückzugskuben, störten Sichtachsen durch Grünpflanzen und bauten einen fußwärmenden Gemeinschaftstisch, den traditionellen Kotatsu.
Bei der Gestaltung eines Büro-Interieurs für die japanische Kommunikationsagentur Hakuhodo Gravity hat das Studio DDAA vor Planungsstart eine postpandemische Bestandsaufnahme zum Thema Homeoffice versus Office gemacht. Denn um die Menschen wieder kollektiv ins Büro zu bekommen, wollten sie zuerst wissen, was die Menschen zu Hause hält. Dabei waren sie vor allem eines: ehrlich. Neben Homeoffice-Vorteilen wie „in Ruhe und allein arbeiten“ konstituierten sie auch beliebte Beschäftigungen wie „Unordnung machen“, „Faulenzen“ oder „Kaffeekochen“. Will das physische Büro samt Kolleg*innen, Lärm, sozialer Kontrolle und Flurfunk nicht nur eine Alternative sein, so muss es die Qualitäten, die das Arbeiten daheim bietet, integrieren. Das Team von DDAA entschied sich, im neuen Office der Agentur Hakuhodo Gravity die unterschiedlichen und oft gegensätzlichen Funktionsräume nicht zu trennen, sondern auf einer Fläche zusammenzubringen.
Arbeiten in der U-Bahn
Für die Agentur bedeutete das neue Büro auch einen Umzug in ein gerade fertiggestelltes Gebäude. Dadurch konnten viele Ideen der Architekt*innen in Bezug auf den Zustand und das Layout der Räume berücksichtigt werden. „Die Lebensdauer des Innenraums ist im Vergleich zur Architektur extrem kurz. Mit Blick auf die Zukunft ist es sinnvoll, den Innenausbau zu minimieren“, erklären die Planer*innen. Sie ließen – wo möglich – gemauerte Wände weg und setzten auf eine Zonierung durch Mobiliar, Einbaustrukturen, Textilien und Raumkuben. Der Grundriss geht im wahrsten Sinne des Wortes seinen eigenen Weg. Statt für einen offenen Großraum entschied sich DDAA für einen u-förmigen Schlauch, in dessen Zentrum eine informelle Lounge und ein abgeschirmter Besprechungsraum stationiert sind.
Eine Lounge mit offener Decke
Zugänglich ist das Herzstück der Fläche von den drei umlaufenden Seiten. Die Abtrennung erfolgt auf der einen Längsseite durch ein Schranksystem, gegenüber wurde ein offenes Regal eingezogen. Um die Lounge trotz der Transparenz von den Arbeitsbereichen abzuheben, ist das rasterförmige Deckensystem nicht mit weißen Trennplatten ausgestattet. Rohre und Leitungen der Haustechnik sind unter der schwarz gestrichenen Decke sichtbar und erzeugen den Eindruck, der Raum würde sich nach oben öffnen. Außerdem wurde in der Lounge das Hohlbodensystem aus quadratischen Platten entfernt, das im Objektbereich dazu dient, Kabel, Leitungen und andere technische Installationen zu verstecken – und gleichzeitig schnell zugänglich zu machen. Auch diese Maßnahme bedeutet ein paar Zentimeter Gewinn bei der Raumhöhe und wirkt als physisch wahrnehmbare Raumgrenze.
Transformation vom Boden zum Regal
„Wir hatten das Ziel, die Verschwendung von Ressourcen zu vermeiden“, erläutert das Team von DDAA. Die Architekt*innen verzichteten daher auf das Verlegen von Teppichfliesen und ließen die Platten und Zugänge des Hohlbodens sichtbar. Außerdem suchten sie nach alternativen Einsatzmöglichkeiten für die rückgebauten Elemente. Im Zusammenspiel mit Gewindestangen und Trägermodulen wurde aus den Platten ein System, aus dem Möbel für den Bürobereich gebaut werden konnten. Dazu gehören raumhohe Regale, die Basisgestelle der Sofas und – mit dem Kotatsu – auch ein typisch japanisches Möbelstück. Der Kotatsu ist ein Tischrahmen, über den erst eine Decke gelegt wird und dann eine Tischplatte. Die Menschen setzen sich so an den Tisch, dass ihre Beine unter der Decke und dem Tisch stecken, wo zusätzlich eine Wärmequelle installiert wird. Allerdings ist ein Kotatsu traditionell ein Möbel für den Privatgebrauch. Dass die Gestalter*innen es hier in einen professionellen Kontext stellen, ist ihr Kommentar zur wohnlichen „Fluffifizierung“ des Büros.
Begrünte Arbeitsinseln
Das U der Arbeitszone wird wie ein langer Korridor durchschritten und bietet aufeinanderfolgend und nebeneinanderstehend unterschiedliche Aufenthaltsangebote und Arbeitsumgebungen an. Auf der Fläche einer Längsseite steht mittig eine große, organisch geformte Tischinsel, an der die Mitarbeitenden nicht Schulter an Schulter, sondern versetzt zueinander sitzen. Ein in den Tisch integriertes Pflanzenbeet wird zur Indoor-Hecke und schützt vor der direkten Beobachtung durch die Kolleg*innen. Wer einen kurzen, aber effizienten Rückzug sucht, kann in den direkt benachbarten, gerade einmal schulterhohen Cubicles abtauchen. Darauf folgen große Sofaflächen, ein langer Glastisch, Arbeitsnischen am Fenster und hohe Tresentische mit Barhockern. Eine Besonderheit ist die Küche, die mittig an der Kopfseite installiert wurde. Sie ist von allen Seiten zugänglich, damit sich die Nutzer*innen dort frontal unterhalten können, statt nebeneinander an der Spüle zu stehen.
Rohre, Stangen, Plattenware
Typisch für die Projekte von DDAA ist es, mit Readymades und Halbzeugen zu arbeiten und damit individuelle Einbauten zu gestalten. Außerdem verzichten die Designer*innen größtenteils auf Lacke, Furniere und Folierungen. Im Zusammenspiel mit den nahezu im Rohbau belassenen Räumen sorgt der materialehrliche Zugang für einen industriellen Charakter. Alle anderen Details sind ein Echo auf das Arbeitsfeld des Kunden Hakuhodo Gravity, der auf die Modebranche spezialisiert ist. Vorhänge aus schweren Seilen trennen privatere Zonen von der freien Fläche, statt Griffen wurden an den Türen Streifen aus Nylonstoff angebracht. Durch den individuellen gestalterischen Zugang und die Erweiterung der traditionellen Bürotypologie um Annehmlichkeiten des Homeoffice wurde ein Ort geschaffen, der zum Bleiben motiviert und den Austausch zwischen den Kolleg*innen anregt – etwa, wenn alle ihre Füße gemütlich unter den Kotatsu stecken.
FOTOGRAFIE Yannes Kiefer Yannes Kiefer