Sanfter Klotz
Ein Betonmonolith im Tessiner Dorf Ranzo am Ostufer des Lago Maggiore mit außerwöhnlichen inneren Werten.

Beton ist sensibel. Das wissen auch die Schweizer Architekten Wespi de Meuron Romeo. Ihr neues Wohnhaus steht als Betonmonolith im Tessiner Dorf Ranzo am Ostufer des Lago Maggiore – jedoch gut versteckt: Von der Straße aus zeigt sich gerade noch das Dach des Hauses. Die gesamte Villa ist lediglich vom See aus sichtbar.
Man muss langsam fahren auf der Seepromenade an der Küste des Gambarogno, sonst übersieht man die Einfahrt. Auf der Schweizer Seite, oberhalb des Dorfkerns von Ranzo gelegen, gräbt sich der zweigeschossige Betonkubus in den Steilhang – ein zeitloses Pendant zu den traditionellen Steinbauten, die typisch sind für die Region. Ganz so idyllisch, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist die Gegend jedoch nicht. Die Zugstrecke unterbricht die Stille im regelmäßigen Takt. Zur Straße schottet sich das Wohnhaus deshalb von seiner Umgebung ab, öffnet sich aber zur See- und Bergkulisse. Nur der Schornstein auf dem Dach verrät, ob jemand zuhause ist.
Maison du Beton
Der verputzte Betonkubus ist präzise detailliert und verzichtet auf jegliche überflüssigen Elemente. So wirkt das Wohnhaus auf den ersten Blick karg, die Architekten bezeichnen es als „minimalistisch modern“. Für Wespi de Meuron Romeo bedingen sich Architektur und Material – der Beton braucht Gemütlichkeit. Deshalb haben sie sich außen wie innen nicht für glatte Sichtbetonoberflächen entschieden, sondern konsequent einen traditionellen Kalkzementverputz verwendet. Er soll an die lokalen traditionellen Gemäuer erinnern und in dem Haus „eine archaische, mit dem Ort verwurzelte Atmosphäre“ aufkommen lassen, erklärt Jérôme de Meuron, Neffe des bekannten Architekten Pierre de Meuron. „Durch die Ambivalenz der Materialität entzieht sich das Wohnhaus gewissermaßen einer zeitlichen Zuordnung: Es verbindet die Tradition mit der Neuzeit.“
Eine ortstypische Natursteinpflasterung im Außenhof, die auch das Dach bedeckt, verbindet sich fugenlos mit der gleichartigen Pflasterung des öffentlichen Fußweges, der von dem privaten Wohnhaus zum Strand führt. Formal sowie in seiner Materialität steht das Haus in Ranzo somit ganz in der Tradition der Tessiner Schule, die Mario Botta bereits Ende der sechziger Jahre geprägt hat: durch seine kompromisslose, fast radikale Beschränkung auf einfache geometrische Formen und seine Vorliebe für Baumaterialien wie Naturstein, Backstein und Beton.
Da das Haus auf der einen Seite in den Hang gegraben ist, war die Belichtung für die Architekten eine Herausforderung. Auffallend sind Lichthöfe, die vor allem den Schlafzimmern vorgelagert sind und so die Sonneneinstrahlung in die Räume reflektieren. Die Architekten wollten so einen „geschlossen wirkenden, muralen Baukörper von poetischer Ausstrahlung“ schaffen; gleichzeitig dienen die Lichthöfe als Schallschutz.
Wohnhaus oder Kloster
Die Atmosphäre im Inneren wird von den verputzen Böden, Decken und Wänden geprägt. Kunst oder Familienfotos finden sich hier nicht. Möbel, Tische und raumhohe Schrankeinbauten aus heller Eiche, die genügend Stauraum schaffen: Alles ist aufgeräumt, nichts lenkt ab. Man könnte fast meinen, ein ehemaliger Mönch hätte sich hier niedergelassen – oder ein junger Geschäftsmann aus Zürich. Die Suche nach Ruhe, Ordnung und Abgeschiedenheit ist das, was beide vereint und in diesem Haus zum Ausdruck kommt.
FOTOGRAFIE Hannes Henz, Zürich
Hannes Henz, Zürich
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