Schraube aus Beton
Steil am Hang: Ein Haus im spanischen Küstenort Sant Pol de Mar rotiert um die eigene Achse.
Raue Schale mit wohnlichem Kern: Im spanischen Küstenort Sant Pol de Mar entwarf der katalanische Architekt Daniel Isern ein Wohnhaus für eine Familie. Das Besondere des Entwurfs besteht nicht nur darin, die satte Steigung des Grundstücks zu überwinden. Mit einem Wechselspiel von offenen und geschlossenen Volumina wird das Gebäude in seiner Umgebung fest verankert.
Der junge, katalanische Architekt Daniel Isern lässt sich selbst von steilem Gefälle nicht so schnell aus der Fassung bringen. Seine Strategie ist einfach wie wirkungsvoll: Er erklärt die Unwägbarkeiten des Geländes kurzerhand zur Tugend. Im beschaulichen Küstenort Sant Pol de Mar, rund 50 Kilometer nordöstlich von Barcelona, realisierte er ein Wohnhaus für eine Familie – und meisterte damit weit mehr als eine architektonische Reifeprüfung.
Bewohnte Treppe
Satte 100 Prozent beträgt die Steigung des Grundstücks – gleichbedeutend mit einem Winkel von 45 Grad. Als wäre das an Herausforderung nicht genug, waren auch die finanziellen Mittel des Bauherren knapp bemessen. Die Lösung, die Daniel Isern entwickelte, folgt der Logik einer Treppe. Ein kontinuierliches Gefälle wird dabei in eine Abfolge von Stufen übersetzt, die in diesem Falle allerdings nicht geradlinig in einer Reihe verlaufen. Die Kubatur des Gebäudes gleicht einer riesigen Wendeltreppe, bei der die einzelnen Stufen – die hier den vier Etagen des Wohnhauses entsprechen – im Winkel von 90 Grad zueinander verdreht wurden.
Minimaler Fußabdruck
Die Vorteile dieser rotierenden Stapelbauweise sind klar: Zum einen wird die kompakte Größe des Grundstücks optimal ausgenutzt und der Höhensprung auf schlüssige Weise überwunden. Umgekehrt bewirkt die aufragende Konstruktion eine minimale Versiegelung des Bodens, sodass auf das Fällen von Bäumen verzichtet werden konnte. Indem die Etagen seitlich verdreht wurden, entstand ein Dialog mit der Natur. Schließlich dienen die Flachdächer als weitläufige Terrassen für die höher gelegenen Stockwerke, während deren Unterseiten wiederum ein schützendes Dach formen.
Doch nicht nur die Verschachtelung der Räume bestärkt die skulpturale Wirkung des Gebäudes, sondern ebenso seine Materialität. Weil sämtliche Wände und Decken aus Sichtbeton bestehen, wirkt das Haus tatsächlich wie aus einem Guss. Lediglich in den Innenräumen sind einige Wände weiß verputzt, als wollten sie einen neutralen Rahmen für die stark strukturierten Betonoberflächen und das Panorama der umliegenden Landschaft bilden.
Fließende Landschaft
Unterstützt wird das Zusammenspiel aus offenen und geschlossenen Volumina durch die raumhohen Schiebefenster, deren breite Holzrahmen einen atmosphärisch-warmen Kontrapunkt gegenüber dem Grau des Betons liefern. Der nachwachsende Rohstoff bildet zugleich die Visitenkarte des Wohnhauses. Auf der obersten Etage wurde die Haustür in eine komplett mit Holz vertäfelte Wand eingelassen und auf diese Weise beinahe unkenntlich gemacht. Lediglich ein kleines Vordach sowie eine an die Holzwand montierte Laterne lassen den Eingangsbereich als solchen erahnen.
Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass Daniel Isern bei seinem Vorbild Mies van der Rohe genau hin sah und die Reduktion des Eingangsbereiches durch eine gesteigerte Transparenz im Inneren zu kompensieren verstand. Der Absolvent der Universitat Politècnica de Catalunya (UPC) in Barcelona und der University of Strathclyde in Glasgow hat damit nicht nur seine Aufgabe bestens erfüllt. Er hat einem keineswegs einfachen Grundstück ein Gebäude mit Charakter abgewonnen, das nicht als Fremdkörper in der Natur steht, sondern auf souveräne Weise mit ihr verschmilzt.
FOTOGRAFIE Adrià Goula
Adrià Goula
Projektarchitekt
Daniel Isern