Seebär an Land
Ein Piranesi-inspirierter Dachgeschossumbau von Dodi Moss in Genua

In der Altstadt von Genua hat das Architekturbüro Dodi Moss zwei Dachgeschosse aus dem 17. Jahrhundert zusammengelegt: zu einer 110-Quadratmeter-Wohnung mit exponiertem Gebälk, Piranesi-artigen Raumwindungen und spektakulären Terrassen mit Blick über die Stadt.
Ligurien ist die Region der Treppen. Ganz gleich, ob im Cinque Terre, in Portofino oder in der Lokalhauptstadt Genua: Die Küstenorte sind an steilen Hängen gebaut, was den Bewohnern ein natürliches Dauertraining ihrer Wadenmuskulatur abverlangt. Straßen und Wege führen steil hinauf oder sind durch Stufen miteinander verbunden. Auch die alten Häuser sind in die Vertikale statt in die Horizontale ausgerichtet, weshalb selbst kleine Fischerdörfer aus der Ferne wie dicht gedrängte Hochhaus-Ensembles erscheinen.
Das System der Höhenstaffelung wurde auch bei einem Wohnungsumbau in der Altstadt von Genua zum Prinzip erklärt. Der Eigentümer arbeitet in einem für die Stadt überaus typischen Sektor: Als Ingenieur im Schiffsbau verbringt er jedes Jahr mehrere Monate auf hoher See und muss in dieser Zeit mit kompakten Kajüten Vorlieb nehmen. Für seine Wohnung in Genua wünschte er sich das genaue Gegenteil: Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erbauten Räume sollten in einen Ort der Weite und des Lichts verwandelt werden, wofür das lokal ansässige Architekturbüro Dodi Moss das passende Gespür bewies.
Alternierende Enge und Weite
„Das Haus ist eine Hymne auf das Fehlen von Grenzen. Es gibt keine weiteren Türen als die zu den Badezimmern. Der Raum ist fluide, auf verschiedenen Höhenstufen miteinander verbunden“, sagt Matteo Rocca, Projektplaner bei Dodi Moss. Das Büro ist 1999 vom Architekten Graham H. Moss (1942-2008) aus London und Enrico Dodi aus Mailand gegründet worden. Nach dem Ausscheiden von Moss kam es 2004 zur Neugründung mit den Architekten Alessandro Baldassari, Egizia Gasparini und Mauro Traverso. Heute unterhält das Studio 20 Mitarbeiter an den Standorten Genua und Pisa, darunter neben Architekten und Landschaftsplanern auch Archäologen, Geologen und Agrarwissenschaftler.
Nautische Transfers
Der Wohnraum verteilt sich über verschiedene Höhenebenen. Der Zugang erfolgt über eine 300 Jahre alte Tür auf der fünften und obersten Etage eines Mehrfamilienhauses. Aufgrund der fehlenden Decke fallen die Blicke direkt in das Gebälk des Dachstuhls. „Die Holzstruktur stammt aus der Entstehungszeit des Hauses. In ihr zeigen sich alte Verarbeitungstechniken aus der Republik von Genua, als viele Bauarbeiter sowohl an der Konstruktion von Häusern als auch von Schiffen beteiligt waren. Sie haben nautische Techniken an Land eingesetzt und auch Hölzer wiederverwertet, die beim Auseinandernehmen von Schiffen, vor allem ihrer Masten, gewonnen wurden“, erklärt Jacopo Battistini, der zusammen mit Matteo Rocca den Umbau geplant hat.
Verschachteltes Raumgefüge
Die Architekten nutzten die Höhe des offenen Dachstuhls, um das Bett auf einer neu hinzugefügten Ebene zu platzieren. Diese erstreckt sich oberhalb des Badezimmers, das als freistehendes Volumen den Raum in eine Bibliothek, eine Ankleide sowie eine Sofaecke gliedert. Die dekorativen Fliesen im Badezimmer stammen aus dem 18. Jahrhundert und sind während der Umbauarbeiten an anderer Stelle freigelegt worden. Eine schmale Treppe verbindet die beiden Ebenen. Ihre untersten Stufen sind aus Massivholz gearbeitet, die darüber liegenden wurden gemauert und mit dunkelgrauem Lavastein bekleidet. Die Treppe wird in Richtung Bibliothek von einer weiß verputzten Wand eingefasst, die auf bündiger Höhe mit dem Bücherregal abschließt.
Erweiterte Kochzone
„Der Raum ist geradezu minimal und enthält nur wenige Dinge. Ein beinahe asketischer Ort über den Dächern der Stadt“, erklärt Matteo Rocca. Die Aufgeräumtheit sorgt keineswegs nur für Klarheit. Sie unterstützt vor allem den Eindruck von Weite. Von der Leseecke mit Sessel (Vintage aus den Fünfzigern, gefunden beim Genueser Antiquariat ÂGÉ), Bücherregal (Maßanfertigung) und Bogenleuchte (Modell Arco von Achille und Pier Giacomo Castiglioni für Flos) führt eine weitere Treppe nach oben. Sie wirkt wie eine Spiegelung der Schlafzimmertreppe und teilt mit ihr die Materialität der Lavastein-bedeckten Stufen. Über sie gelangt man in das oberste Stockwerk des Nachbargebäudes, wo eine großzügige Kochzone eingerichtet wurde. Die Einbauküche von Pasquinelli Cucine mit Fenix-Oberflächen und einer Arbeitsplatte aus Basalt-Lavastein greift die Farbigkeit der Treppenstufen auf. Um den Esstisch gruppieren sich Vintage-Thonet-Stühle. Auch sie wurden im Antiquariat ÂGÉ erworben.
Mehrstufige Terrassen
Drei weitere Treppenstufen geben Zugang zur ersten Terrasse, die sich seitlich an die Küche anschließt und 21 Quadratmeter misst. Von dort geht es über eine um 180 Grad gedrehte Metalltreppe hinauf zur zweiten Terrasse, die direkt oberhalb der Küche liegt und eine Fläche von 33 Quadratmetern bespielt. „Hier öffnet sich der Blick auf eine Reihe von kontrastierenden Elementen: Dächer, Türme, Glockentürme und affacciatoi, wie die Dachterrassen hier in Genua genannt werden. Für den Besitzer des Hauses, ist es fast ein wenig so, als wäre er zurück auf See, als würde er zum Deck des Schiffes aufsteigen“, erzählt Matteo Rocca. Auch wenn das Meer von den holzbeplankten Außenräumen nicht direkt zu sehen, sondern lediglich in der Luft zu spüren ist: Zwischen den Gebäuden zeichnen sich die Masten und Schornsteine der großen Schiffe ab, die im Hafen vor Anker liegen. Die See ist für den Hausherren zum Greifen nah. Ob in der weiten Welt oder daheim.
FOTOGRAFIE Anna Positano
Anna Positano
Projekt | Casa per un lupo di mare |
Typologie | Wohnhaus / Umbau |
Ort | Genua, Italien |
Größe Wohnraum | 110 Quadratmeter |
Größe untere Terrasse | 21 Quadratmeter |
Größe obere Terrasse | 33 Quadratmeter |
Entwurf | Dodi Moss Architekten |
Projektteam | Matteo Rocca, Jacopo Battistini |
Bogenleuchte | Arco von Flos |
Fliesen | Vintage 18. Jahrhundert von C.Cogna Napoli |
Küche | Pasquinelli Cucine |
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