Sehen und Gesehen werden
Dieser Widerspruch ist nicht aufzulösen: Wir brauchen Rückzugsräume, um in Ruhe arbeiten zu können und uns wohl zu fühlen. Aber genauso wichtig sind natürlich der Austausch zwischen den Kollegen sowie Orte, an denen man sich zwanglos treffen kann im Büro. Und so wird bei den meisten aktuellen Bauprojekten versucht, den Spagat zwischen beiden Welten hinzubekommen: Offenheit oder Intimität, Zelle oder Großraum, oder irgendetwas dazwischen? Das ungarische Architekturbüro Tervhivatal hat beim Umbau eines Lofts in Budapest auf ein bewährtes Mittel zurückgegriffen, um mit dem großen Widerspruch umzugehen: die Box.
Allerdings haben Zsanett Benedek und Daniel Lakos von Tervhivatal nicht einfach abgeschlossene Kisten nach Art der typisch amerikanischen Cubicles in der Etage der ehemaligen Textilfabrik Goldberger abgestellt – darin ist der Einzelne meist völlig isoliert. Ihre fünf weißen Boxen aus Gipskarton und Stahlrahmen lehnen sich im Maßstab eher an die Architektur an als an die Möblierung. Und sie spielen mit dem Wechsel von geschlossenen Wänden und großen, teilweise verglasten Öffnungen. Je nach Standort und Perspektive blickt man so in enge, relativ dunkle Korridore oder hat helle, gerahmte Ein- und Durchblicke. Vier der fünf unterschiedlich großen und hohen Boxen sind zudem direkt an die Außenwände des Lofts herangerückt und verfügen über natürliches Licht. In den amerikanischen Standard-Cubicles ist dies beileibe keine Selbstverständlichkeit! Die Büros und Besprechungsräume in den Kisten sind also einerseits ausreichend voneinander abgetrennt; andererseits bieten sich genug Möglichkeiten zum Sehen und Gesehen werden – keiner verschwindet völlig in der Versenkung.
Schwarz, Weiß, Grau
Vom Spiel mit den Durchblicken lenkt visuell nichts ab: Die Farbpalette ist auf Weiß und Grau und ein wenig Schwarz reduziert. Die Böden in den Boxen sind mit grauem Linoleum belegt, die restlichen Flächen bestehen aus grauem Beton. Die Wände und die Gewölbedecke des Lofts sind ebenso weiß wie die eingestellten Kuben. Die Verbindung zwischen den über Fußbodenniveau erhöhten, „schwebenden“ Boxen schaffen schwarze, stählerne Stufen und Tritte. Auch bei der Möblierung wurde unnötige Aufregung vermieden: Bewährte Klassiker wie Le Corbusiers „LC2“-Sessel oder Ludwig Mies van der Rohes „Barcelona-Chair“ bestimmen das Bild. Die einzige Extravaganz wurde bislang nicht realisiert: Eigentlich war geplant, auf einer der Boxen eine kleine „Dachterasse“ mit einem Sitzplatz für Zwischendurch einzurichten. Doch die Idee harrt noch ihrer Umsetzung.
Tagsüber Büro, abends Club
Nicht nur den Wechsel zwischen offen und geschlossen, zwischen hellem Tageslicht und dunklem Korridor haben Tervhivatal in dem Altbau-Loft inszeniert. Zumindest nach Einbruch der Dunkelheit können sich Mitarbeiter und Besucher auch an einem speziellen Kunstlichtkonzept erfreuen. Am unteren Rand der Boxen, dort, wo sie auf einem Sockel ruhen, sind verdecke LED-Lichtquellen angebracht. Ihr Licht strahlt auf den Betonboden und verstärkt noch den Effekt des Schwebens. Die atmosphärische Verwandlung des Lofts im Dunklen dient einem ganz konkreten Zweck: Neben seiner Funktion als Büro soll es abends auch als Club dienen – in eine der Boxen wurde eigens ein schwarzer Tresen eingebaut. Praktisch für die Mitarbeiter, die zum abendlichen Vergnügnungsprogramm im Zweifel ihr Büro nicht einmal verlassen müssen.
FOTOGRAFIE Tamás Bujnovszky
Tamás Bujnovszky