SelgasCano: Second Home in Lissabon
Digital Bohème war gestern, heute soll sich jeder im Coworking zuhause fühlen. Zum Beispiel in einem Dschungel.
Ihr eigenes Büro in Madrid liegt in einem Wald und gräbt sich zur Hälfte in den Boden, so dass die Architekten auf die Grasnarbe blicken – seit zehn Jahren arbeiten José Selgas und Lucía Cano mit ihrem Team im Office in the Woods. Mit Second Home Lisboa gelingt den Spaniern nun eine gigantische Bürolandschaft in Portugal: willkommen in einer Parallelwelt mit 1.200 Pflanzen auf ebenso vielen Quadratmetern.
Es sei das beste Büro der Welt, schrieb die Architectural Review 2015 über die Erstausgabe im Londoner East End. „You want to work here“, lobte das RIBA Journal. Große Worte. Dahinter steckt ein Büroangebot, das dem Thema Coworking ein neues Gesicht geben will: Second Home. Damit der Name Programm wird, braucht das Konzept die passende Architektur.
Gestaltet wurde der neuartige Workspace für Start-ups, Kreative und Digitale Nomaden von den spanischen Architekten SelgasCano, die dafür zwei Etagen einer ehemaligen Teppichfabrik in der Hanbury Street in ein superaufregendes Arbeitsumfeld verwandelt haben. Rund 300 Schreibtische stehen hier bereit, außerdem gibt es 1.000 Pflanzen, eine Café-Insel und ein Yogastudio zur Entspannung. Als Trennung dienen transparente, dünne Wände aus Acrylglas, die amöbenhafte Raumstrukturen bilden. Das Leben ist eine Zelle, die sich stetig verändert, weiterwächst, zu etwas Neuem transformiert. Um die nötige Flexibilität auch den verschiedenen Nutzern zu garantieren, haben die Vertragslaufzeiten eine kurze Kündigungsfrist.
Von London nach Lissabon
Mercado da Ribeira, mitten in Lissabon. Diesen Februar eröffnet direkt am Ufer des Tejo ein weiteres Second Home: ein zweites Zuhause für alle Freelancer, die Auftraggeber und somit Arbeit haben. Erst 2014 wurde die 1882 erbaute Markthalle nach aufwändigen Sanierungsmaßnahmen wiedereröffnet, jetzt kochen hier 50 Restaurants unter einem Dach, zwei Millionen Gäste zählte man allein im letzten Jahr. Das perfekte Setting also für den erfolgreichen Coworking-Riesen Second Home, der übrigens noch ganz jung ist. Anfang 2014 von Sam Aldenton und Rohan Silva gegründet, beauftragte Second Home SelgasCano nur kurze Zeit später mit dem ersten Auftrag in London, wo die Architekten im Sommer darauf ihren farbenfrohen Serpentine Pavillion in den Kensington Gardens leuchten ließen. Die Fachwelt rümpfte damals über die „bunte Plastiktüte“ die Nase, Aldenton und Silva hat der temporäre Bau bestimmt gefallen, die erste Zusammenarbeit mit José Selgas und Lucía Cano im East End hatte sie längst überzeugt.
Gewächshaus mit W-Lan
1,3 Millionen Euro später entfaltet sich unter dem Dach der altehrwürdigen portugiesischen Markthalle eine Parallelwelt aus organisch geformten Schreibtischen, die sich durch einen Dschungel aus 1.200 Pflanzen winden. Bei soviel Grün fragt man sich als erstes, wie viele Gärtner in diesem Indoor-Garten wohl tagein tagaus beschäftigt sind. Es ist einer. Der Pressestelle von Second Home Lisboa scheint die Anzahl der Mitglieder wichtiger. Und wer einen der 250 begehrten Mitgliederplätze bekommen hat, darf sich wirklich glücklich schätzen. Für sie ist die Bürolandschaft 24 Stunden am Tag geöffnet, von Montag bis Sonntag, 365 Tage im Jahr: Also immer. Vier Konferenzräume, ein Café, eine Bar und eine Bibliothek erweitern das Angebot.
Digital Bohème war gestern
Egal in welcher Stadt und in welchem Bestand: Entscheidend für ein Second Home sind Rauminszenierung und Möblierung. Lucía Cano hat dafür gut 500 verschiedene Stühle und Schreibtischlampen auf Flohmärkten und Online-Auktionen gesammelt. Diese Vintage-Komponente von Mid-Century-Möbeln bis zu Bauhausklassikern soll für eine individuelle Note und die gewünschte Atmosphäre sorgen. Mit ihrer amorph geformten Tischlandschaft versuchen SelgasCano den wohlgeordneten Habitus eines Großraumbüros zu brechen. Topfpflanzen auf und neben den Tischen verstecken das, was ein typisches Büro kennzeichnet und bringen gleichzeitig ein gutes Raumklima in die kollektive Arbeitslandschaft. Die Zeiten der digitalen Bohème, die für ihre Arbeit lediglich ein schnelles W-Lan, guten Kaffee und den eigenen Laptop braucht, sind längst vorbei – Coworking ist eine Marke, ein Versprechen, eine Illusion geworden. Second Home sei der pure Ausdruck ihrer sozialen Mission, erklärt Geschäftsführer Rohan Silva. Das ist bestimmt besser als WeWork und Co. – die enorme Nachfrage bestätigt das Angebot. Ein drittes Second Home folgt bestimmt.
FOTOGRAFIE Iwan Baan
Iwan Baan