Terrazzo und Neonlicht
Ein Mehrfamilienhaus in Melbourne von Freadman White und Anon Studio

Auf einem Melbourner Grundstück nahe der viktorianischen Fitzroy Town Hall und gegenüber einer idyllischen Parklandschaft mit stattlichem Baumbestand entwarfen Freadman White und Anon Studio ein Mehrfamilienhaus mit unkonventionellen Farben, Materialien und Formen, die ihr Konzept für individuelles Wohnen förmlich abrunden. Ein Gebäude, das mit Beton, Glas, Messing, Terrazzo und Neonlicht an eine Vielzahl von Baustilen und Kunstepochen erinnert – und zu einer Zeitreise in die Architekturgeschichte einlädt.
Wer den Online-Auftritt der australischen Architekten Ilana Freadman und Michael White besucht, könnte sich kurz fühlen wie Alice im Wunderland, als sie sich nach einem Sturz in eine Höhle, ohne ein Gefühl für Raum und Zeit, vor einer Vielzahl von Türen wiederfindet. Ein zeitgeplagtes Kaninchen hatte sie in seinen Bau gelockt. Bei Freadman White wird man von Vogelgezwitscher begrüßt. Es warten kreative, kuriose Entdeckungen. Und fast könnte man für einen Augenblick die Zeit vergessen.
Denn für ein Mehrfamilienhaus in Melbourne, das Studio Freadman White gemeinsam mit Architekturkollegen Marcello Donati von Anon Studio entwarfen, verfolgten sie ein Konzept der Zeitlosigkeit. Konkret bedeutet das elf neue Residenzen, die sich nicht nur an den individuellen Bedürfnissen ihrer Bewohner orientieren, sondern auch an den Ideen der klassischen Moderne. „Diese Periode des Designs und der ästhetischen Philosophie war von dem Wunsch geprägt, neue Lebensweisen und Formen des Bauens zu entdecken“, so Michael White.
Grüne Insel
Wie dieser Ansatz praktisch aussieht, zeigt sich vor allem in einem spielerischen Umgang mit Licht. Denn tatsächlich hat der Bau recht wenig mit einer dunklen Kaninchenhöhle zu tun. Allen voran das Penthouse, das über einen seltenen Schnitt verfügt. Statt eines additiven Balkons, planten die Architekten eine halbrund geformte Fensterfront innerhalb des rechteckigen Grundrisses und schufen so einen geräumigen Außenraum der bogenförmig in das Wohnzimmer hineinragt.
Dieser Entwurf orientiere sich an traditionellen, zentral ausgerichteten Hofhäusern, so die Planer. Doch auch andere Baustile, unter anderem Straßenzüge in Paris, Venedig oder Barcelona, dienten ihnen als Vorbilder. Durch den so entstandenen bodentief verglasten Halbkreis wirkt der Balkon wie eine grüne Insel, die eine effektvolle Verbindung zwischen Innenraum und angrenzender Parkanlage herstellt.
Rundes Konzept
Den Anspruch, eine Beziehung zwischen Innen- und Außenwirkung herzustellen, hatten die Planer auch mit den kubischen Fenstern an den Gebäudeflanken. Im Inneren sorgen ihre tiefen, asymmetrisch geformten Messing-Profilierungen für eine Lenkung der Blicke auf die Nachbarschaft. Äußerlich hingegen verliehen sie der Fassade Tiefe und Textur, so die Architekten. Hinzu kommt ein rundes Dachfenster im Wohnraum, das mit seinem farbigen Schaft über den Tag für immer neue Lichtstimmungen sorgt. Im Eingangsbereich ziehen farbige Neonröhren die Blicke auf sich. In den Farben des Klatschmohns, der die Beton-Fassade ziert, bilden sie eine spannungsreiche Interaktion mit der umliegenden Natur. Ähnlich wirkt der fleischfarbene Terrazzo-Boden, mit dem die Planer an zahlreichen Stellen im gesamten Gebäude kontrastierende Materialakzente setzen.
Diese Interventionen überraschen in der Gesamterscheinung des Gebäudes, wecken sie noch zusätzliche Erinnerungen an Kubismus, Brutalismus oder Memphis. Doch die Planer von Freadman White und Donati verstanden es, das Beste aus etlichen Einflüssen zu extrahieren und zu einem eigenständigen Ganzen zu machen. Ein Bau mit architektonischer Ernsthaftigkeit und fantasievollem Design, in das sich auch glatt ein weißes Kaninchen verirren könnte.
FOTOGRAFIE Gavin Green
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