Projekte

Tonnen für Träume

Wohnen und Baden im Holzfass: Der radikale Umbau eines japanischen Einfamilienhauses.

von Tim Berge, 20.05.2016

Traditionelle, japanische Häuser zeigen hinter ihrer hölzernen Fassade zumeist eine kleinteilige Raumstruktur, die versucht, der großen Anzahl von Familienmitgliedern ausreichend Rückzugsorte zu bieten. Doch auch in dem ostasiatischen Land ändern sich die Zeiten: Die junge Generation verlangt nach mehr Freiraum und schafft sich den Platz zur Not auch mit der Brechstange, wie ein Projekt in der Präfektur Hyōgo zeigt. In diesem Fall wird mit der entstehenden Leere ein fast schon poetischer Umgang gepflegt.

Ein junges Paar aus Kobe wollte sein frisch erworbenes Eigenheim - ein gut erhaltenes historisches Holzhaus - seinen Bedürfnissen anpassen und beauftragte das Architekturbüro Tato Architects mit dem Umbau und der Neugestaltung. Die gingen radikal vor und ließen sich dabei von traditionellen Holzfässern, die zur Herstellung von Sojasauce dienen, inspirieren.

Alles muss raus
Das 85 Quadratmeter große Haus könnte auch auf einer Postkarte prangen: Von der Straße aus gelangt der Besucher in einen kleinen, feinen Garten, der als Vorspiel für den einstöckigen Bau dient. Das Dach, Teile der Fassade und vor allem die im Inneren verwendeten Deckenbalken, die alles andere als in gerader Linie den Raum überspannen, sprechen noch die Sprache traditioneller japanischer Baukunst. Alles was danach folgt, ist Teil der radikalen Entwurfsgeste des Architekten Yo Shimada – allerdings nicht ohne eine Referenz auf die Historie mitzuliefern. Die Planer entfernten sämtliche Innenwände und fügten einen neuen Estrichboden hinzu, der dem neugewonnenen Raum nicht nur ein durchgehendes Fundament, sondern auch seinen Halt gibt. Auf dem Beton stehen nun zwei geschwungene Wände, die das Haus zonieren.

Selbst stützend
Die sich durch den Raum schlängelnden Wände beherbergen ein Gäste-, ein Schlafzimmer und das Bad. Der Rest der umliegenden Fläche gehört der Küche und einem Ess- und Wohnbereich, die fließend ineinander übergehen und in ihrer Transparenz kaum die Offenheit des Ortes stören. Esstisch, Küchenelement und Regalböden basieren allesamt auf der gleichen Konstruktionsart wie die Wände: Dünne Zederholzplatten liegen auf einer schlanken Stahlunterkonstruktion, die den Objekten die nötige Stabilität verleiht. Als Inspiration für die kurvige Wandstellung und die Materialität diente Yo Shimada die traditionelle Lagerungsart von Sojasauce, die für einen längeren Zeitraum in großen, mit Holz beplankten Fässern ruhen muss. Der Architekt war nicht nur von der Formensprache, sondern auch von der sich selbst stützenden Struktur angetan, die keine weitere Befestigung benötigte.

Keine Zeit
Die Installtation aus den 25 Zentimeter starken Holzwänden bietet einige spannende Details: So gelangen die Bewohner über eine lose, an die Konstruktion gelehnte, Leiter in eine Art Mini-Loft, das über dem Schlafzimmer sitzt. Die Decke oberhalb des Bades ist mit transluzenten Kunststoffplatten verkleidet, die Licht hinein- und gleichzeitig eine Intimsphäre zulassen. Die Einrichtung des in Weiß gehaltenen Nassbereichs ist ansonsten auf das Wesentliche reduziert und besteht aus einer Badewanne und einer Dusche: Das benutzte Wasser fließt über ein kaum bemerkbares Gefälle in dem ebenfalls weißen Boden ab.

Die Architekten bemühten sich, auch aufgrund eines begrenzten Budgets, die Änderungen mit so wenig neu gekauften Materialien wie nötig durchzuführen. Daher wurden Fenster und Türen größtenteils wiederverwendet, wenn auch anderer Stelle. „Wir bereuen nur, die Rahmen der vorderen Fassade neu gebaut zu haben,“ erklärt dann auch Yo Shimada den Recycling-Ansatz. „Wir hatten nicht genügend Zeit, nach passenden Elementen bei Abbruchhäusern der Umgebung zu suchen.“ Und trotz des für Außenstehende unbemerkbaren Makels ist es den Architekten gelungen, mittels einer simplen Geste einen spanneden Raum zu kreieren – und gleichzeitig die Vergangenheit des Gebäudes zu bewahren. 

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Projektarchitekten

Tato Architects

www.tat-o.com

Mehr Projekte

Eine Familienangelegenheit

Umbau eines Schweizer Wohnhauses von Charlotte Nierlé

Umbau eines Schweizer Wohnhauses von Charlotte Nierlé

Umbau mit Happy End

Renovierung eines Mid-Century-Apartments in Madrid

Renovierung eines Mid-Century-Apartments in Madrid

Ruhepol am Kattegat

Strandhaus Heatherhill von Norm Architects

Strandhaus Heatherhill von Norm Architects

Monoton monochrom

Weißgraue Wohnaskese von i.B Archstudio in Litauen

Weißgraue Wohnaskese von i.B Archstudio in Litauen

Rosafarbener Würfel

Casa en Tres Ríos in Mexiko von César Béjar Studio

Casa en Tres Ríos in Mexiko von César Béjar Studio

Alpine Kontraste

Moderne Chalets im Skigebiet Les Trois Vallées

Moderne Chalets im Skigebiet Les Trois Vallées

Ein Haus, das aus der Reihe tanzt

Stadthaus in Belgien von Poot Architectuur

Stadthaus in Belgien von Poot Architectuur

Chromatische Wolkenreise

Ein irisierendes Apartment von Martín Peláez in Madrid

Ein irisierendes Apartment von Martín Peláez in Madrid

Haus ohne Grenzen

Treppauf, treppab und hoch hinaus in Tokio

Treppauf, treppab und hoch hinaus in Tokio

Schön schlicht

Umbau eines Wohnhauses in Kutná Hora von BYRÓ Architekti

Umbau eines Wohnhauses in Kutná Hora von BYRÓ Architekti

Ästhetik und Funktionalität

Ausstattung einer Wohnung in Mailand von Zitturi

Ausstattung einer Wohnung in Mailand von Zitturi

Monolith mit einem Herz aus Neon

Ferienhaus im Nationalpark von one-aftr

Ferienhaus im Nationalpark von one-aftr

Viel Raum auf kleiner Fläche

Flexible Single-Wohnung in Madrid von Nula.Studio

Flexible Single-Wohnung in Madrid von Nula.Studio

Der Pionier von Palma

Ein nachhaltiges Wohnhaus von Feina Studio

Ein nachhaltiges Wohnhaus von Feina Studio

Alles Latte

Holzkonstruktion wird zum verbindenden Element

Holzkonstruktion wird zum verbindenden Element

Radikales Raffinement

Studio-Apartment von minuit architectes in Paris

Studio-Apartment von minuit architectes in Paris

Aus halb wird ganz

Umbau einer Altbauwohnung in Barcelona von Raúl Sánchez

Umbau einer Altbauwohnung in Barcelona von Raúl Sánchez

Es bleibt in der Familie

JanskyDundera gestaltet eine Wohnetage in Klatovy neu

JanskyDundera gestaltet eine Wohnetage in Klatovy neu

Schutzraum wird zum Wohnraum

Transformation eines Hochbunkers in Hamburg von Björn Liese

Transformation eines Hochbunkers in Hamburg von Björn Liese

Skandinavien im Unterallgäu

Umbau eines Bauernhofs in moderne Ferienwohnungen

Umbau eines Bauernhofs in moderne Ferienwohnungen

Eine Hütte fürs Handwerk

Transformation eines englischen Stalls von HUTCH Design

Transformation eines englischen Stalls von HUTCH Design

Rekonstruktion einer Landschaft

Ein energieeffizienter Stelzenbau in Spanien

Ein energieeffizienter Stelzenbau in Spanien

Farbe unterm Reetdach

Ein transformiertes Haus am See von Keßler Plescher Architekten

Ein transformiertes Haus am See von Keßler Plescher Architekten

Das große Schwarze

Massivholzhaus am See von Appels Architekten

Massivholzhaus am See von Appels Architekten

Einzug der Gegenwart

Wohnhaus-Umbau in den Niederlanden von Studio Modijefsky

Wohnhaus-Umbau in den Niederlanden von Studio Modijefsky

Urbanes Paradies

Apartment mit Pool-Anschluss von Studio Gameiro in Lissabon

Apartment mit Pool-Anschluss von Studio Gameiro in Lissabon

Kleines Raumwunder

Mikroapartment in Barcelona von LAMA Studio

Mikroapartment in Barcelona von LAMA Studio

Grün gerahmte Wohnfläche

Schmiedhof im Berliner Viktoria-Quartier von Christopher Sitzler

Schmiedhof im Berliner Viktoria-Quartier von Christopher Sitzler

Konservierte Schönheit

Sanierung eines Dreiseithofs im Taunus

Sanierung eines Dreiseithofs im Taunus

Spiel der Kontraste

Atelier ST entwirft ein Wohnhaus in Leipzig

Atelier ST entwirft ein Wohnhaus in Leipzig