Vielfalt ohne Fenster
Flexible Wohnung in Paris von Ubalt Architectes
Ungewöhnliche Räume, ungewöhnliche Lösungen: Ein französisches Architektinnenduo betont in einem Pariser Projekt bauliche Nachteile, anstatt sie zu beseitigen, und schafft mit fast theatralisch anmutenden Gestaltungsideen überraschend flexible Nutzungsmöglichkeiten.
Alles andere als einladend waren die Räumlichkeiten, die Nastasia Potel und Mylène Vasse von Ubalt Architectes in ein Apartment umgestalten sollten: Das stillgelegte Datenzentrum verfügte über zahlreiche Rohrleitungen und grelle Leuchtstoffröhren, hatte aber weder eine Heizung noch ein einziges Fenster. „Das wohnlichste Element an diesem Ort war definitiv die Toilette“, beschreibt Architektin Nastasia Potel den ursprünglichen Zustand ihres Projektes im 11. Arrondissement von Paris.
Anspruchsvolles Gesamtpaket
Die architektonische Herausforderung bestand für die ehemaligen Studienkolleginnen jedoch nicht nur darin, einen ungemütlichen Lagerplatz in eine Wohnung zu verwandeln. Die Auftraggeber, ein Pärchen in den Vierzigern und Eltern von zwei Kindern, wünschten sich zudem ein wandlungsfähiges Apartment, das sie nicht nur selbst bewohnen, sondern auch an Touristen und Unternehmen vermieten können. Aber selbst diese Ideen gefiel den Gründerinnen von Ubalt Architectes ebenso wie die nüchternen Rahmenbedingungen: „Unsere Vision von Gestaltung entspricht nicht den herkömmlichen Normen von Küche, Salon und Bad. Ganz im Gegenteil: Wir wollen klassische Wohnkonzepte auflösen und ungewöhnliche Alternativen schaffen“, erklärt Nastasia Potel ihre Herangehensweise.
Extravaganz auf neutraler Basis
Den Wunsch nach einer neuen Raumidentität mit flexibler Nutzung erfüllten die jungen Architektinnen ihren Auftraggebern in erster Linie durch immer wiederkehrende Materialien: Beton, Plexiglas und vor allem Terrazzo-Fliesen zogen sie als Bodenbelag, an den Wänden oder in Form einzelner Möbelstücke wie einen roten Faden durch die insgesamt 250 Quadratmeter große Wohnfläche. Die neutrale Funktionalität der Räumlichkeiten eröffnete den Eigentümern die Möglichkeit, diese zu den unterschiedlichsten Zwecken zu nutzen: Im leeren Zustand dienen sie beispielsweise als großzügige Party-Location oder nüchterner Showroom, während sich die drei Schlafzimmer ohne viel Aufwand in separate Arbeitsbereiche verwandeln lassen und die Doppelküche beste Voraussetzungen für die Produktion einer Koch-Show bietet.
Neon statt Sonnenlicht
In stilistischer Hinsicht feiert das Projekt die Siebzigerjahre: Plexiglas, farbiges Metall, glänzende Stoffe und Betonelemente sind allgegenwärtig und hemmungslos miteinander kombiniert. Erkennbar ist darin aber nicht nur der persönliche Stil der jungen Architektinnen, sondern auch eine Ode an die Zeitepoche, in der das ehemalige Datenzentrum errichtet wurde. Vor allem aber mithilfe von Leuchtstoffröhren reagierten Ubalt Architectes auf den Umstand, dass es in den Räumlichkeiten zu ebener Erde kein einziges klassisches Fenster gibt. „Diese ungewöhnliche Gegebenheit wollten wir nicht ändern, sondern unterstreichen“, sagt Nastasia Potel. „Insofern wollten wir mit künstlichem Licht auch nicht den Anschein von natürlichem Licht erzeugen. Es ging uns vielmehr darum, mit fluoreszierendem Leuchtstoff die Räume zu strukturieren und grafische Akzente zu setzen. Außerdem haben wir darauf geachtet, dass jeder Raum eine eigene Lichtsprache besitzt, um verschiedene Atmosphären zu erzeugen.“ Natürliches Licht gelangt lediglich durch vier neu installierte Dachluken in die Räumlichkeiten, die auf eine ungenutzte Dachterrasse führen und die in erster Linie als Belüftungssystem der Wohnung dienen.
Family first
Angenehm überraschend ist auch, dass das eklektische Projekt der 30-jährigen Architektinnen das Ergebnis einer generationsübergreifenden Zusammenarbeit ist. So führte den Großteil der handwerklichen Arbeiten der Vater der Auftraggeberin aus, während ihre Mutter auf dem Pariser Marché Saint-Pierre schillernde Stoffe besorgte, aus denen sie mobile Raumteiler, Vorhänge und Kissen nähte.
FOTOGRAFIE Yohann Fontaine
Yohann Fontaine
| Entwurf | Ubalt Architectes |
| Standort | Paris |
| Lichtkonzepte | Franz&Fritz |
| Fläche | 250 Quadratmeter |
| Fertigstellung |
2020 |
Innenausbau und Möbel
| Bodenbelag | Artwork Macro von Florim |
| Teppichboden | Ultrasoft Jaune von Balsan |
| Armaturen | Fantini |
| Stühle und Bänke | Palissade von Hay |
| Heizkörper | Striane & Vuelta, Acova |
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