Vom Transit der Trockenspaghetti
Man muss sich seiner Sache schon sehr sicher sein, wenn man sein Kreativunternehmen in einem gottverlassenen Winkel weitab aller großstädtischen Szenebezirke ansiedelt. Das eidgenössische Designbüro Atelier Oï ist nie aus dem beschaulichen Ort La Neuveville im Berner Jura – direkt im „Röschtigraben“, der deutsch-französischen Sprachgrenze, – herausgekommen. Und die Provinz schadet ihrer Arbeit keineswegs, im Gegenteil: Bulgari, Swatch und Breguet sind nur einige ihrer Auftraggeber. Im September 2009 haben sich die Designer daher vergrößert und sind in ein ehemaliges Motel gezogen, in einen denkmalgeschützten Sechziger-Jahre-Bau mit rund 900 Quadratmetern Fläche – „Moïtel“ genannt.
Der extravagante Name folgt getreu der Corporate Identity des Dreiergespanns: Denn das „oi“ von „Oï“ ist nicht etwa der jiddischen Exklamation „Oi!“ nachempfunden, sondern kommt vom russischen Wort „Troïka“ (Dreiergespann) - mit französichem Trema. Zu dritt sind die Gründer Aurel Aebi, Armand Louis und Patrick Reymond jedoch längst nicht mehr, seit sie sich im Jahr 1991 zur Arbeitsgemeinschaft zusammen taten. Inzwischen beschäftigen sie rund 30 Mitarbeiter. Aber wie sieht es aus, wenn ein Designbüro aus dem Abseits die internationale Szene aufmischt? Und welche Architektur passt dazu? Wir nähern uns den „Oïs“ von ihrer Arbeitsweise über ihre Projekte bis hin zu den Räumen, in denen sie arbeiten.
Multidisziplinarität und Teamgeist
Obwohl die drei Stamväter von Atelier Oï heute überall als „erfolgreiche Schweizer Designer“ wahrgenommen und publiziert werden, hat keiner der drei eine klassische Designausbildung absolviert. Vielmehr sind Aurel Aebi und Patrick Reymond ursprünglich Architekten, die gemeinsam in Lausanne studiert haben; den Schiffsbauer Armand Louis lernten sie bei einem Wettbewerb kennen und profitieren seitdem von seinem Materialwissen – unter anderem zur Bearbeitung von gebogenem Holz. Genau in der breiten Ausrichtung ihrer Arbeit sowie im gegenseitigen Austausch liegt auch ihre Unternehmensphilosophie: Multidisziplinarität ist für die drei Oïs ein wichtiger Aspekt.
Damit erklären sie auch, warum sie lange trotz ihres Erfolges kein eigenes „Gesicht“ in der Szene hatten: Ihr Arbeitsspektrum ist einfach sehr breit aufgefächert. So entwerfen sie einerseits als Architekten Gebäude – wie das des Unternehmens „Dress Your Body“, das für die Schmuckkollektionen der einzelnen Marken der Swatch-Group zuständig ist. Sie richten Gebäude andererseits aber auch komplett ein, gestalten zudem Bühnenbilder und szenografische Ausstellungen, entwerfen Möbel und Leuchten oder entwickeln ein ganzes Corporate Design wie 2009 für das Bulgari-Parfum „BLV“. Zu viel, um sich in eine einzige Schublade stecken zu lassen, aber genau die richtige Methode, um sich bei der Lösungsfindung in einem Bereich immer wieder von anderen Seiten inspirieren oder auch korrigieren zu lassen.
Materialfundus im Transitraum
Für diesen Arbeitsprozess, der nie wirklich abgeschlossen sein kann, bietet das „Moïtel“ als im Wortsinn transitorischer Raum den idealen Rahmen. Der Ort für eine Nacht wird zum Ort der Umgestaltung und Transformation. Denn oft liegt das „Neue“ und Einnehmende der Projekte von Atelier Oï in der Neuinterpretation oder ungewohnten Anwendung vertrauter Materialien und Gestaltungsprozesse. So entwickelten sie aus Trockenspaghetti zunächst ein beleuchtetes Schilffeld für die Expo 02 und im Nachgang eine Serie von Leuchten, die den lineraren Charakter der Teigwaren für interessante Lichteffekte zu nutzen weiß. Übrigens wird diese inzwischen bei Foscarini produziert (hier selbstverständlich aus Metall, in diesem Fall Aluminium). Das Verarbeiten linearer Elemente wie Schnüre, Seile oder Stäbe spielt eine große Rolle im Atelier Oï: Hier wird gewebt, genäht und geflochten. Oder wir werden, wie einst Theseus am Faden der Ariadne, mit einer roten Kordel durch das Labyrinth der Ausstellung „Everything Design“ im Zürcher Museum für Gestaltung geleitet. Einige Arbeiten des Ateliers erinnern dagegen an die grafischen Muster von Zwirnsternen - wie ihre Hocker für B&B Italia. Aber bei Atelier Oï kann man sich nie sicher sein, dass dieses Muster nicht demnächst in einem völlig anderen Zusammenhang wieder auftaucht – beispielsweise als Raumteiler oder Vase.
Gemeinschaft als Disposition
Im „Moïtel“ gibt es daher nicht nur Entwurfs- und Büroarbeitsplätze, sondern auch eine umfangreiche Material-Bibliothek sowie eine Werkstatt zur Herstellung von Prototypen und Modellen. Besonders wichtig – gerade für die Erprobung der szenografischen Arbeiten – war auch die Einrichtung eines professionellen Foto-Ateliers. Dieser Raum ist sogar zweigeschossig realisiert. Die Rückseite des schachtelartigen ehemaligen Motels dient zudem als „Schaufenster“ und Galerie, wobei die Wände der Räume zum Flur hin dafür einfach „herausgetrennt“ wurden. Fortgeführt wird dieses „Ausstellungskonzept“ im Treppenhaus, das unter anderem mit den selbst entworfenen Leuchten illuminiert wird; auch der Speiseraum ist mit der Eigenkollektion „Allumette“ möbliert, die von Röthlisberger hergestellt wird. Lediglich ein Zimmer ist in seinem Ursprungszustand erhalten und dient heute Praktikanten oder Gästen als temporäre Unterkunft.
Auch in den Arbeitsräumen wurden die Trennwände zum Flur hin entfernt, die Schotten zwischen den Zimmern sind aber größtenteils erhalten. Dadurch können die Mitarbeiter hier sowohl in kleinen Teams oder einzeln konzentriert arbeiten, gleichzeitig steht ihnen der Flur als gemeinschaftliche, verbindende Zone offen. Eine ähnliche Funktion erfüllen auch der langgestreckte Balkon im Obergeschoss und die Terrasse im Erdgeschoss: Dieser parallel zur Innenraumerschließung angeordnete Freiraum verbindet die einzelnen „Zellen“ und bietet damit nicht nur einen Aufenthaltsraum an der frischen Luft, sondern auch einen disponiblen Kommunikationsraum. Das Spiel mit offenen und geschlossenen Wänden findet sich auch in der Vertikalen wieder: Halbhohe Regale und Tische gliedern die einzelnen Arbeitsbereiche. Als schallabsorbierendes und raumabschließendes Element setzen die Architekten-Designer zudem häufig Vorhänge ein, die der harten Materialität und akustisch ungünstigen Offenheit des Gebäudes eine weiche, dämpfende Komponente hinzufügen.
So steht das „Moïtel“ auch für eine räumliche Dreieinigkeit aus mehreren Funktionen: Schauraum, Werkstatt und Kommunikationsplattform.
Der extravagante Name folgt getreu der Corporate Identity des Dreiergespanns: Denn das „oi“ von „Oï“ ist nicht etwa der jiddischen Exklamation „Oi!“ nachempfunden, sondern kommt vom russischen Wort „Troïka“ (Dreiergespann) - mit französichem Trema. Zu dritt sind die Gründer Aurel Aebi, Armand Louis und Patrick Reymond jedoch längst nicht mehr, seit sie sich im Jahr 1991 zur Arbeitsgemeinschaft zusammen taten. Inzwischen beschäftigen sie rund 30 Mitarbeiter. Aber wie sieht es aus, wenn ein Designbüro aus dem Abseits die internationale Szene aufmischt? Und welche Architektur passt dazu? Wir nähern uns den „Oïs“ von ihrer Arbeitsweise über ihre Projekte bis hin zu den Räumen, in denen sie arbeiten.
Multidisziplinarität und Teamgeist
Obwohl die drei Stamväter von Atelier Oï heute überall als „erfolgreiche Schweizer Designer“ wahrgenommen und publiziert werden, hat keiner der drei eine klassische Designausbildung absolviert. Vielmehr sind Aurel Aebi und Patrick Reymond ursprünglich Architekten, die gemeinsam in Lausanne studiert haben; den Schiffsbauer Armand Louis lernten sie bei einem Wettbewerb kennen und profitieren seitdem von seinem Materialwissen – unter anderem zur Bearbeitung von gebogenem Holz. Genau in der breiten Ausrichtung ihrer Arbeit sowie im gegenseitigen Austausch liegt auch ihre Unternehmensphilosophie: Multidisziplinarität ist für die drei Oïs ein wichtiger Aspekt.
Damit erklären sie auch, warum sie lange trotz ihres Erfolges kein eigenes „Gesicht“ in der Szene hatten: Ihr Arbeitsspektrum ist einfach sehr breit aufgefächert. So entwerfen sie einerseits als Architekten Gebäude – wie das des Unternehmens „Dress Your Body“, das für die Schmuckkollektionen der einzelnen Marken der Swatch-Group zuständig ist. Sie richten Gebäude andererseits aber auch komplett ein, gestalten zudem Bühnenbilder und szenografische Ausstellungen, entwerfen Möbel und Leuchten oder entwickeln ein ganzes Corporate Design wie 2009 für das Bulgari-Parfum „BLV“. Zu viel, um sich in eine einzige Schublade stecken zu lassen, aber genau die richtige Methode, um sich bei der Lösungsfindung in einem Bereich immer wieder von anderen Seiten inspirieren oder auch korrigieren zu lassen.
Materialfundus im Transitraum
Für diesen Arbeitsprozess, der nie wirklich abgeschlossen sein kann, bietet das „Moïtel“ als im Wortsinn transitorischer Raum den idealen Rahmen. Der Ort für eine Nacht wird zum Ort der Umgestaltung und Transformation. Denn oft liegt das „Neue“ und Einnehmende der Projekte von Atelier Oï in der Neuinterpretation oder ungewohnten Anwendung vertrauter Materialien und Gestaltungsprozesse. So entwickelten sie aus Trockenspaghetti zunächst ein beleuchtetes Schilffeld für die Expo 02 und im Nachgang eine Serie von Leuchten, die den lineraren Charakter der Teigwaren für interessante Lichteffekte zu nutzen weiß. Übrigens wird diese inzwischen bei Foscarini produziert (hier selbstverständlich aus Metall, in diesem Fall Aluminium). Das Verarbeiten linearer Elemente wie Schnüre, Seile oder Stäbe spielt eine große Rolle im Atelier Oï: Hier wird gewebt, genäht und geflochten. Oder wir werden, wie einst Theseus am Faden der Ariadne, mit einer roten Kordel durch das Labyrinth der Ausstellung „Everything Design“ im Zürcher Museum für Gestaltung geleitet. Einige Arbeiten des Ateliers erinnern dagegen an die grafischen Muster von Zwirnsternen - wie ihre Hocker für B&B Italia. Aber bei Atelier Oï kann man sich nie sicher sein, dass dieses Muster nicht demnächst in einem völlig anderen Zusammenhang wieder auftaucht – beispielsweise als Raumteiler oder Vase.
Gemeinschaft als Disposition
Im „Moïtel“ gibt es daher nicht nur Entwurfs- und Büroarbeitsplätze, sondern auch eine umfangreiche Material-Bibliothek sowie eine Werkstatt zur Herstellung von Prototypen und Modellen. Besonders wichtig – gerade für die Erprobung der szenografischen Arbeiten – war auch die Einrichtung eines professionellen Foto-Ateliers. Dieser Raum ist sogar zweigeschossig realisiert. Die Rückseite des schachtelartigen ehemaligen Motels dient zudem als „Schaufenster“ und Galerie, wobei die Wände der Räume zum Flur hin dafür einfach „herausgetrennt“ wurden. Fortgeführt wird dieses „Ausstellungskonzept“ im Treppenhaus, das unter anderem mit den selbst entworfenen Leuchten illuminiert wird; auch der Speiseraum ist mit der Eigenkollektion „Allumette“ möbliert, die von Röthlisberger hergestellt wird. Lediglich ein Zimmer ist in seinem Ursprungszustand erhalten und dient heute Praktikanten oder Gästen als temporäre Unterkunft.
Auch in den Arbeitsräumen wurden die Trennwände zum Flur hin entfernt, die Schotten zwischen den Zimmern sind aber größtenteils erhalten. Dadurch können die Mitarbeiter hier sowohl in kleinen Teams oder einzeln konzentriert arbeiten, gleichzeitig steht ihnen der Flur als gemeinschaftliche, verbindende Zone offen. Eine ähnliche Funktion erfüllen auch der langgestreckte Balkon im Obergeschoss und die Terrasse im Erdgeschoss: Dieser parallel zur Innenraumerschließung angeordnete Freiraum verbindet die einzelnen „Zellen“ und bietet damit nicht nur einen Aufenthaltsraum an der frischen Luft, sondern auch einen disponiblen Kommunikationsraum. Das Spiel mit offenen und geschlossenen Wänden findet sich auch in der Vertikalen wieder: Halbhohe Regale und Tische gliedern die einzelnen Arbeitsbereiche. Als schallabsorbierendes und raumabschließendes Element setzen die Architekten-Designer zudem häufig Vorhänge ein, die der harten Materialität und akustisch ungünstigen Offenheit des Gebäudes eine weiche, dämpfende Komponente hinzufügen.
So steht das „Moïtel“ auch für eine räumliche Dreieinigkeit aus mehreren Funktionen: Schauraum, Werkstatt und Kommunikationsplattform.
FOTOGRAFIE Yves André, Friederike Baetcke (Portrait)
Yves André, Friederike Baetcke (Portrait)
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