Von hyperlokal bis hyperdigital
Arbeiten im Berliner Denizen House

Das Denizen House ist nicht nur ein schöner Ort für die Arbeit im Digitalen, sondern bedient mit seiner Sharing-Plattform für Schreibtische auch eine neue und hyperlokale Vision des nachbarschaftlichen Miteinanders.
Vor der Tür des Denizen steht ein Schild: „Offen für alle.“ Die Fenster allein könnten schon als dezente Einladung interpretiert werden, denn sie reichen von der Decke bis zum Boden und ziehen sich über die ganze Gebäudefront des alten Berliner Eiswerks, das jüngst von Graft Architekten modernisiert und erweitert wurde. Wir befinden uns mitten in Berlin-Kreuzberg, auf der Köpenicker Straße, die entlang der Spree eine Schneise vom Schlesi bis zum berüchtigten KitKatClub schlägt. Das Milieu ist bunt. Vor der Tür graben ein paar Berliner Bauarbeiter die Straße auf, junge Menschen fahren mit Yogamatten auf ihren Fixies vorbei und eine Gruppe Schulkinder unterhält sich im Vorbeilaufen in einem babylonischen Sprachenwirrwarr. Keine Frage – wer in Kreuzberg alle einlädt, hat ein breites Publikum. David Turnbull, einer der Gründer des Denizen-Space, hat den Standort genau deswegen gewählt.
Am Kiez-Schreibtisch mit der Welt vernetzt
„Wir haben hier eine hyperlokale Nachbarschaft. So einen Kiez findet man nicht am Potsdamer Platz, in der Friedrichstraße oder auf dem Ku'damm. Sondern dort, wo die Menschen leben und arbeiten: Das sind die Orte, die in Zukunft relevant sein werden, an denen sich Nutzungen vermischen oder aufeinander prallen“. Auf den ersten Blick könnte man den Denizen-Space für ein Co-Working-Büro halten. Auf Sofa-Inseln und an Bistrotischen sitzen die Gäste am Laptop oder im Gespräch, hinter Vorhängen verstecken sich Arbeitskabinen und am Konferenztisch wird Kaffee getrunken. Aber: Denizen ist kein Co-Working-Space im klassischen Sinne. Das macht David Turnbull gleich klar. Er beschreibt den Raum als „Service Point“ für die Nachbarschaft, als „Touch Down Space“ und als ein Wohnzimmer für den Kiez. Es ist die physische Repräsentanz für eine viel größere Idee. Zu ihr gehören eine App, die als eine Art Airbnb für Arbeitsplätze vereinsamte Büros belebt, und eben das Denizen House, in dem die Community zusammenkommen kann. David Turnbull will das Konzept des geteilten Arbeitsraumes revolutionieren.
Leere Arbeitsplätze als urbane Ressource
„Ich habe nie verstanden, warum wir Co-Working-Unternehmen erlauben, in existierenden Nachbarschaften Tausende von Quadratmetern in neuen Gebäuden zu besetzen, wenn es gleichzeitig ebenso viel ungenutzten Raum im Bestand gibt.“ Turnbull nennt die offenen Co-Working-Räume „Schreibtisch-Friedhöfe“, weil die meisten Mieter*innen nur ein paar Mal im Monat vorbeischauen. Er glaubt, dass fluide Räume die Zukunft des Büros sind, die von ihren Nutzer*innen umgestaltet werden können – und nicht zwangsläufig ausschließlich zum Arbeiten genutzt werden. Abends könnte ein Event stattfinden, eine Yogastunde oder ein Workshop. Der Denizen-Space in Kreuzberg ist dafür ein Testlabor im Live-Modus. Das Mobiliar vom Projektpartner Vitra ist bewusst flexibel und multifunktional, sodass der ganze Raum mit ein paar Handgriffen verändert werden kann. Das Interieur-Konzept des Denizen House hingegen stammt aus der Feder des Designbüros Modiste Studio und wurde von den Designern und Schreinern von Bartmann Berlin gebaut. Mit viel Holz, Pflanzen und vor allem dem rohen Industrieflair des Baus entsteht auch ästhetisch ein kontemplativer Moment, der im Kontrast zur städtischen Hektik steht.
Flexible Rauminterventionen
„Das Konzept ist quasi minimalinvasiv“, sagt Sebastian Kunath von Bartmann Berlin. Einzelne raumdominierende Elemente wurden in den Bestand gesetzt. Lüftungsrohre, Leitungen, Schienen – alles bleibt sichtbar, verschränkt sich aber teilweise mit den Einbauten, wenn beispielsweise ein Alurohr mitten durch das Naturholzregal mäandert. Die Gebäudetechnik steht im Kontrast zu dem hochwertigen Material-Patchwork aus massiver Esche, Kirschholzfurnier und Glasbausteinen. In die Mitte des Raumes wurde ein funktionaler Kern gestellt, der wie ein Bungalow wirkt und nicht mit der Decke abschließt. Dort sind die Badezimmer untergebracht, aber auch Stau- und Funktionsräume. Gleichzeitig teilt der Einbau-Block das Layout in zwei Bereiche. Zur lebendigen Stadtseite hin stehen kleine Lounge-Inseln und Kaffeetisch-Gruppen, im hinteren Bereich wurden neben einer großen Sofa-Situation auch kleinere Einzelarbeitsplätze und durch Vorhänge abschirmbare Telefonkabinen installiert.
Umzug ins Digitale
Mit dem Fokus auf Menschen, die im Digitalen arbeiten, ist auch die Infrastruktur komplett digital angelegt. Alles lässt sich über die App erledigen: Die Bestellung eines Kaffees direkt an den Tisch, die Buchung eines Workshops oder die Reservierung eines Arbeitsplatzes in einem der vernetzten Büros. Wer in der Küche vorbeikommt, scannt den Code am Produkt mit dem Smartphone und bezahlt über die App. Denizen adressiert alles, was die urbane Community der Post-Millennials so fordert: gutes Essen in nachhaltigen Kartons, Yogastunden, Networking – und Servicedienste wie die integrierte Postannahmestelle. Wer seine Wege auf ein paar Straßen im eigenen Kiez reduzieren kann, hat einfach mehr Zeit. Deswegen ist die Zukunft hyperlokal, meint David Turnbull. Und indem er die Arbeit mit dem Denizen House und Desk-Sharing zu einem lokalen Thema macht, ist der schwierigste Schritt in diese Zukunft schon mal gemacht.
FOTOGRAFIE Caroline Heineke Caroline Heineke
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