Wohnen als Performance
Spektakulärer Umbau von Jean Verville in Montreal
Die ganze Welt ist eine Bühne, wusste schon William Shakespeare. Für ein Schauspielerpaar und dessen Sohn hat der kanadische Architekt Jean Verville diesen Gedanken in gebaute Form übertragen und das schmale Reihenhaus der Familie in einen spektakulären Hybrid aus Aufführungs- und Wohnstätte verwandelt.
Jean Verville ist bekannt für seine grenzgängerischen Entwürfe an der Schnittstelle von Architektur und Kunst, die er in enger Zusammenarbeit mit den Bauherren entwickelt. Sein jüngster Umbau eines dreistöckigen Eigenheims in Montreal spiegelt die kreativen Persönlichkeiten der beiden Schauspieler*innen Sophie Cadieux und Mani Soleymanlou wider. Sie wünschten sich, ihren Alltag als Kleinfamilie mit ihrer szenografischen Arbeit in einer räumlichen Symbiose verschmelzen zu lassen.
Kern aus Stahl
Dazu errichtete Jean Verville im Zentrum des 147 Quadratmeter großen Gebäudes eine Art Lichtschacht aus Stahl, der sich über die gesamte Gebäudehöhe von zwölf Metern zieht und das Innere radikal neu organisiert. „Die Metallstruktur mit durchlässigen Stahlböden und -wänden wird ergänzt durch verschiedene Bühnen und Plattformen“, erklärt der Architekt. Auf diese Weise sei die ursprüngliche Hierarchie der Räume aufgelöst worden und eine neue Dynamik aus zehn wandlungsfähigen Plattformen entstanden, die wie szenische Pausen im Alltag wirken, ergänzt er. Die angrenzenden Räume wurden dabei beibehalten, jedoch neuen, flexibleren Funktionen zugeteilt. Vier dienen als Schlafzimmer. Im Erdgeschoss befindet sich neben der Küche auch das 32 Quadratmeter große Studio der Bauherr*innen.
Licht und Schatten
Ein zweieinhalb Meter breites, quadratisches Oberlicht über dem stählernen Einbau lässt Tageslicht bis ins Erdgeschoss vordringen und eine Atmosphäre entstehen, die an einen „Skyspace“ des Künstlers James Turrell erinnert. Sobald das Licht durch die Streben der Metallgitter fällt, entstehen grafische Schattenmuster auf Wänden und Böden, die die Räume im Laufe des Tages effektvoll verwandeln. Bühnentaugliche, dimmbare Deckenstrahler sorgen dafür, dass diese dramatische Wirkung auch am Abend erzielt wird.
Besonders eindrucksvoll erscheinen die Schattenspiele angesichts des puristischen Interieurs, das auf eine monochrome Farbgebung in warmem Grau – oder Greige – setzt und konsequent auf dekorative Details verzichtet. Sophie Cadieux und Mani Soleymanlou legten besonderen Wert darauf, in ihrem Zuhause sowohl visuelle Ruhe als auch Inspiration zu finden. „Jeden Moment entdecken wir etwas Neues, einen Schnitt, eine neue Linie. Das ist ein wunderbares Geschenk“, berichtet Cadieux, die es kaum erwarten kann, in ihrem Haus Performances stattfinden zu lassen.
FOTOGRAFIE Félix Michaud
Félix Michaud
Projektname | MSO |
Architekt | Studio Jean Verville |
Typologie | Umbau im Bestand |
Standort | Montreal |
Fläche | 147 Quadratmeter |
Fertigstellung | 2020 |