Wohnen in Schablonen
Ein 93 Quadratmeter großes Wohnhaus in Kyoto mit bühnenreifen Qualitäten.

In einem Vorort von Kyoto realisierten die japanischen Architekten Sumiou Mizumoto und Yoshitaka Kuga ein 93 Quadratmeter großes Wohnhaus mit bühnenreifen Qualitäten. Während die Raumgrenzen des zweigeschossigen Gebäudes miteinander verschmelzen, dienen schablonenartig durchschnittene Wände als Kulissen für den Alltag.
Im Kindesalter spielt jeder einmal Architekt. Das dabei angewandte Prinzip ist so einfach wie treffsicher: Genau fünf Striche genügen, um die Urform eines Hauses mit Satteldach zu Papier zu bringen. Dass dieser Archetypus nicht nur Vertrauen stiftet, sondern auch auf spielerische Weise variiert werden kann, zeigt das japanische ALTS Design Office mit diesem Wohnhaus für eine junge Familie in Kyoto.
Archaisches Leitmotiv
„Wir wollten einen Ort mit Charme erzeugen, bei dem sämtliche Innenräume ein wiedererkennbares Gesicht besitzen“, erklären Sumiou Mizumoto und Yoshitaka Kuga von ALTS Design Office. Nicht nur die äußere Gestalt des zweigeschossigen Wohnbaus folgt der Urform des Satteldach-Hauses. Auch die Türen, Wanddurchbrüche und Nischen im Inneren sind der domestizierten Fünfeck-Form nachempfunden.
Der Effekt: Während die Entkoppelung von Innen und Außen überwunden wird, erfährt der Archetypus des privaten Wohnbaus eine ironische Brechung – ohne dabei ins Lächerliche oder gar Groteske zu verfallen. Der Grund dafür liegt in wohl kalkulierter Diskretion. Von Außen gibt der weiß gestrichene Baukörper keinen Hinweis auf die bühnenreifen Qualitäten hinter der Fassade. Es ist ein Spiel, das allein den Bewohnern und ihren Gästen vorbehalten ist.
Fließendes Raumkontinuum
Den kommunikativen Mittelpunkt des Hauses bildet ein großer Esstisch im Erdgeschoss des Treppenaufgangs, der direkt nach dem Öffnen der Haustür betreten wird. Ein großes Oberlicht sowie ein Fenster mit transluzenter Scheibe, das den zweigeschossigen Raum auf seiner gesamte Höhe durchzieht, holen viel Tageslicht ins Innere. Anders als in den übrigen Wohnbereichen wurden die Wände des Treppenaufgangs nicht weiß verputzt, sondern vollständig mit hölzernen Paneelen verkleidet.
Die Besonderheit des Interieurs liegt in der Kontinuität der Bewegung. Schließlich sind die Übergänge zwischen den Räumen fließend. Ganz gleich, ob die Bewohner in die Küche oder in das Wohnzimmer im Erdgeschoss oder in die Korridore der Schlaf- und Arbeitsräume im Obergeschoss treten: Die fünfeckigen Raumgrenzen werden ohne Türen durchschritten. Lediglich eine einzelne Stufe sowie die Materialität und Farbigkeit der Wände markieren den Übergang von einer Wohnfunktion zur nächsten.
Das Innere des Hauses fungiert als zweigeschossiger Open Space, der von schablonenhaft durchschnittenen Wänden strukturiert wird. „Es war der Wunsch der Bauherren, in diesem dicht bebauten Stadtviertel möglichst viel Tageslicht ins Innere des Hauses zu holen“, begründeten Sumiou Mizumoto und Yoshitaka Kuga die Offenheit ihres Entwurfs. Lediglich die Haustür sowie die Eingänge zum Badezimmer und Schlafzimmer werden durch Türen verschlossen und bedeuten mit ihrer rechteckigen Gestalt auch formal eine Abkehr vom fünfeckigen Leitmotiv des Hauses.
Aus einem Guss
Um die Wohnfläche von 93 Quadratmetern besser auszunutzen, wurden sämtliche Ablagen in die Wände integriert. Eine Regalwand umspielt zwei quadratische Fenster unweit des Esstischs und sorgt für eine ungewohnte Verschiebung der Raumtiefen, indem die abgelegten Bücher und Objekte mit dem urbanen Außenraum im Hintergrund verschwimmen. Allein die Stühle tanzen als Solitäre aus der Reihe und betonen die Flexibilität des Entwurfs. Dessen Stärke liegt in der Reduktion auf ein stilistisches Mittel. Indem Sumiou Mizumoto und Yoshitaka Kuga eine simple Fünfeck-Form zum Leitmotiv erkoren haben, ist ihnen eine spielend leichte Architektur mit starken Auftritt gelungen.
FOTOGRAFIE ALTS Design Office
ALTS Design Office
ALTS Design Office
www.alts-design.comMehr Projekte
BAYERISCHES DUO
Zwei Wohnhäuser für drei Generationen von Buero Wagner am Starnberger See

Über den Dächern
Umbau einer Berliner Penthousewohnung von Christopher Sitzler

Schwebende Strukturen
Umbau eines maroden Wohnhauses von Bardo Arquitectura in Madrid

Camden Chic
An- und Umbau eines ehemaligen Künstlerateliers von McLaren.Excell

Aus Werkstatt wird Wohnraum
Umbau im griechischen Ermionida von Naki Atelier

Londoner in der Lombardei
Tuckey Design Studio verwandelt ein Wohnhaus am Comer See

Zwischen Stroh und Stadt
Nachhaltiges Wohn- und Atelierhaus Karper in Brüssel von Hé! Architectuur

Flexibel zoniert
Apartment I in São Paulo von Luiz Solano

Freiraum statt Festung
Familienhaus mit Innenhof in Bangalore von Palinda Kannangara

Kork über Kopf
Umbau eines Penthouse mit Korkdecke von SIGLA Studio in Barcelona

Drei Pavillons für ein Familiendomizil
Australisches Wohnhaus von Pandolfini Architects und Lisa Buxton

Ein Haus der Gegensätze
Kontrastreicher Neubau nahe Barcelona von Ágora

Die Magie der Entgrenzung
Luftiger Neubau Casa Tres Patis von Two Bo in Spanien

Raumsequenzen in der Grotte
Casa Gruta in Mexiko von Salvador Román Hernández und Adela Mortéra Villarreal

Altes Haus im neuen Licht
Familienwohnung von Jan Lefevere in Kortrijk

Mehr Platz fürs Wesentliche
Umbau eines Backstein-Cottage in London von ROAR Architects

Raum-Chamäleon
Flexibel nutzbarer Anbau in Brisbane von Lineburg Wang

Wohnräume mit Tiefgang
Innenausbau einer Villa am Rhein vom Düsseldorfer Studio Konture

Holz und Stein im alpinen Dialog
Apartmenthaus Vera von atelier oï und CAS Architektur in Andermatt

Haus mit zwei Gesichtern
Umbau eines Reihenhauses in Lissabon von Atelier José Andrade Rocha

Umbau am offenen Herzen
Ply Architecture transformierte einen Sechzigerjahre-Bungalow in Australien

Reise in die Vergangenheit
Studio Hagen Hall gestaltet ein Londoner Reihenhaus im Mid-Century-Stil

Downsizing als Designprinzip
Kompaktes Wohnhaus in Portugal von Atelier Local

Der Reiz der Reduktion
Innenarchitekt Ilkka Palinperä gestaltet ein Wohnhaus bei Helsinki

Authentische Askese
Apartment-Rückbau in Paris von Atelier Apara

Umbau im Anbau
Gianni Botsford erweitert Fosters Londoner Frühwerk

Visionen vom Wohnen
Design-Apartments auf der MDW 2025

Mit Ecken und Kurven
Umbau eines Reihenhauses in London von Pensaer

Raw in Rio
Von Säulen geprägter Wohnungsumbau von Estudio Nama

Nostalgie nach Mass
Belgravia Townhouse von Child Studio
