Wohnraum als Spirale
Casa Torre von Carolina González Vives in Madrid

Schluss mit der horizontalen Ordnung: Für das Wohnhaus Casa Torre in Madrid setzt die Architektin Carolina González Vives auf eine Staffelung der Höhenebenen. Diese machen nicht nur eine klare Unterscheidung der Etagen unmöglich. Sie verwandeln den Übergang von einer Ebene zur anderen in ein Erlebnis.
Der Raum ist in ständiger Bewegung. Und doch ist alles an seinem festen Platz in diesem Einfamilienhaus im Nordosten von Madrid. Dort, wo der Fluss Manazanares den weitläufigen Universitätscampus der 3,2-Millionen-Einwohner-Stadt passiert, entstand ein alles andere als belangloses Projekt. Seine Eigenarten sieht man dem Entwurf von Carolina González Vives von außen jedoch nicht an: Ein zur Straße verschlossenes Volumen, das sich mit einem durchgehend verglasten Erdgeschoss sowie zwei horizontalen Fensterbändern und einer Loggia zum Garten öffnet.
Wandernde Schatten
Der schmale, aufragende Bau lässt eher an einen Beobachtungsturm als an ein Wohnhaus denken. Lediglich seine prismatische Faltung läßt vermuten, dass hier eine andere Nutzung zu finden ist. Die zum Garten ausgerichtete Fassade ist mit glasierten Keramikfliesen verkleidet. Sie sind in konkave Wölbungen geschlagen, die in horizontaler Ausrichtung verlaufen und an stilisierte Wellenbewegungen des Wassers denken lassen. Je nach Sonnenstand werfen die Einkerbungen unterschiedlich lange Schatten, die an der Gebäudehülle entlang wandern und ihr einen lebendigen, stetig changierenden Charakter verleihen.
Begehbare Bühne
„Unser Ansatz, den Fußabdruck des Hauses zu reduzieren, führt zu einem Garten mit Gefälle, der weit breiter als erwartet ausfällt. Er ist als ein abgestuftes Theater konfiguriert, das bereits im Inneren des Hauses seinen Auftakt nimmt“, erklärt die Architektin Carolina González Vives. Das Erdgeschosses kann an zwei Gebäudeflanken mit gläsernen Schiebetüren geöffnet werden. Wohnzimmer und Garten gehen dann direkt ineinander über, sodass die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen. Auf dieser Ebene liegt der kommunikative Mittelpunkt des Hauses, wo die Familie Freunde und Bekannte einlädt und in regelmäßigen Zeitabständen größere Empfänge gibt.
Durchlässige Räume
Die Innenräume zollen dieser besonderen Bedeutung des Erdgeschosses Tribut, indem sie sich wie Zuschauerränge um eine Theaterbühne gruppieren. Anstatt die beiden Obergeschosse horizontal übereinander zu schichten, sind die einzelnen Räume in einer spiralförmigen Steigung angeordnet: als ineinander verschlungene Ebenen, die einen vom Erdgeschoss bis zur Dachterrasse hinaufreichenden Tunnel bilden. Entlang der Höhensprünge öffnen sich weitere Durchlässe, die keineswegs nur die Blickverbindungen intensivieren. Sie erzeugen einen vertikalen Luftzug durch das Gebäude hindurch, womit eine natürliche Klimatisierung der 601 Quadratmeter großen Wohnfläche ermöglicht wird.
Literarisches Zelt
Verkleidungen aus schwarzem und grünem Marmor betonen die Übergänge von einer Ebene zur anderen. Auch der Indoor-Pool wird auf geschickte Weise in die Raumspirale eingebunden. An der ansteigenden Decke des Lesezimmers zeichnen sich strahlenförmige Leisten ab, die ihr den Charakter eines Zirkuszeltes geben. Ein rundes Oberlicht öffnet den Raum zur Dachterrasse. Lediglich die drei Schlafzimmer sind von den räumlichen Verflechtungen der Spirale ausgenommen und präsentieren sich als konventionell verschlossene Kuben in neutralem Weiß, die von Badezimmern mit bunten Fliesen ergänzt werden. Poppige Siebzigerjahre-Zitate geben dem Interieur eine erfrischende, augenzwinkernde Note.
Durstige Steine
Die sich direkt an das Wohnzimmer anschließende Außenterrasse ist mit rustikal anmutenden Ziegelsteinen ausgelegt. Sie besitzen eine mikroporöse Textur, die dafür sorgt, dass Wasser weniger schnell abfließen kann. Über Gehwege und Kanäle wird der Regen in zwei Tanks weitergeleitet und dort für eine spätere Wiederverwendung bereit gestellt. Die Steine saugen sich bei Regen ebenfalls mit Wasser voll und speichern dieses für längere Zeit. Beim Verdunsten entsteht eine natürliche Kühlung, die nicht nur den Bewohnern des Hauses zugute kommt, sondern ebenso den um das Haus herum gepflanzten Weinreben. Ergo: Auch auf einer Bühne geht es bei weitem nicht nur um Performance. Entspannung ist ebenso erlaubt.
FOTOGRAFIE Imagen subliminal, Javier Bravo
Imagen subliminal, Javier Bravo
Projekt | Casa Torre |
Typologie | Einfamilienhaus |
Ort | Madrid |
Nutzfläche | 601 qm |
Architektur | González Vives Arquitectura |
Mitarbeiter | Cristina Delgado Herráiz |
Alberto Heras Hernández | |
Mónica Ruiz Rituerto | |
David Rodrigo Silgado | |
Bauleiter | Javier Reñones Marín |
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