Das große Prickeln
Klebriges Gesöff für die einen, Alltagselixier für die anderen: bunter Spaß im Glas mit Softdrinks.
Es ist heiß, die Kehle trocken. Ein kräftiger Schluck Wasser könnte Abhilfe schaffen. Doch der natürlichste aller alkoholfreien Durstlöscher ist vielen einfach zu fad. Da verspricht der zielsichere Griff ins Kühlregal mehr Abwechslung im Glas. Denn mit dem Genuss von Softdrinks begibt sich der aufgeschlossene Konsument in ein Reich voll aufregender Geschmackserlebnisse und bunter Vielfalt. Und ist damit Teil einer Industrie, die nicht müde wird, sich immer neu zu erfinden.
Jüngst machte die erstaunliche Meldung von einem zehnjährigen Mädchen aus Florida die Runde, das mit dem Verkauf von selbstgemachter Limonade an nur einem Tag fünfzehntausend Dollar für den Wiederaufbau des zwei Jahre zuvor abgebrannten Familienheims verdiente. Ob nun großer Durst oder edelmütige Spendenbereitschaft dieses Geschäft so einträglich machten, ist schwer zu sagen. Dennoch steht es stellvertretend für jene ikonische Mischung aus amerikanischer Vorortidylle und Do-it-yourself-Mentalität, die sich in der Vergangenheit schon etliche Male als Motor einer großen Geschäftsidee erwiesen hat.
Die Droge des Erfolgs
Auch zeigt diese suburbane Erfolgsstory, dass die süß-sauren Kaltgetränke nach wie vor nichts von ihrer Beliebtheit eingebüßt zu haben scheinen. Ganz im Gegenteil. Ihr Siegeszug hält bis heute fast ungebrochen an, das belegen Statistiken immer wieder mit eindrucksvollen Zahlen: Fast 120 Liter Softdrinks trinken die Deutschen pro Jahr, weltweit sind es insgesamt stolze 160 Milliarden Liter. Dabei fing die Geschichte der Softdrinks, wie sie heute tagtäglich konsumiert werden, ganz bescheiden an. In Atlanta entwickelte 1889 der morphiumsüchtige Apotheker John Stith Pemberton durch Experimente mit der Coca-Pflanze die Urformel für Coca-Cola und legte damit den Grundstein für eine der heute wertvollsten Marken überhaupt. Dennoch: Der Aufstieg vom Ein-Produkt-Unternehmen, das anfangs noch ein überschaubares Nischendasein führte, zum milliardenschweren Imperium, dessen mehr als 3.600 Erzeugnisse in über 200 Ländern vertrieben werden, ist kein mystisch verbrämtes Produktmärchen, sondern das Ergebnis eines ausgefuchsten globalen Vermarkungssystems.
Ein Getränk als Lebensgefühl
Schon in den fünfziger Jahren avancierten Softdrinks – allen voran Coca-Cola – zu von Jugendlichkeit, Freizeit und Spaß umwehten Lifestyle-Getränken, die sich durch markige Slogans („Coca-Cola … along the highway to anywhere“, 1949, „Coke adds life“, 1976 oder „Open Happiness“, 2009) und einer medialen Überpräsenz fest als oberste Erfrischungs-Instanz im kollektiven Verbraucherbewusstsein verankerten. Die Botschaft ist dabei so simpel wie eindeutig: Ob Rockstar, Hausfrau, Sportler oder Bauarbeiter, mit dem richtigen Getränk in der Hand kannst du sein, wer du möchtest. Und – das muss man anerkennen: Diese kategorische Entgrenzung beanspruchen die Pioniere des Softdrink-Business seit jeher wie kein anderer Getränkehersteller als wirkmächtiges Werbeinstrument für sich, um mit dem obligatorischen Gute-Laune-Imperativ das einende Gefühl des guten Geschmacks zu propagieren.
Die neue Vielfalt
Wurden Softdrinks in den Wirtschaftswunderjahren noch zur Metapher einer sich emanzipierenden Jugend verklärt, wandelte sich das Image in den achtziger Jahren durch die den Westen überrollende Fitness- und Aerobicwelle. Gesund leben und fit bleiben war nun die Devise. Darauf reagierte die Getränke-Industrie mit kalorienarmen Light-Produkten – zusammen mit weiteren Sport-, Fitness- und Energy-Drinks wurde das Sortiment immer unüberschaubarer.
Oktopus oder Schimmelpilz
Mit dem Ziel, ein Alltagselixier für alle Gelegenheiten zu schaffen, testen die Hersteller ihre Konsumenten heute unablässig mit wagemutigen Kreationen. Die wohl ungewöhnlichsten Ergebnisse dieser Innovationsfreude bringen die Geschmacksknospen auf dem asiatischen Markt zum Erblühen. So etwa versucht die in Japan sehr populäre Marke Ramune nicht nur mit einem historischen Kugel-Flaschenverschluss die Abgrenzung zu anderen Produkten, sondern auch mit kühnen Geschmacksrichtungen. Wasabi, Oktopus oder Curry werden im Land der aufgehenden Sonne so getrunken wie bei uns Zitrone, Orange und Himbeere. Da lässt der ewige Coke-Gegner Pepsi nicht lange auf sich warten und zieht mit Sorten wie Gurke oder Azuki, einer Bohnenart, nach. Den Vogel sinnbildlich abgeschossen hat allerdings die vietnamesische Marke Tribeco: Sie vermarkten – sehr erfolgreich – ein Erfrischungsgetränk mit Essenzen eines in Vogelnestern wachsenden Schimmelpilzes. Na dann, Prost!
Softer Drink, harte Konkurrenz
Der Blick nach Asien zeigt, dass trotz der Vorherrschaft des Coca-Cola-Imperiums Erfrischungsgetränke zu einem schwer umkämpften Markt geworden sind, in dem sich viele mit neuen, unkonventionellen Konzepten positionieren wollen. Daher ist es – auch wenn es hierzulande geschmacklich gediegener zugeht als im fernen Osten – mittlerweile auch in Deutschland mühsam geworden, in dem immer unübersichtlicher werdenden Limonadenkosmos nicht den Überblick zu verlieren.
Back to the roots
Denn was mit der Unterwanderung des vorherrschenden Monopols durch Bionade Mitte der neunziger Jahre begann, hat sich nun vollends in den Supermarktregalen etabliert: Die „gesunde“ (Bio-)Limonade, aus überwiegend natürlichen Zutaten, ohne Farb- und Aromastoffe, regional produziert, politisch korrekt und sozialverträglich. Und so produzieren etliche Low-Profit-Unternehmen heute in kleinen Hinterhof-Manufakturen Getränkepreziosen wie aus Omas Laubengarten und sind mit dieser Rückbesinnung auf das Wesentliche zugleich bei den Anfängen und am Puls der Zeit.
Das Auge trinkt mit
Erfrischungsgetränke sind – heute wie damals – mehr als Wässer mit Zucker. Denn sie transportieren auch eine Haltung. Schon lange geht es nicht mehr nur um Geschmack, und wer lieber zur Fritz-Limo als zur Fanta greift, tut das nicht aus Versehen. Bänker, Hipster, Öko-Hippies oder Feierwütige, sie alle trinken ganz bewusst das, was am besten zu ihnen passt. Dass der Gestaltung der Flaschen und Dosen dabei eine besondere Bedeutung zukommt, ist fast selbstverständlich. Ungewöhnliche Flaschenformen, bewusst einfach gehaltene Labels und feine Artwork fangen den Blick des (manchmal überforderten) Konsumenten und fungieren so als Unterscheidungsmerkmal.
Innen wie außen
Die Kongruenz zwischen Inhalt und Verpackung ist dabei maßgeblich: Soll die Streuobstwiesenbrause schmecken wie ein Ausflug aufs Land, dann muss die Flasche auch danach aussehen. Das Spektrum der Gestaltung ist demnach groß, die Betonung liegt auf Authentizität, und die Liebe zum Produkt soll schon von weitem zu uns sprechen. Junge Marken wie Wostok zum Beispiel, eine Limonade aus Fichtennadelöl und Taigawurzel, das mit seinem Label im Stil des Sozialistischen Realismus als Underground-Drink einen hohen Wiedererkennungswert besitzt, schaffen es durch ihre Art von bodenständiger Exotik, im Gedächtnis und in den Einkaufkörben zu landen.
Zu Risiken und Nebenwirkung
Auch wenn Ärzte und Gesundheitsbeauftragte besorgt vor mittel- und langfristigen Gesundheitsschäden wie Diabetes, Knochenschwund oder Herzkrankheiten durch übermäßigen Softdrink-Konsum warnen: Der anhaltenden Nachfrage nach dem bunten Spaß im Glas scheint das keinen Abbruch zu tun. Deshalb sei Unternehmen wie auch Brause-Aficionados gleichermaßen ans Herz gelegt: „Wenn das Leben dir eine Zitrone gibt, mach Limonade daraus.“ Aber vergiss die Kariesprophylaxe nicht!
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