Der konsequente Modernist: Nachruf
Ein Nachruf auf den Berliner Gestalter, Galerist, Forscher und wandelndes Lexikon.
Er war Gestalter, Galerist, Forscher und ein wandelndes Lexikon. Lange führte Clemens Tissi eine der international bekanntesten und renommiertesten Galerien für historisches Design in Berlin. Nach ihrer Schließung 2010 spezialisierte er sich auf das Entwerfen puristischer Möbel und Leuchten. Am 5. August ist der gebürtige Schweizer nach längerer Krankheit verstorben. Ein Nachruf.
Wer in den 2000er-Jahren die Alte Schönhauser Straße in Berlin entlanglief, konnte ihn gar nicht verfehlen. In den großen Schaufenstern standen Raritäten der Designgeschichte. Dazwischen ragte der schlaksige Galerist hervor, der in seiner schmalen Röhrenjeans beim Vorbeigehen immer nett grüßte. Was Clemens Tissi in seinen Ausstellungsräumen präsentierte, war mehr als das, was heute auf den Ständen von Sammlermessen wie der Design Miami Basel zu finden ist. Statt verlässlichen Blockbustern von Eames und Wegner wurden eher sperrige Entwürfe von Avantgardegruppen wie Archizoom oder Superstudio gezeigt – mit teils museumsreifen Ensemblegruppen, die auf den wenigen Quadratmetern der Galerie zusammentrafen.
Ambivalente Rolle
Worum es Clemens Tissi ging, war vor allem eine Auseinandersetzung mit Design und nicht das Sammeln von Trophäen. Natürlich stand er damit im Widerspruch zu seiner Arbeit als Galerist, der anders als ein Museumsmacher auch verkaufen muss. Dem gebürtigen Schweizer, der in den neunziger Jahren von Schaffhausen nach Berlin zog, ist es dennoch gelungen. Lange bevor der große Sammler-Run auf Designoriginale einsetze, fand er eine ausgesuchte Kundschaft, die die historische Avantgarde genauso in den Bann zog wie ihn selbst. Design war für ihn kein Konsumartikel, sondern im idealen Fall ein Denkanstoß. „Ich hatte immer gedacht, das Zeigen der Originale müsse zur Weiterführung der Moderne führen: Also der Analyse, was die frühere Haltung für heute bedeutet“, brachte Tissi seine Meinung auf den Punkt.
Haltung statt Form
Den Begriff „Vintage“ mochte er nicht, weil er ihm zu sehr im Trend lag wie die seit der Jahrtausendwende anhaltende Retrowelle. „Für mich stand immer eine Haltung dahinter und nicht das Zeigen einer Form. Die Form weist lediglich auf eine Haltung oder Idee hin“, betonte Tissi. In gewisser Weise war er mehr ein Forscher als ein Galerist. Er konzipierte seine Ausstellungen nicht nach Verkäuflichkeit, sondern nach eigenem Interesse. Immer wieder besuchte er Märkte, Privatsammler, Gestalter und ihren Erben, um seltene, teils vergessene Entwürfe zu Tage zu befördern, die weder in anderen Galerien noch in renommierten Museen zu finden waren. Tissi erarbeitete sich damit einen exzellenten Ruf und zählte bald auch Prominente wie den damaligen Dior-Homme-Designer Hedi Slimane zu den Stammkunden seines Design-Schatzkastens in der Alten Schönhauser Straße, der später in größere Räumlichkeiten an die Potsdamer Straße wechselte.
Vintage is Over
Eine weitere Eigenschaft von Clemens Tissi war seine Konsequenz. Weil ihm die Fokussierung auf die immer gleichen Namen störte, verabschiedete er sich kurzerhand von der härtesten Währung seiner Profession: Er präsentierte drei Ausstellungen über anonymes Design, in denen er nur einen einzigen Entwurf verkaufen konnte. „Das hat mir gezeigt, dass ich wirklich kein Händler bin. Ich habe dann die Galeriefenster mit Packpapier verklebt und darauf gesprüht: „Vintage is over! Vintage ist Angst vor der Weiterführung der Moderne“, erklärte Tissi. Und so schloss er 2010 seine Galerie und konzentrierte sich seitdem auf das Entwerfen von puristischen Möbeln und Leuchten, die ebenso dem Geist der Moderne verbunden waren wie seine geliebten Design-Originale.
Sprung zum Design
Für Tissi war dieser Wechsel vielmehr eine Rückkehr zu seinen eigenen Wurzeln als Architekt. Bereits im Alter von 20 Jahren hat er in der Schweiz sein erstes Haus gebaut. Möbel und Objekte hatte er seitdem immer wieder entworfen – wenngleich nur für sich alleine. „Meine erste Idee für diese neuen Möbel war, dass sie günstig sein sollen und damit keine falsch verstandene Kunst in limitierter Edition. Irgendwann bekam ich dann die Ohrfeige ins Gesicht, weil das nicht funktioniert hat. Darum habe ich zwei Möbel in limitierter Auflage entworfen. Insofern bin ich schuldig (lacht)“, bekannte Tissi mit einem schelmischen Lächeln.
Modelle ihrer selbst
Entwürfe wie der Tisch01 oder der Stuhl02 lassen in ihrer Klarheit und Strenge an die Möbel von Donald Judd denken. Es sind betont architektonische Arbeiten, die sich weniger an Ergonomie als an geometrischer Logik orientieren. Anstelle wertvoller Materialien wurden einfache Kieferbretter und Schichtholzplatten zusammengesetzt und anschließend von Hand bemalt. „Ich wollte, dass sie aussehen, wie ein Modell ihrer selbst. Modelle sind der Versuch, eine Idee physisch werden lassen. Die Idee ist das, was mich interessiert“, betonte Clemens Tissi. Während seine Möbel allein über hochpreisige Galerien verkauft werden, ist mit der Leuchte Yuhi von New Tendency 2015 das erste Serienprodukt des Ex-Design-Galeristen auf den Markt gekommen: Zwei ineinander gelehnte Metallwinkel, deren Innenseiten mit OLEDs bestückt sind und die Intensität und Ausrichtung des Lichtes mit der Position der Bauteile variieren.
Bauhaus und Kinderstuhl
2015 hat Clemens Tissi eine neue Ausstellungsarchitektur für die ständige Sammlung des Bauhaus Archives in Berlin angefertigt: Eine Aufgabe, bei der er ganz in seinem Element war und den Designoriginalen wieder nahekam. Doch auch hier vermied er Überschwänglichkeit: „Die Möbel sollen auf flachen Podesten stehen und sich ungefähr so im Raum bewegen, wie sie es in ihrer Funktion auch sonst tun. Nur nicht zu viel Schnickschnack,“ beschrieb Tissi damals seinen Ansatz. Zu seinen jüngsten Entwürfen gehört das auf zehn Exemplare limitierte Möbel Tisch Stuhl Haus Kreide für die auf historische Kindermöbel spezialisierte Galerie Kinder Modern in New York. Die mit Tafeln bestückte Schreibtisch-Stuhl-Kombination wird mit einem Set bunter Kreide geliefert, damit die Kleinen das Möbel mit eigenen Zeichnungen und Beschriftungen für sich vereinnahmen können.
Negation der Oberfläche
In dieser Offenheit steckt ein echter Tissi: „Es würde mich wahnsinnig machen, ein Produkt bis zur Endgültigkeit zu treiben. Darum interessiert mich auch die Oberfläche nicht“, drückte der 53-jährige seine Haltung aus. Wenn eine Idee für ihn abgeschlossen war, interessierte ihn die Umsetzung der Details nicht mehr. Es ist erfrischend, wie er damit der auf Perfektion getrimmten Möbelindustrie sowie der von Luxus besessenen Sammlerszene gleichermaßen den Spiegel vorhielt. Umso mehr schade ist es, dass keine neuen Arbeiten folgen werden. Am 5. August ist Clemens Tissi nach längerer Krankheit verstorben. Die deutsche und nicht zuletzt die Berliner Gestalterzene hat damit einen wachen Querdenker verloren.