Universal Design heißt die Zukunft der Gestaltung
Eine Revolution erfasst das Design. Schneller, kleiner und komplexer war gestern. Nun heißt es einfacher, klarer, selbstverständlicher. Denn nichts wächst so schnell als die Zahl der Senioren. 2030 werden allein in Deutschland die über 60jährigen mehr als ein Drittel der Bevölkerung stellen. „Silver Ager“ nennen Soziologen die kaufkräftigste Schicht, „Whoopies“ (Well-off older people) oder einfach „Empty Nesters“. Und da niemand von ihnen plötzlich seinen guten Geschmack ablegt wie eine zu groß gewordene Jacke, fordern sie Produkte, die Ästhetik und Komfort vereinen – eine Riesenchance für Industrie und Gesellschaft, Altes über Bord zu werfen, vor allem aber unsere beschränkte Vorstellung vom Alter selbst. Universal Design begegnet dem gesellschaftlichen Umbruch mit einem gestalterischen Aufbruch, von dem alle profitieren. Universal Design hat das Zeug zum Megatrend. Doch was verbirgt sich dahinter?
Bereits in den 1980er Jahren forderte der amerikanische Gestalter Ron Mace eine leicht zugängliche Umwelt und benannte sieben Kriterien, mit deren Hilfe er Dinge und Räume für alle zugänglich machen wollte: Flexibilität, intuitive Benutzung, Fehlertoleranz sowie niedrigen körperlichen Aufwand. Seine Gedanken sind heute aktueller denn je. Universal Design verbindet Ergonomie mit Ästhetik. Im Zentrum stehen nicht mehr spezifische Produkte für eine bestimmte Gruppe von Menschen, sondern Gestaltung für alle: intuitiv und leicht zu bedienen. Mündige Verbraucher von morgen – im Schnitt älter und erfahrener – fordern Einfachheit und Eleganz, unkomplizierte Dinge, die selbstverständlich gut in der Hand liegen und schön aussehen.
Claims abstecken, Einfluss gewinnen
Ein Markt etabliert sich, nicht nur für Produktanbieter. Auch verschiedene Dienstleister stecken gerade ihre Claims ab, sie ringen um Geld und Einfluss. Allein in Deutschland existieren zwei Fraktionen. Da gibt es den „universal design e.V." in Hannover, der zusammen mit dem iF Hannover 2008 den „universal design award“ geschaffen hat. Und es gibt ein konkurrierendes Gütezeichen des TÜV Nord in Verbindung mit dem Internationalen Design Zentrum Berlin (IDZ) und dem Rat für Formgebung. „Die gelungene Verbindung von Design und Benutzerfreundlichkeit können Hersteller nun mit dem Qualitätszeichen ‚ausgezeichnet! Universal Design’ dokumentieren.“ Maximal fünf Jahre ist das Zertifikat gültig, sofern die Hersteller nichts am Produkt verändern. Das TÜV-Zeichen wirbt mit Wettbewerbsvorteilen und will als Differenzierungsmerkmal in einem „Massenmarkt“ dienen.
Gütesiegel versus Designpreis
Genau damit werben ihre Mitbewerber aus Hannover. Die „universal design GmbH" will „Designer und Hersteller motivieren, ihre Kreativität, Kompetenz und Erfahrung in Produkte, Architektur und Dienstleistungen für ‚Alle’ und nicht nur für ‚Ältere’ münden zu lassen.“ Mittel der Wahl ist das vom iF Hannover perfektionierte Jury- und Preisvergabesystem. 2008 traten 131 Produkte aus 18 Ländern an, in diesem Jahr immerhin 92. Ein gutes Drittel, immerhin 36, erhielten eine Auszeichnung.
Zum „universal design award“ kommt der „universal design consumer favorite 09“. So viel Kundenorientierung entspricht durchaus dem Geist des Universal Design, es stellt sich jedoch die Frage, wie lange das Label noch neutral über dem gestalterischen Aufbruch schweben wird. Nun, da sich der Begriff gegen konkurrierende Konzepte wie „Design for all“, „Inclusive Design“ oder „Barrierefreies Design“ durchgesetzt hat, droht er zum Schlagwort zu verkommen in einem Kampf um Gütesiegel, Richtlinien und Einfluss. Groß ist die Gefahr, dass ein Zukunftsmarkt beschädigt wird, bevor er sich vollends entfaltet hat. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wer die Richtung bestimmt, in die sich bedienungsfreundliches Design in den nächsten Jahren entwickeln soll.
Gute Gestaltung für alle
Gegenüber diesen strukturellen Problemen nehmen sich manche formale Entwicklungen geradezu unbedeutend aus. Dass viele der unter „Universal Design“ vermarkteten Produkte, sogar einige der prämierten, gestalterische Mängel aufweisen, liegt auf der Hand. Riesige Tasten und übergroße Displays sind wohl nur ein Übergangsphänomen auf dem Weg zu einer grundlegend neuen Gestaltung im Zeichen des Alters. Universal Design schickt sich an unsere Welt dramatisch zu verändern, es setzt nicht auf einzelne Dinge, es verändert Blickwinkel und Strukturen. Es geht um gleichberechtigten Zugang zur Welt. Jederzeit für Jedermann und Jederfrau.
Bücher zum Thema
Oliver Herwig:
Universal Design. Lösungen für einen barrierefreien Alltag.
Basel, 2008, Birkhäuser Verlag
175 Seiten, 72 Abbildungen, Hardcover
ISBN: 978-3-7643-8717-4
John Clarkson, Roger Coleman, Simeon Keates, Cherie Lebbon (Hrg.):
Inclusive Design. Design for the whole population.
London, 2003, Springer Verlag
596 Seiten, Paperback
ISBN: 1-85233-700-1
Ausstellung zum Thema
Das IDZ Berlin konzipierte die Ausstellung „Universal Design: Unsere Zukunft gestalten". Dort war sie als erstes zu besichtigen. Aktuell ist die Ausstellung im Design Haus Darmstadt zu sehen. Weitere Stationen sind 2009 Leipzig, Nürnberg und Augsburg.
www.idz.de
FOTOGRAFIE Hans-Wulf Kunze © IDZ Berlin
Hans-Wulf Kunze © IDZ Berlin
Links
The Center for Universal Design
Forschungszentrum der North Carolina State University
www.design.ncsu.edu