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Vorschau Salone del Mobile 2015: Innere Werte

Sinnliche Installationen und neue Räume: Was wird die 58. Mailänder Möbelmesse bringen?

von Norman Kietzmann, 08.04.2015

Es ist wieder soweit: Vom 14. bis 19. April locken der 54. Salone del Mobile sowie die 28. Ausgabe der Lichtmesse Euroluce das Designvolk nach Mailand. Im Vorfeld der Weltausstellung Expo 2015 könnte das Messedoppel zum logistischen Gradmesser des Großereignisses werden. Dem etwas lahm gewordenen Design-Dampfer sollen sinnliche Installationen und neue Räume wieder Schwung verleihen. 

Der Salone del Mobile steht in Mailand für Ausnahmezustand. Auch diesmal werden allein auf dem Messegelände mehr als 300.000 Besucher erwartet. Die unzähligen Ausstellungen und Events im Stadtgebiet könnten den Gesamtwert noch deutlich nach oben treiben. „Natürlich sind die Erwartungen diesmal noch höher gesteckt. Schließlich ist der Salone wie eine Generalprobe für die Expo“, sagt Claudio Luti. Der Chef des Möbelherstellers Kartell gehört zu den Botschaftern der bevorstehenden Weltausstellung, die am 1. Mai vor den Toren der Stadt eröffnen wird. Wenn tatsächlich die vorhergesagten 20 bis 25 Millionen Besucher kommen, könnte sich der Ausnahmezustand auf sechs Monate erstrecken – bis die Expo Ende Oktober ihre Türen wieder schließt. 

Vorglühen für die Expo
Die Besucher der Möbelmesse werden von den Vorbereitungen nur wenig mitbekommen – auch wenn einige Vorboten erkennbar sind. Bereits vor wenigen Tagen wurde das von David Chipperfield entworfene Museum der Kulturen in der Via Tortona eröffnet – inklusive eines Skandals um den Fußboden. An anderen Orten wie der von Rem Koolhaas gestalteten Fondazione Prada sowie dem von Giorgio Armani initiierten Modemuseum wird noch heftig gearbeitet – genau wie auf dem Expo-Gelände selbst, das direkt an das Messegelände in Rho anschließt. In der Stadt haben viele Plätze und Straßen ihr Gesicht aufgefrischt wie die gerade herausgeputzte Viale Alemagna direkt vor der Triennale. Doch noch immer wird vielerorts gewerkelt. Bürgersteine und Plätze sind aufgerissen. Und weil in letzter Minute die Rolltreppen auf fast allen U-Bahnstationen ausgewechselt werden, dürfen die kofferbepackten Messebesucher einige sportliche Einlagen meistern. 

Licht und Büro
Der Fokus des Salone del Mobile liegt auch diesmal auf der eigentlichen Messe. Selbst Firmen wie DePadova, die bislang ihre Neuheiten stets im eigenen Showroom gezeigt haben, sind nun aufs Messegelände in Rho gezogen. Ergänzt wird die Möbelschau von der 28. Ausgabe der Lichtmesse Euroluce sowie der 18. Ausgabe der Büroschau SaloneUffici, mit denen in ungeraden Jahren der Light & Building sowie der Orgatec Konkurrenz gemacht wird. Wurde das Büro vor zwei Jahren von Jean Nouvel als Lebensraum inszeniert, ist nun Michele De Lucchi an der Reihe. Den Wandel der Arbeitswelt möchte er mit seiner Installation La Passeggiata (Der Spaziergang) einfangen. Anstelle präziser definierter Arbeitsorte bringt er eine begehbare Rampe ins Spiel, die sich wie ein Autobahnkreuz durch den Raum windet und die beständige Mobilität des Arbeitens symbolisiert.

Innere Werte
Natürlich wird das Wohnen auch diesmal nicht von Grund auf neu erfunden. Stattdessen stehen zeitliche Schulterschlüsse im Mittelpunkt. Ganz in diese Richtung zielen Neuheiten wie die von David Chipperfield entworfene Tisch- und Sitzbank-Kombination Fayland für e15, die in der heimischen Wohnküche ebenso eine gute Figur macht wie in gehobener Gastronomie. Auch Vitra erkundet mit dem von Ronan und Erwan Bouroullec entworfenen Stuhl Belleville die Grauzone zwischen Zeitgeist und Zeitlosigkeit. Dass vor allem die „inneren“ Werte eine Rolle spielen, zeigt Poltrona Frau mit dem Himmelbett Volare. Der Entwurf des italienischen Architekten Roberto Lazzeroni verfügt über einen Rahmen aus dunklem Bahia-Rosenholz, der mit feinem Leder überzogen ist. Es ist ein Möbel, das nicht nur den Augen schmeichelt, sondern auch den Fingern. 

Alte Bekannte
Rückblenden dürfen auch in diesem Jahr nicht fehlen. Molteni&C feiert sein 80-jähriges Bestehen mit einer großen Retrospektive in der Galleria D‘arte Moderna. Knoll International legt den puristisch-klaren Pollock Arm Chair (1960) von Charles Pollock wieder auf. Parallel wird der filigranen Metallmöbel Harry Bertoias mit einer Ausstellungsarchitektur von Rem Koolhaas/OMA im eigenen Showroom gehuldigt. Tacchini nimmt mit einer Reedition des Sofas Sesann von Gianfranco Frattini die siebziger Jahre ins Visier. Kartell lässt die Memphis-Jahre aufleben und zeigt im Showroom in der Via Turati bislang unveröffentlichte Arbeiten von Ettore Sottsass. Auch Cassina wandelt im Jahrzehnt der Schulterpolster und feiert Mario Bellinis Cab-Kollektion mit einer 80er-Jahre-Party (um Lederkluft und Fliegersonnenbrillen wird in der Einladung ausdrücklich gebeten). Auch Arbeiten der jüngeren Vergangenheit geraten in den Fokus. Während Living Divani das 20. Jubiläum des Sessels Frog von Piero Lissoni zelebriert, schaut Alessi auf 25 Jahre mit Philippe Starcks Zitronenpresse Juicy Salif zurück.

Neue Adressen 
Jenseits der bekannten Pfade sprießen im Stadtgebiet immer wieder neue Adressen aus dem Boden. Welch absurde Züge dies erreichen kann, bewies vor einigen Wochen die Gruppenschau Designjunction. In einem digitalen Guide wurde die traditionelle Showroom-Gegend zwischen Via Manzoni und Via Durini kurzerhand als „brandneues Designquartier“ gepriesen. Den Grund für diese kühne Behauptung liefert die diesjährige Spielstätte in einem verlassenen Theater an der Via Pietro Mascagni – nur wenige Schritte von der Piazza San Babila entfernt. In den Räumen des 30er-Jahre-Baus werden Firmen wie Punkt, Benchmark und Tom Dixon ihre Neuheiten zeigen. Letzterer will den einstigen Zuschauerraum mit einer theatralischen Lichtschau in Szene setzen. 
Housewarming
Die Schnittstellen zwischen Alltag und Erlebnis auszuloten, versucht die von Airbnb und Benettons Kreativschmiede Fabrica initiierte Ausstellung Housewarming. In den Räumen des prachtvollen Palazzo Crespi am Corso Venezia werden interaktive Installationen von 19 Designern gezeigt, die Willkommensgesten verschiedener Kulturen interpretieren. Einen Ort mit stattlichen Ausmaßen hat sich Oki Sato gesichert, der das Museo della Permanente in der Via Turati mit seiner Soloschau Nendo Works bespielt. Den großen Auftritt sucht ebenso der Londoner Designer Lee Broom mit seiner Einzelausstellung The Department Store in der Via Alfredo Cappellini, wo die Besucher durch einen Parcours verschiedener Abteilungen geleitet werden. 

Sinnliche Erlebnisräume
Neutrale Möbel-Präsentation treten auch an anderer Stelle in den Hintergrund. So will Porro den Showroom in der Via Durini in ein Kuriositätenkabinett verwandeln. Droog zeigt die Kollektion Construct me! in einem Metallwarenladen zwischen Werkzeug, Schrauben und Dübeln. Einen sinnlichen Erfahrungsraum verspricht die Schau The Garden of Wonders. A Journey through Scents im botanischen Garten im Stadtteil Brera. Initiiert von der Be Open-Stiftung der russischen Milliardärin Yelena Baturina, arbeiteten Designer wie Piero Lissoni, Tord Boontje oder die Campana-Brüder mit traditionellen Parfum-Manufakturen zusammen. Auch die Automobilhersteller dürfen nicht nachstehen: So setzt Mini die Konzeptstudie eines Elektrorollers mit einer Alice-im-Wunderland-artigen Inszenierung von Jaime Hayon in Szene, während Alfredo Häberli für BMW den Begriff Mobilität in eine skulpturale Form gießt. Lexus verspricht hingegen eine „Reise der Sinne“ und lässt den japanischen 3-Sterne-Koch Hajime Yoneda mit dem französischen Designer Philippe Nigro kooperieren. 

Zwischen den Stühlen
Was dies mit Möbeln oder Wohnen zu tun hat? Zunächst nicht viel. Und doch gibt es eine Verbindung. „Wir machen schon heute die Hälfte unseres Umsatzes mit Soft Contract, also Hotels, Bars, Restaurants und Lounges. Das ist eine interessante Möglichkeit, um das Design bekannt zu machen. Die Leuten sehen und probieren Möbel und kaufen sie sich vielleicht auch für zuhause“, erklärt Giulio Cappellini. Im Herbst will die Designspürnase eine eigene Kette von Cafés vorstellen, die Dependancen rund um den Globus eröffnen soll – ausgestattet mit eigens entworfenen Möbeln, Geschirr und sogar Speisen aus Designerhand. 

Da kommt das diesjährige Expo-Thema „Feeding the Planet – Energy for Life“ gerade recht. Die Schnittstelle zur Ernährung sucht die Triennale gleich auf zweifache Weise. Die von Germano Celant kuratierte Ausstellung Cucine & Ultracorpi geht der Entwicklung technischer Utensilien wie Kühlschränken und Geschirrspülmaschinen nach. Die Verbindung zwischen Essen und Kunst wird mit der Ausstellung Arts & Foods thematisiert, die ebenfalls unter der Regie Celants entstand. Ob das dem derzeit etwas trägen Möbeldesign auf die Sprünge helfen wird, erfahren wir in den kommenden Tagen.

Nachbericht: Alle Beiträge aus unserem großen Special Salone 2015 lesen Sie hier.

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