Menschen

Moderne im Kopf

Bernhard Müller, Geschäftsführer von more, im Gespräch

Mit Firlefanz hält sich Bernhard Müller nicht auf. Der gebürtige Münsteraner hat in Braunschweig Architektur studiert und 1993 die Möbelmarke more in Hamburg gegründet. Auch wenn er in erster Linie als Geschäftsführer tätig ist, greift er mitunter auch selbst zum Zeichenstift. Er gestaltet puristische Produkte, die dennoch nie kalt oder abweisend sind. Das Ergebnis ist „mehr“ als die Summe der Einzelteile. Ein Gespräch über Möbel mit Schokoladenseiten, hanseatische Freundschaften und zeitreisende Betten.

von Norman Kietzmann, 01.02.2022

Herr Müller, wofür steht der Name more?
Der Name ist eine Abkürzung des Zitats „Less is more“. Mich hat die klassische Moderne der Zwanziger- und Dreißigerjahre ebenso stark interessiert wie die Arbeiten der russischen Avantgardisten. Und sie interessieren mich bis heute. Der englische Begriff hat damit zu tun, dass wir zwar ein deutscher Hersteller sind, uns aber doch sehr international aufgestellt haben. Wir exportieren heute über 75 Prozent unserer Ware. Im Ausland steigen die Umsätze auch stärker als auf unserem Heimatmarkt.

Was fasziniert Sie an der Moderne? Als Sie das Unternehmen zu Beginn der Neunzigerjahre gegründet haben, tobte schließlich noch die Postmoderne.
Was mich an der Moderne interessiert, ist die Offenheit der Grundrisse – und die Freiheit, die sich daraus ergibt. Das zeigt sich bei vielen unserer Produkte, die sich wie kompakte Architekturen in den Raum stellen lassen. Teilweise sind die Sachen sehr nüchtern. Dennoch ist es mir wichtig, dass die Dinge immer Poesie haben. Die Tische Cala oder Cut zum Beispiel gehen eindeutig in eine künstlerische Richtung. Man muss auch etwas mutiger sein, um sich solche Möbel zu kaufen.

Die Tische Cala und Cut besitzen skulpturale Füße, deren Erscheinung sich mit dem Blickwinkel  verändert. Sie animieren dazu, umrundet und von allen Seiten betrachtet zu werden.
Mein Lieblingstisch ist seit vielen Jahren Varan, den Gil Coste 2010 entworfen hat. Dessen Unterbau lässt an zwei polygonale Gebäude denken, die eine Platte tragen. Interessant ist, dass dieser Tisch meist nicht im Wohnraum, sondern in Besprechungsräumen eingesetzt wird. Wir können ihn sogar bei einer Länge von sechs Metern noch in einem Stück fertigen. Dann stehen drei oder vier Kuben darunter, je nachdem wie der Kunde das möchte.

Eine sehr präsente Typologie ihrer Kollektion sind gepolsterte Bänke, die verblüffend leicht, geradezu fliegend erscheinen. Was hat es damit auf sich?
Ich bin ein großer Fan davon, Bänke direkt an die Wand zu hängen, sodass sie überhaupt kein Gestell mehr besitzen. Wir haben die Bänke schon häufig in Cafés und Museen eingesetzt. Wenn die Wandmontage nicht möglich ist, kann man sie auch frei in den Raum stellen. Darum ist es wichtig, dass es keine hässliche Rückseite gibt. Das gilt übrigens für all unsere Produkte. Sie sehen von hinten genauso schön aus wie von vorne. Natürlich haben Möbel wie der Barschrank Harri eine Schokoladenseite. Aber die Rückseite mit Resopalplatten zu verkleiden, käme für uns nicht infrage. Möbel dürfen nie billig aussehen.

Wie funktioniert die Arbeit an neuen Produkten?
Ich gebe selten Briefings. Heute war Gil Coste wieder hier. Mit ihm bin ich seit 25 Jahren befreundet. Der andere Designer, mit dem ich viel arbeite, ist Peter Fehrentz. Auch mit ihm bin ich seit zwanzig Jahren befreundet. Dass wir uns gut kennen, macht es natürlich leicht. Neue Entwürfe entstehen manchmal über Skizzen. Oder wir gehen abends zusammen essen, tauschen uns aus und überlegen. Aber ich sage nie: Ich brauche dieses oder jenes Produkt.

Wie würden Sie die Kollektion von more charakterisieren?
Unsere Kernkompetenz ist alles, was um den Tisch herum passiert. Dazu gehören neben Tischen, Stühlen und Bänken auch Möbel, die einen Raum begrenzen. Der Barschrank Harri war zunächst ein Einzelmöbel von Peter Fehrentz, aus dem dann eine ganze Kollektion entstanden ist, eine ganze Landschaft. Passend zu dieser Serie werden wir als Nächstes einen richtigen Schreibtisch zeigen. Das ist kein Sekretär, der irgendwo daneben gestellt wird oder an einer Wand lehnt. Es ist ein ausgewachsener Schreibtisch, der Raum braucht. Es ist mir wichtig, dass die Kollektion eine gewisse Reife und Breite hat.

Die Möbel funktionieren in den drei Welten Wohnen, Arbeiten und Objektausstattung gleichermaßen. Warum?
Genau das war immer der Ansatz: Wir arbeiten viel zu viel, als dass wir es in hässlichen Umgebungen tun wollen. Für den Modehändler About You hier in Hamburg richten wir einen Besprechungsraum nach dem anderen mit dem Varan-Tisch ein, ebenso in der Amazon-Zentrale in München. Unseren bislang größten Tisch – mit einer Länge von 16 Metern und Breite von 1,8 Metern – haben wir für eine Rechtsanwaltskanzlei in Kopenhagen umgesetzt, damit deren Teilhaber alle an einem Tisch sitzen können. Das ist eine spannende Herausforderung. In Berlin wird demnächst das Hotel Wilmina (in der Kantstraße 79, Anm. d. Red.) in einem ehemaligen Frauengefängnis eröffnet. Das dazugehörige Restaurant haben wir mit vielen Bänken, Stühlen und Tischen bestückt.

Wo werden die Möbel hergestellt?
Wir lassen bei drei Unternehmen produzieren, die in verschiedenen Teilen Norddeutschlands sitzen – und das von Anfang an. Manche liefern 60 bis 70 Prozent ihrer Gesamtfertigung an uns. Wir arbeiten mit allen drei Partnern sehr gerne und vertrauensvoll zusammen. Über die Jahre ist daraus eine freundschaftliche Beziehung entstanden, die über ein normales Kunden-Lieferanten-Verhältnis weit hinausgeht. Das ist mir auch sehr wichtig.

Wie sind Sie zum Thema Möbel gekommen?
Ich bin in einem kleinen Vorort von Münster groß geworden. Dort gab es eine kleine Schlosserei, in der ich das Schweißen gelernt habe. Da war ich 15 oder 16 Jahre alt. Die ersten Konstruktionen habe ich aus Stahl gemacht. Dann habe ich mich auf Aluminium verlagert, weil das Metall noch besser zu verarbeiten ist und schönere Oberflächen hat. Mein erstes Möbel war ein Bett aus Aluminium. Mit einem Kollegen aus dem Architekturstudium habe ich später meine erste Firma gegründet. Aber nach drei, vier Jahren ging das nicht mehr gut mit uns beiden. Dann habe ich in Hamburg neu angefangen und die Firma more gegründet. Ich bin 1993 nach Hamburg gezogen, weil ich dachte, dass ich mich hier gut entfalten kann und mich hier wohl fühle. Das stimmt auch. Ich finde, dass die Stadt etwas Besonderes hat, weil sie einem sehr viel Freiraum lässt und nicht alles so vorbestimmt und zu glatt ist.

Das Thema Betten hat auch hier den Grundstein gelegt.
Ja, ich habe mit Betten angefangen. Und mein allererster Entwurf für more war auch ein Bett. Das Thema hat mich nie ganz losgelassen. Aktuell ist wieder ein neues Bett im Entwurfsstadium. In den Neunzigerjahren waren die Formen sehr archaisch. Futon war das große Thema. Das machte das Leben viel leichter, weil die Matratzen genauso schön dünn waren wie die Betten. Dann ging es leider lange in die umgekehrte Richtung mit den Boxspring-Betten.

Nicht Ihr Geschmack?
Überhaupt nicht. Ich bin eher minimalistisch unterwegs. Viele Kunden sagen heute, dass sie diese dicken Betten nicht mehr sehen können und nun wieder etwas Leichteres möchten. Mir kommt es sehr entgegen, dass sich die Bettenformen wieder normalisieren. Wir haben das Modell Room von Johannes Hebing schon seit 1999 im Programm. Es ist ein schönes, geradliniges Bett. Und es funktioniert immer noch so gut wie vor über 20 Jahren. Ich glaube, dass es wichtig ist, seinem Stil treu zu bleiben. Es geht darum, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen und einfach das zu machen, woran man glaubt. Wenn einem das gelingt, wird aus dem eigenen Unternehmen tatsächlich eine Marke.

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