Aus dem Beton gestampft
Soglio ist klein. Nur knapp 200 Bewohner zählt das Bergdorf im Schweizer Kanton Graubünden, das über ein geschlossenes, charakteristisches Ortsbild aus Bauernhäusern und Stallungen verfügt. Die traditionelle Architektur zu bewahren und gleichzeitig Neues zu wagen, diesen Spagat schafft eine umgebaute Scheune. Der ortsansässige Architekt Armando Ruinelli verwandelte das leerstehende Gebäude in ein dreistöckiges Wohnhaus – samt Badezimmer mit japanisch anmutender Wanne.
Der Architekt ist wahrlich kein Unbekannter in dem kleinen Dorf. Nicht nur ist er dort aufgewachsen und mit einem Büro ansässig; Ruinelli hat in Soglio bereits mehrere Gebäude verwirklicht – so beispielsweise ein Wohnhaus und Atelier für den Modefotografen Raymond Meier. Die ehemalige Scheune liegt am Ortsrand von Soglio auf einem nur 200 Quadratmeter großen Grundstück – umgeben von landwirtschaftlich genutzten Flächen. Aufgrund der exponierten Lage am Hang und dem guten Zustand des Gebäudes war schnell klar, dass es in seiner Form und Struktur erhalten werden sollte.
Hommage an das Handwerk: das Konzept
Kerngedanke des Umbaus ist die Verschmelzung von alter mit neuer Bausubstanz. Armando Ruinelli hat sich deshalb für Baumaterialien entschieden, die weder vorfabriziert noch industriell gefertigt sind: Stampfbeton, unbehandeltes Eichenmassivholz aus der Schweiz sowie geschweißter Stahl. Alle Materialien weisen zwar ein roh belassenes Äußeres auf, sind aber mit großer handwerklicher Präzision verarbeitet. Während die ursprüngliche Stein- und Holzstruktur des Gebäudes erhalten geblieben ist, wurde der gesamte Innenraum der ehemaligen Scheune entkernt und mit Stampfbeton – unbewehrter Beton, der durch Stampfen verdichtet wird – ausgekleidet. Auffällig sind die senkrechten Eichenholzlamellen, die sich über die gesamte Fassade erstrecken und einen schönen haptischen Kontrast zum Naturstein ergeben. Großflächigen Fensterflächen vorgesetzt, lassen sich die Lamellen manuell verstellen, so dass im Inneren schöne Licht- und Schattenspiele entstehen.
Dialog zwischen Tradition und Moderne: die Küche
Die in ein Einfamilienhaus transformierte Scheune umfasst auf insgesamt 135 Quadratmetern Fläche drei Ebenen. Im Erdgeschoss, wo sich auch der Eingang zum Haus befindet, sind drei Schlafzimmer mit zwei Bädern – eines davon en suite – eine Waschküche samt Gäste-WC sowie ein Technikraum untergebracht. Alle drei Schlafzimmer sind zu einem Innenhof ausgerichtet.
Die erste Etage ist – im Unterschied zur kleinteiligen Anordnung der Räume im Parterre – als floating space gestaltet und wirkt deshalb sehr großzügig und gar nicht so, wie man es vielleicht von einem traditionellen Haus in den Bergen erwarten würde. Hier befinden sich das Wohnzimmer, die Küche und der Essplatz. Diese sind mit Böden und Decken aus Eichenholz sowie raumhohen Fenstern versehen, die zur Terrasse ausgerichtet sind. Durch die Treppe abgetrennt, hat sich der Hausherr hinter diesem floating space ein kleines Büro eingerichtet.
Der eigentliche Küchenbereich setzt sich zusammen aus einem freistehenden Modul aus Stampfbeton mit eingelassenem Gasherd, hölzerner Arbeitsfläche und Theke samt Barhockern sowie einem dahinter angeordneten Einbauelement. Es ist aus Edelstahl gefertigt und beherbergt eine Spüle, in die Wand eingebaute Elektrogeräte und in den Unterschränken genug Stauraum für die alltäglichen Dinge des Küchenlebens. Auf Oberschränke hat der Architekt verzichtet – stattdessen kann der Hobbykoch hier einen Blick durch die Fenster auf die ihn umgebende Dorf- und Bergkulisse werfen. Wer es hingegen bequemer als auf den Barhockern mag, dem steht ein rechteckiger Tisch mit vier Freischwingern zur Verfügung. Oder aber er lässt sich gleich im Wohnbereich gemütlich nieder auf einer der bequemen dänischen Sitzgelegenheiten. Dabei kann der Ruhesuchende in ein prasselndes Feuer schauen, wurde der Kamin doch geschickt in eine Wand aus Stampfbeton eingebaut, an deren Rückseite sich das Treppenhaus befindet.
Die Essenz der Dinge: das Badezimmer
Von hier aus gelangt man in die oberste Etage, wo sich lediglich eine Loggia sowie ein großes Schlafzimmer samt angrenzendem Bad befinden. Zwar ist das Bad sehr schmal geschnitten, beherbergt aber alles, was man braucht: einen maßangefertigten Tisch mit einem Waschbecken, einen darüber angebrachten Spiegel, eine unter Putz montierte Armatur sowie eine Stange für das Aufhängen der Handtücher. Daneben befindet sich eine Toilette und in der Ecke der gestalterische Clou des Badezimmers: eine hölzerne Badewanne. Gefertigt aus geöltem Schweizer Eichenholz, mutet sie beinahe japanisch an. Dies ist auch dem Fußboden vor der Wanne geschuldet, der mit Dielen aus Eichenholz beplankt ist. Hinter einer Wand aus Stampfbeton gibt es – ganz ohne Tür – einen direkten Zugang in das Schlafzimmer, das ebenso karg anmutet. Bett und Abstellfläche kommen als luftige Einbauten aus Holz daher – lediglich ausgestattet mit einem Futon.
Es ist dieses räumlich Essenzielle, die Vermeidung alles vermeintlich Überflüssigen, das den Umbau so gelungen macht. Er zeichnet sich aus durch den Einsatz weniger ausgesuchter Materialien sowie die handwerkliche Präzision der ausgeführten Arbeiten. Armando Ruinelli verbindet in diesem Bau historische Regionalität mit zeitgenössischer Architektur – kein Wunder, dass er dafür mit Architekturauszeichnungen geradezu überhäuft wurde. Gäbe es doch nur mehr solcher Bauten in den Alpen!
FOTOGRAFIE Ruinelli Associati Architetti
Ruinelli Associati Architetti