Projekte

Brutalistischer Sehnsuchtsort

Lissaboner Ferienhaus von Leopold Banchini und Daniel Zamarbide

Ruinen haben gemeinhin besondere Anziehungskräfte. Als eher ungewöhnliche Sehnsuchtsorte, deren Schönheit nicht durch frisierte Perfektion entsteht, sondern durch das Echte, Authentische und nicht zuletzt ihre Abbildung von Zeit. Es sind architektonische Memento Mori, die – Stichwort „Ruinen-Porno" – offenbar sogar sexy sein können. Auch Leopold Banchini und Daniel Zamarbide erkannten den Charme des Ephemeren und verliehen einem heruntergekommenen Viertel in Lissabon eine zeitgenössische Seele – mit viel Freizügigkeit, nacktem Stein und intimen Refugien.

von Nina C. Müller, 04.02.2020

Wer den steilen Hang der Kapelle Nossa Senhora do Monte erklommen und es bis auf das Dach dieses Gebäudes geschafft hat, findet dort oben, weit über den Dächern von Portugals Hauptstadt unerwartete Abkühlung. Und das nicht nur im türkis-blauen Wasser des umlaufenden Pools, sondern auch unter den Ästen von drei Pinien, die aus der marmornen Dachterrasse emporwachsen. Sie erinnerten an die Bäume, die einst die Mönche vor der benachbarten Kapelle pflanzten, so Architekt Leopold Bianchini. Gemeinsam mit seinem spanischen Kollegen Daniel Zamarbide baute er hier ein Einfamilienhaus aus Bauschutt und hauchte dem von Graffiti und wilder Fauna geprägten Areal neues Leben ein.

Himmel und Erde
Die äußere Hülle mit ihrem regelmäßigen Rhythmus aus Fensteröffnungen ließen die Planer erhalten. Im Innenraum aber entfernten sie alle überflüssigen Strukturen, um so größere Volumina zu schaffen und Licht und Aussichten vollends auszunutzen. Dabei ermöglicht ein offener Wohnraum, der die Gebäudekerne mit Nasszellen, Küche und Privatbereichen umsäumt, vielseitige Nutzungsmöglichkeiten. Hier sahen Zamarbide und Banchini doppelte Raumhöhen vor. „Sie schaffen einen ungeteilten, fließenden Bereich, lassen die Räume atmen und ermöglichen Kommunikation zwischen den Etagen“, sagt Banchini.

Dazwischen entstanden bogenförmige und runde Ausschnitte innerhalb von Decken und Böden, die eine Vielzahl von Perspektiven eröffnen. Verbunden werden die Ebenen durch eine schlanke Wendeltreppe, die sich vom ebenerdigen Patio bis hoch zur Dachterrasse schraubt. Als temporäre Abtrennungen innerhalb des weitläufigen Kontinuums sahen die Planer Holzschiebetüren und Leinenvorhänge vor. Privatere Zonen entstehen durch freistehende Schlafkojen aus Marmor, die sich im unten gelegenen Raum als Kamin fortsetzen.

Wohnen auf Zeit 
Regale und Bäder setzten die Planer ebenfalls im lokal abgebauten Marmor um. Mit seinem hautfarbenen Ton und der organischen Struktur, die wie Adern durch Haut schimmern, bricht der Naturstein die Kühle der mineralischen Betonstruktur in Decken, Wänden und Böden auf und verbreitet innerhalb der brutalistischen Konstruktion eine warme Atmosphäre. Auch die filigranen, himmelblauen Elemente von Treppe und Geländern setzen kontrastreiche Akzente und schaffen einen spannungsreichen Farbkanon.

Sonst bleibt die Gestaltung auf das Wesentliche reduziert. Die wenigen Materialien wie Leinen, Holz und Metall sind einfach, beinahe klösterlich die formreduzierten, hölzernen Möbel. Und auch auf Verkleidungen jeglicher Art verzichteten die Planer gänzlich. So liegen Rohre, Heizungen und Elektronikeinbauten frei und verleihen der sensibel durchgeplanten Innenarchitektur den Touch eines Provisoriums. Ganz so als sei auch diese Nutzung zeitlich begrenzt.

Tatsächlich dient das Gebäude unweit von Nossa Senhora do Monte inzwischen als Ferienhaus für eine kleine Familie. Ein echter Sehnsuchtsort also. Festzuhalten gilt, Leopold Banchini Architects und Daniel Zamarbide verwandelten es in eine schlichte, pure Schönheit, die mit ihren kurvigen Betonböden und ihrem delikaten Marmorkubikel wie eine Mischung aus Halfpipe und südländischem Boudoir anmutet, doch je nach Lichteinfall sogar selbst ein wenig sakral wirkt – trotz des ruinösen Sexappeals.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Architektur

Leopold Banchini Architects

www.leopoldbanchini.com

Architektur

Daniel Zamarbide

bureau.ac

Mehr Projekte

Stein auf Stein

Mallorquinisches Wohnhaus aus Ziegeln von Nøra Studio

Mallorquinisches Wohnhaus aus Ziegeln von Nøra Studio

Kupferkleid auf Beton

Mehrfamilienhaus von Edition Office im Nordosten von Melbourne

Mehrfamilienhaus von Edition Office im Nordosten von Melbourne

Inspiriert von Japan

Rückzugsort in Australien von Dane Taylor Design

Rückzugsort in Australien von Dane Taylor Design

Neustart im Altbau

Eine posthumane KI-Intervention in Valencia

Eine posthumane KI-Intervention in Valencia

Ton in Ton

Neubau aus Naturmaterialien von MESURA in Spanien

Neubau aus Naturmaterialien von MESURA in Spanien

Dreiteiliges Familiendomizil

Mostlikely baut im österreichischen Klosterneuburg

Mostlikely baut im österreichischen Klosterneuburg

Mit dem Wald wohnen

Carlo Berlin baut eine Scheune im Brandenburger Forst um

Carlo Berlin baut eine Scheune im Brandenburger Forst um

Wohnen im Weiler

Schweizer Wohnscheune von BE Architektur

Schweizer Wohnscheune von BE Architektur

Zurück zur Pracht

Akurat restauriert ein Apartment in Danzig

Akurat restauriert ein Apartment in Danzig

Raum für die Natur

Das kykladische Piperi House von Sigurd Larsen

Das kykladische Piperi House von Sigurd Larsen

Die Erde über dem Himmel

Bruno Spaas’ monochrome Wohnvision in Antwerpen

Bruno Spaas’ monochrome Wohnvision in Antwerpen

Pure Materialität

Vives St-Laurent belebt die Montpellier-Residenz in Quebec

Vives St-Laurent belebt die Montpellier-Residenz in Quebec

Update für ein Zeitzeugnis

Umbau und Erweiterung der Villa Koivikko bei Helsinki

Umbau und Erweiterung der Villa Koivikko bei Helsinki

Schraube zum Himmel

Ein Wohnbau in Porto von Tsou Arquitectos

Ein Wohnbau in Porto von Tsou Arquitectos

Moderne Behaglichkeit

Ausgestaltung einer Villa im Großraum Frankfurt von Andrea Busch Inneneinrichtung

Ausgestaltung einer Villa im Großraum Frankfurt von Andrea Busch Inneneinrichtung

Heilende Räume

Umbau einer Reha-Einrichtung in Polen

Umbau einer Reha-Einrichtung in Polen

Spielraum für Kinder

Neues Freizeitzentrum in Budapest von Archikon Architects

Neues Freizeitzentrum in Budapest von Archikon Architects

Naturverbundenes Domizil

Wohnhaus von Cullinan Studio im englischen Amersham

Wohnhaus von Cullinan Studio im englischen Amersham

Fenster zum Bad

Ein 10.000-Euro-Umbau von TAKK in Barcelona

Ein 10.000-Euro-Umbau von TAKK in Barcelona

Berliner Dreierlei

Zoniertes Apartment in Friedrichshain von Christopher Sitzler

Zoniertes Apartment in Friedrichshain von Christopher Sitzler

Provokantes Penthouse

Jan Ulmer gestaltet das Loft R in Berlin

Jan Ulmer gestaltet das Loft R in Berlin

Waldbaden in Kanada

Wohnhaus mit Naturerlebnis von Matière Première Architecture

Wohnhaus mit Naturerlebnis von Matière Première Architecture

Haus ohne Namen

Diskreter, fensterloser Neubau in Mexiko von HW Studio

Diskreter, fensterloser Neubau in Mexiko von HW Studio

Moderner Triumphbogen

Gebäudekomplex von Nikken Sekkei in Dubai

Gebäudekomplex von Nikken Sekkei in Dubai

Ein Haus, zwei Gesichter

Refugium in den australischen Bergen von Robbie Walker

Refugium in den australischen Bergen von Robbie Walker

Blick in den Sternenhimmel

Flexibles Ferienhaus von Orange Architects auf Texel

Flexibles Ferienhaus von Orange Architects auf Texel

Patio in London

Pashenko Works erweitert ein viktorianisches Reihenhaus

Pashenko Works erweitert ein viktorianisches Reihenhaus

Belebter Backstein

Mehrfamilienhaus in ehemaliger Textilfabrik in Melbourne

Mehrfamilienhaus in ehemaliger Textilfabrik in Melbourne

Kunstwerke als Mitbewohner

Apartment in Tbilisi von Idaaf Architects

Apartment in Tbilisi von Idaaf Architects

Bunter Community-Space

kupa Kitchen & Working Lounge von Stephanie Thatenhorst in München

kupa Kitchen & Working Lounge von Stephanie Thatenhorst in München