Das Schöne und die Hässliche
Einfachheit trifft Experiment: das Mirror House in Almere.
1975 buchstäblich aus dem Nichts entstanden, ist die niederländische Retortenstadt Almere auf dem Flevoland-Polder bis heute ein ebenso faszinierendes wie umstrittenes Experimentierfeld moderner Stadtplanung. Kaum eine halbe Autostunde von Amsterdam entfernt, bietet sie ein einzigartiges Spektrum zeitgenössischer Architektur. Jüngste Sehenswürdigkeit: The Mirror House von Johan Selbing und Anouk Vogel in der neuen Wohnsiedlung De Eenvoud.
De Eenvoud – Einfachheit – lautete auch das Motto des zur Gründung ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs. Gesucht wurden experimentelle Häuser, die sich durch eine einfache Montage und eine starke Verbindung mit der Umgebung auszeichnen. „Die zwölf Gewinnerteams erhielten die Möglichkeit, ihren Entwurf auf einer Freifläche im Wald von Noorderplassen-West zu realisieren“, erklären die Projektarchitekten, „sie mussten die Käufer der Häuser jedoch selber finden.“
Spieglein, Spieglein...
In der Form extrem reduziert, sticht der flache Riegelbau vor allem durch seine konsequente Fassade aus verspiegeltem Glas hervor. „Diese dient gleichzeitig als Tarnung und als Sichtbarriere“, beschreiben Selbing und Vogel. Tatsächlich scheint das Gebäude dank der Reflexionen mit seiner Umgebung förmlich zu verschmelzen. Die Türen unterscheiden sich lediglich durch ihre schwarzen Klinken vom Rest der homogenen Spiegelfläche. Da die halbdurchlässige Beschichtung nur von außen aufgebracht wurde, genießen die Bewohner von innen einen ungehinderten Ausblick auf ihren Garten und den angrenzenden Wald.
Flexibel und maßgeschneidert
Die Bewohner – eine junge Familie – wurden in die Planung des 120 Quadratmeter großen Bungalows von vornherein einbezogen. „Wir entwarfen den Grundriss so kompakt und flexibel wie möglich“, berichten die Architekten, „im Dialog mit unseren Klienten bearbeiteten wir ihn dann bis ins kleinste Detail.“ Vom Eingang in der Nordfassade aus führt nun ein langer Korridor am Homeoffice und dem offenen Koch-Wohnbereich vorbei bis zu den südlich gelegenen Schlafzimmern mit angrenzendem Badezimmer. Wandhohe Einbauschränke verschließen die zur Straße ausgerichtete Ostfassade, während die westliche Gartenseite komplett offen gehalten wurde. Die langen Sichtachsen und das reichlich einfallende Tageslicht verleihen dem Inneren des Hauses eine unerwartete Weite. Die helle Birkenholzfurniere der Wände und Schränke sorgen hingegen für ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit.
Das Schöne und die Hässliche
Überwog in den Gründungsjahren noch die Euphorie, genießt Almere heute keinen besonders guten Ruf. Das Fehlen einer über Jahrhunderte gewachsenen Struktur sowie der Überdruss an architektonischen Moden macht sie für viele gar zur hässlichsten Stadt der Niederlande. Die großen Prestigebauten der Neunzigerjahre änderten daran wenig. Möglicherweise sind es jedoch die kleinen, individuellen Projekte, die sie wieder attraktiver machen könnten. Das Mirror House lässt hoffen.
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FOTOGRAFIE Jeroen Musch
Jeroen Musch
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