Der Kontext im Kaleidoskop
Das Bard College ist Berlins schönste studentische WG
Die Architektur orientiert sich an Bruno Taut und dem Neo-Bauhaus, das Interior an Gerrit Rietveld und Donald Judd. Programmatisch passt das zu einer Universität, die mit „Liberal Arts“ ein Studium für allgemeine intellektuelle Fähigkeiten anbietet, aber auch zur Lage: Der Campus des Bard College in Berlin-Pankow hat einige ehemalige DDR-Botschaften aus den Siebzigerjahren eingemeindet – etwa Nigeria, Kuba und Ägypten.
Als im September 2021 das neue akademische Jahr begann, fand im Bard College, der „Campus-Universität für Generalisten“, auch ein Umzug statt. Zum ersten Mal wurden die neuen Studentenwohnheime mit ihren 39 Wohnungen von 120 Studierenden belegt. Gestaltet hat sie das New Yorker Architekturbüro Civilian, gemeinsam mit dem Projektmanager DBI Projects. Und das Ergebnis hat wenig mit den funktionalen Furnier-Wohnwelten gemein, die vielen anderen Hauptstadt-Studierenden als temporäres Zuhause dienen. Civilian hat sich bei der Gebäudearchitektur von den progressiven Wohnanlagen Bruno Tauts inspirieren lassen, der in Berlin in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts über 10.000 Wohnungen realisiert hat. Die Hommage zeigt sich in der Wahl der Materialien, bei der kräftigen Farbgebung, im Layout und durch den Anschluss ans Grüne. Denn Taut dachte den Garten stets als selbstverständlichen Teil seiner Siedlungen. Licht, Luft und ein überlegtes Landschaftsdesign bestimmen auch die Lebens- und Lernorte der beiden neuen Backsteingebäude des Bard College.
United States of Pankow
Die Bereiche im Erdgeschoss sind auf eine gemeinschaftliche Nutzung ausgelegt. Dort können die Studierenden sich aufhalten, austauschen und miteinander lernen. Zwischen dem roten und dem grauen Neubau liegt ein begrünter Innenhof, der als Verbindungszone zum Begegnungsort unter freiem Himmel wird – und den historischen Bestand des Geländes anbindet. Als das College seinen Standort 1999 bezog, wurde damit auch eine nachhaltige Umnutzung des ehemaligen Ostberliner Botschaftsviertels vollzogen. Elf Häuser des diplomatischen Quartiers übernahm die Bildungsstätte. Heute befinden sich in den Residenzen, Botschaften und Konsulaten von Marokko, Nigeria, Kuba, Ägypten oder Jemen Seminarräume, Bibliothek, Mensa und sogar ein Studio für die künstlerische Arbeit, die sogenannte „Factory“. Diesem geschichtsträchtigen Stilkosmos soll der bauliche Zuwachs als Echo dienen, ohne sich im historischen Zitat zu verlieren. „Die modernen Fassaden der energieeffizienten Wohneinheiten sind ein Verweis auf das Bauhaus und den Kreuzberger Backstein und zielen darauf ab, die Vergangenheit zu respektieren und gleichzeitig die heutigen Umweltanforderungen zu erfüllen“, erläutert Taun Toay, einer der beiden College-Direktoren.
Stilvoll mit MuFus
Der Campus ist die räumliche Basis für das (recht kostenintensive) Studium – und deshalb darauf ausgelegt, Lernen und Leben möglichst fließend und flexibel ineinander übergehen zu lassen. Die öffentlichen Bereiche der Wohnhäuser bieten verschiedenste Settings zum individuellen und zum kollektiven Arbeiten an, die mal gesellig mit Kaffeebar, mal introspektiv ausgelegt sind. Das Interior setzt dabei auf ein durchgängiges Design mit Anleihen von Tauts gestalterischen Zeitgenossen – wie Donald Judd und Gerrit Rietveld. Viele der multifunktionalen Möbel, die vor allem in den privaten Wohnbereichen eingesetzt wurden, haben die Gestalter*innen von Civilian speziell für den platzsparenden Einsatz in den Zimmern entworfen. Die Betten ruhen auf Schubladen, die als Kleiderkisten dienen und dank einer Klappe zum ausziehbaren Hocker werden können. Wie überlegt Civilian mit dieser kleinen Kollektion aus Birkensperrholz ins Detail und in die Lebenswelt der Studierenden gegangen ist, lässt sich an den Spiegeln sehen: Eine durchgängige Nut ermöglicht, Fotos von der Familie oder dem Freundeskreis anzuklemmen. Ergänzt werden die neuen Entwürfe durch aufgearbeitete Designklassiker der Siebziger- und Achtzigerjahre – eine Reminiszenz an die Betriebsjahre der DDR-Botschaftsgebäude im Neo-Bauhaus-Stil.
Krawall in Blockfarben
Während es in den privaten Wohngemeinschaften farblich ruhig und besonnen zugeht, setzen die öffentlichen Bereiche kühne Nuancen. Wände und Stauraummöbel sind mit Paneelen in Kanariengelb und Kaktusgrün verkleidet, die Sitzmöbel kontrastieren mit ihren Bezügen in Signalrot. Die Farbwahl erzeugt eine stimulierende Arbeitsatmosphäre. „Unser Ziel war es, eine Reihe von soziablen, öffentlichen Lounges in beiden Gebäuden zu schaffen, die sowohl für individuelles Lernen als auch für die Zusammenarbeit geeignet sind, während wir gleichzeitig flexible, private Wohnräume für maximalen Komfort und die persönliche Ausgestaltung entworfen haben", erzählt Nicko Elliott, Mitgründer von Civilian. Auch das Studio hat im Laufe des Projektes vielleicht etwas dazugelernt: Nachdem Civilian die CNC-gefräste, flach zu verpackende und leicht transportierbare Möbelserie für das Bard College entworfen hat, wird das New Yorker Kreativbüro Ende des Jahres seine erste eigene Möbellinie launchen. Unter dem Label Civilian Objects werden „Qualitätsprodukte für Arbeit, Erholung und Entspannung“ vorgestellt. Es könnte gut sein, dass diese Kollektion uns ein studentisches Lebensgefühl voller Flexibilität und Multifunktion auch ins gesetztere Zuhause bringt.
FOTOGRAFIE Robert Rieger
Robert Rieger