Wenn Geschichte Zukunft wird
Umbau und Erweiterung der JUNG Gründervilla in Schalksmühle von NGA
Partner: JUNG
Das beste Bauen ist Weiterbauen. Wer sich davon überzeugen möchte, dem sei ein Besuch der sauerländischen Gemeinde Schalksmühle empfohlen. Dort wurde die JUNG Gründervilla, Stammsitz der Unternehmerfamilie, zu einem multifunktionalen Büro-, Veranstaltungs- und Wohngebäude umgebaut. NGA Nehse & Gerstein Architekten aus Hannover ließen sich dabei von der bewegten Geschichte des Bauwerks leiten und richteten zugleich den Blick in die Zukunft.
In einem einfachen Gewächshaus mit Sheddach hatte auf dem Nachbargrundstück einst alles begonnen. Dort befand sich die erste Produktionsstätte des 1912 gegründeten Unternehmens. 1928 ließ Firmengründer Albrecht Jung das beengte Provisorium nebenan durch neue Produktionshallen samt Direktorenvilla ersetzen. Drei Generationen der Familie Jung bewohnten die Villa bis 2015. Im Laufe der Jahre hat sich einiges verändert: Die Produktionsstätten wurden verlegt, das Walmdach der Villa erhielt schlichtere Gauben, der geometrisch angelegte Garten wurde vereinfacht und ein Garagenhaus kam hinzu.
Alt und Neu im Dialog
Heute steht die Gründervilla fast wieder wie einst als Solitär am Hang über dem Tal von Schalksmühle – mit frischem Anstrich, glänzendem Schieferdach und blitzenden Türbeschlägen. Der Neubau erweitert den Bestand an der Nordseite als rechteckiger, in den Hang gebauter Bungalow, dessen Bodenniveau noch unter dem Keller der Villa liegt. Wer die Auffahrt hinunterfährt, sieht daher zunächst wenig von ihm, obwohl sein Dach direkt im Blickfeld liegt: Als Terrasse erweitert es die Auffahrt in Richtung Tal. Wer das Ensemble von seiner besten Seite erleben will, muss um die Villa herumgehen. Dort, vom Garten aus betrachtet, wird deutlich, was mit dem Projektclaim „Zukunft braucht Herkunft“ gemeint ist.
Die minimalistische Architektur des Neubaus erinnert an die Villenbauten eines Mies van der Rohe, zeigt aber auch Anklänge an den Brutalismus. Der Grundriss, die großzügigen Glasfassaden und die auskragende Kassettendecke mit den vertikal angeordneten Brisesoleils verleihen dem massiven Sichtbeton-Flachdach des Pavillons eine schwebende Leichtigkeit. Das Stahlbetontragwerk ist innenliegend, sodass die Fassaden völlig stützenfrei bleiben. Gleichzeitig wurde der Garten aufgewertet und in die neue Raumstruktur integriert, damit die gesamte Anlage nun als stimmiges Ensemble funktioniert. Bestand und Neubau sind in ihrer Gestalt eigenständig, interagieren aber über subtile Bezüge miteinander.
Wettbewerb und Umbau
Nach dem Auszug des letzten Familienmitglieds stand die Villa zwei Jahre leer. Statt das traditionsreiche Gebäude zu verkaufen, entstand ab 2017 die Idee, dort einen besonderen Unternehmensstandort entstehen zu lassen. Über die Form des Umbaus entschied ein Wettbewerbsverfahren, an dem ausschließlich junge Büros teilnehmen durften, die nicht älter als fünf Jahre waren. Diesen konnte das Büro NGA Nehse & Gerstein Architekten BDA mit einem Beitrag für sich entscheiden, der, laut Jury, den Ort in seiner Ganzheit stärke.
Im Zuge der Sanierung wurde die Villa umstrukturiert, spätere An- und Einbauten rückgebaut. Die ursprüngliche Fensteraufteilung wurde rekonstruiert, historische Details – wie der Bauschmuck an der Fassade oder der historische Handlauf im Treppenhaus – wurden freigelegt und erhalten. Um die unterschiedlichen Niveaus der Bauteile anzugleichen, musste der Bestand durch aufwendige Gründungsarbeiten unterfangen und der Anbau tief in den Hang hineingebaut werden.
Ein Haus, das verbindet
Besucher*innen betreten die Anlage heute wie damals durch den Haupteingang der Villa an der Straßenfront. Der Grundriss blieb weitgehend erhalten, das Raumprogramm ist jedoch neu: Das Erdgeschoss ist öffentlichen Funktionen gewidmet. Dort befinden sich mehrere Empfangsräume und ein Konferenzsaal, alle mit großen Fenstern zum Garten und Blick ins Tal. Vereinzelte Details erinnern an die Geschichte des Ortes. So ist etwa die pastellgrüne Wandfarbe eine Reminiszenz an die früheren farbenfrohen Interieurs der Familie Jung. Eine klare Formensprache bestimmt den Eindruck mit bis ins Detail durchdachten, edel gearbeiteten Einbauten. Besonders repräsentativ sind die drei Flügeltüren, die vom ersten in den zweiten Empfangsraum führen und in geöffnetem Zustand nahtlos mit der Wand abschließen. Im Gartengeschoss der Villa sowie im Obergeschoss befinden sich Büroräume, die von Mitarbeiter*innen oder Gästen genutzt werden können.
Architektonische Nahtstellen
Bauen im Bestand ist dort besonders spannend, wo Alt und Neu aufeinandertreffen. NGA hat deshalb die innere Nahtstelle als architektonisches Statement gestaltet. Über ein fast skulptural anmutendes Stahltreppenhaus, das sich in wohlproportionierten Schwüngen vom Empfangsraum bis ins Untergeschoss windet, gelangen die Besucher*innen in den Neubau. Obwohl man ins Untergeschoss hinabsteigt, öffnet sich der Raum: Das tiefere Bodenniveau sorgt für eine großzügigere Raumhöhe – erhellt durch Oberlichter, die sich als Lichtfuge bis zum hangseitigen Ende des Neubaus erstrecken.
Während der Altbau noch von glatten, gestrichenen Wänden geprägt ist, taucht man im Neubau in eine Welt aus Sichtbeton und dunkel gebeizten, fast schwarzen Oberflächen ein. Durchdachte Details zelebrieren den Übergang und das harmonische Zusammenspiel von Alt und Neu: Das Eichenparkett aus dem Altbau „fließt“ über die Treppe in den Neubau, wo es von dunkelbraun gestrichenem Estrich abgelöst wird. Die Materialien greifen ineinander, als würden sich Alt und Neu symbolisch die Hand reichen. Das Leitsystem an den Wänden spiegelt subtil die Baugeschichte wider: Alle Bereiche im Altbau sind im Pastellgrün der dortigen Wandfarbe gehalten, die Räume im Neubau im Dunkelbraun der dortigen Einbauten.
Poesie des Betons
Die Einbauten aus hochwertigem Holz mit markanter Maserung fügen sich harmonisch in die rohe Haptik des Ortbetons ein. Dieser besteht im Inneren aus Normalbeton und im Bereich des konstruktiven Sonnenschutzes aus Leichtbeton. Beide Betonsorten tragen die Spuren der Holzschalung und wurden aufwendig bemustert, um farblich möglichst genau den Renderings des Entwurfs zu entsprechen. Den fast sinnlichen Charakter des Sichtbetons haben die Architekt*innen in der „Schaltzentrale“ – so der interne Name des Neubaus – gekonnt in Szene gesetzt: Das Dach ruht auf nur drei zentralen Stützen in Form von tragenden Kernen, die eine Bar und eine Besprechungsnische aufnehmen. Die dritte Stütze steht mitten im großen Saal und bricht bewusst mit der strengen Geometrie. Sie hat einen konischen Querschnitt, der nicht nur ästhetischen Zwecken dient, sondern auch die Lastabtragung der weit auskragenden Kassettendecke unterstützt.
Die kühne Konstruktion ermöglicht geschosshoch verglaste Schiebetüren mit filigranen Profilen aus dunkel pulverbeschichtetem Aluminium. Bodenschwellen gibt es nicht, die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich verschwimmt.
Technik im Hintergrund
JUNG setzt in der Gründervilla auf modernste, intelligente Gebäudetechnik, ohne dabei in Technikverliebtheit zu verfallen. Das Ensemble wird mit Luftwärmepumpen beheizt und gekühlt, die Steuerung erfolgt über KNX-Raumthermostate. Ein zentrales Kompaktlüftungsgerät mit Wärmerückgewinnung versorgt den Neubau, während die Villa weitgehend natürlich belüftet wird. Die gesamte Gebäudeautomation, die über einen Smart Visu-Server gesteuert wird, umfasst 490 Geräte, darunter Schalter, Raumregler und KNX-Präsenzmelder der Programme LS 990 im Neubau und LS ZERO im Altbau. Letztere fügen sich durch ihr flächenbündiges Design besonders gut in die klare Formensprache ein. Für die Schalter und Steckdosen im Erdgeschoss wurden passend zu den Raumfarben Töne aus der Serie Les Couleurs® Le Corbusier verwendet. Darüber hinaus wurden auf dem Dach der Villa Photovoltaikmodule mit Batteriespeicher installiert, die zwei Wallboxen für Elektrofahrzeuge speisen.
Auch im Hinblick auf eine nachhaltige Zukunftsperspektive wurde das Gebäude bewusst nicht mit Technik überfrachtet. Im Vordergrund standen maximaler Lichtkomfort, Energieeffizienz und Sicherheit. JUNG hätte problemlos eine Hightech-Showcase-Architektur schaffen können, gerade im Spannungsfeld zwischen Alt und Neu hätte es reizvolle „Clash-Momente“ gegeben, in denen die Zukunft auf die Vergangenheit trifft. Aber genau das war nicht das Ziel. Die Gründervilla versteht sich nicht als Showroom, sondern als Raum für Gemeinschaft, Kultur, Geschichte und Business. „Es ging nie darum, die Villa als Hightech-Gebäude zu inszenieren. Vielmehr stehen Handwerk, Tradition, Materialien, Authentizität und Zukunftsfähigkeit im Vordergrund“, resümiert Philipp Nehse von NGA und spiegelt damit ganz nebenbei das Selbstverständnis der Marke JUNG wider.
FOTOGRAFIE Henrik Schipper Henrik Schipper
JUNG
Pioniergeist trifft pures Design. Seit über 100 Jahren steht JUNG für Qualität, Design und Fortschritt. Licht, Beschattung, Klima, Smart Home Systeme –die Funktionsvielfalt der JUNG Lösungen deckt alle Bereiche einer modernen Elektroinstallation ab. Weltweit in über 70 Ländern vertreten, vereinen wir präzise gefertigte, langlebige Produkte „Made in Germany“ mit einzigartigem architektonischem Design, hochwertigen Materialien und einfacher Bedienbarkeit.
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