Sprechende Wände
Paul Smith blickt auf das Werk von Pablo Picasso
Der Londoner Modedesigner Paul Smith ist anlässlich des 50. Todestages von Pablo Picasso nach Paris gereist. Im dortigen Musée National Picasso schlüpfte er in die Rolle eines Co-Kurators für die Ausstellung Picasso Celebration – The Collection in a new Light! Die Kunst tritt nun in einen Dialog mit farbenfrohen Wänden und Tapeten.
Alles ist eine Frage der Perspektive. In der Kunst hat sich seit knapp 100 Jahren der Tunnelblick durchgesetzt. Weiße Wände, schmucklose Decken: Nichts soll im White Cube von den ausgestellten Arbeiten ablenken. Dass diese Betrachtungsweise nicht nur einseitig, sondern vielleicht auch ein wenig langweilig ist, beweist das Musée National Picasso in Paris. Picasso Celebration – The Collection in a new Light! heißt die Ausstellung zum 50. Todestag des Künstlers, die ganz bewusst nicht nur in der Vergangenheit schwelgen soll.
Heutiger Zugang
Arbeiten zeitgenössischer Künstler*innen wie Guillermo Kuitca, Obi Okigbo, Mickalene Thomas und Chéri Samba sollen neue Zugänge zu Picassos Werk eröffnen, genau wie die räumlichen Interventionen von Paul Smith. Der Londoner Modedesigner ist bekannt für seinen beherzten Griff in die Farb- und Musterkiste, wodurch er vor allem der sonst eher grauen Männermode wichtige Impulse versetzt. Doch Smith erkundet gerne auch andere Disziplinen. So hat er 2022 eine Möbelkollektion für DePadova entworfen und für sein eigenes Label die erste Homeware-Kollektion mit Kissen, Decken oder Handtüchern vorgestellt. Kurzum: Smith hat ein Händchen fürs Räumliche. Und genau an dieser Stelle beginnt der Dialog mit Picasso.
Kommunikative Raumgrenzen
Über 5.000 Werke besitzt das Nationalmuseum, die fast der gesamten Laufbahn des am 7. April 1973 verstorbenen Künstlers entspringen – von Malerei und Skulptur bis hin zu Zeichnung, Gravur und Keramik. Paul Smith lässt die Arbeiten nicht nur für sich allein sprechen. Er nutzt die Wände des Museums als Verstärker. Die Aktivierung der Oberflächen erfolgt durch Farbe oder Tapeten. Mitunter kommen auch keramische Elemente hinzu. „Die neue Hängung ist eine spielerische und fröhliche Einladung, alle kreativen Bereiche Picassos durch den scharfen und schelmischen Blick eines großen zeitgenössischen Schöpfers neu zu entdecken“, sagt die Museumsdirektorin Cécile Debray, die die Ausstellung zusammen mit Paul Smith kuratiert hat.
Lebendige Wirkung
Natürlich dürfen Streifen nicht fehlen – schließlich sind sie das Markenzeichen des britischen Designers. In vertikaler Ordnung sind sie mit breitem Pinsel aufgetragen, in Grün, Gelb oder Blau, stets eine Farbe pro Wand. Die jeweilige Nuance ist aus dem davor hängenden Gemälde entnommen. Der Clou: Die Streifen changieren in der Deckkraft der Farben und lassen eine ungenaue und damit umso lebendigere Wirkung zu. An der Decke eines Raumes hängen Stoffe, die an die gestreiften Hemden der bretonischen Fischer erinnern – und damit auch eines von Picassos liebsten Kleidungsstücken zitieren.
Unikat und Serialität
In einem anderen Saal greift ein blau-gelbes Rautenmuster eines der Hauptwerke der Sammlung auf: Das Gemälde Paul als Harlekin aus dem Jahr 1924, das Picassos dreijährigen Sohn im namensgebenden Kostüm zeigt. Ganz anders der Raum mit den Keramiken. Zwölf von Picasso bemalte Teller wurden in drei Reihen an die Wand gehängt – eingebettet in ein Raster aus weißen Speisetellern, die alle Wände des Raumes bespielen. In ihrer Serialität und Neutralität bilden sie einen spannungsvollen Kontrast zu den Originalwerken. In einem anderen Raum sind die Wände mit Ausstellungsplakaten tapeziert – als Verweis auf die unzähligen Solo-Schauen, die Picasso als meistausgestelltem Künstler des 20. Jahrhunderts noch zu Lebzeiten gewidmet wurden.
Instinktiver Ansatz
Einen weiteren Saal hat Paul Smith mit Blumentapeten versehen, wobei jede Bahn ein anderes Muster und Farb-Schema zeigt – als Sinnbild für die Werkgruppe der Assemblagen und Collagen. „Ich habe versucht, Picassos Werk auf eine weniger konventionelle Weise zu betrachten und eine visuelle Erfahrung zu schaffen, die für ein jüngeres Publikum und ein Publikum, das nicht viel über das Werk dieses großen Meisters weiß, interessant ist. Es ist ein eher spontaner und instinktiver Ansatz“, sagt der Modedesigner. Er macht Schluss mit der sakralen Überhöhung im White Cube. Die Kunst wirkt nahbarer, weniger entrückt. Die Wände stehlen den Exponaten nicht die Show. Sie verstärken vielmehr die Erfahrung – auf einfache, zugleich raffinierte und nicht immer ganz ernst gemeinte Weise.
Picasso Celebration – The Collection in a new Light!
Noch bis zum 27. August im Musée National Picasso Paris
FOTOGRAFIE Vinciane Lebrun Vinciane Lebrun