Dialog zwischen den Zeiten
Eine Tudor-Villa mit Annex von Atelier Barda
Alles sollte bleiben wie es ist – und eben nicht. Bei der Modernisierung einer geschichtsträchtigen Villa im kanadischen Hampstead bauten die Architekt*innen von Atelier Barda unauffällig an und um. Sie erhielten die Fassade, entwarfen einen gut getarnten Anbau – und holten durch die Auflösung des historischen Layouts jede Menge Licht und Luft ins Innere.
Als 1914 in Kanada eine Stadt namens Hampstead gegründet wurde, diente das gleichnamige und wohlhabende Londoner Stadtviertel als Vorbild. Deshalb wurde die Québecer Version als Gartenstadt geplant und entwickelte sich schnell zu einem noblen Vorort von Montréal. Und obwohl Hampstead heute zu drei Seiten von der Millionenstadt umschlossen ist, bleibt die kleine Gemeinde eine eigene Enklave mit Stolz auf ihre Geschichte. Um den historischen Bestand und seine architektonischen Qualitäten zu bewahren, hat Hampstead verhältnismäßig strenge Regularien in Bezug auf Modernisierungen. Als dort eine Familie ihre freistehende Villa im Tudor-Stil an ihre Lebensumstände anpassen wollte, mussten einige bauliche Vorgaben, wie der Erhalt der straßenseitigen Fassade, berücksichtigt werden. Die Planung übernahm das Architekturbüro Atelier Barda, das ebenfalls in Montréal ansässig ist und sich einen sensiblen Umgang mit Raum und Bestand auf die Fahnen geschrieben hat.
Von der Vergangenheit in die Zukunft
Fast hundert Jahre nach dem Bau des Hauses, das 1927 errichtet wurde, wollte der Grundriss einfach nicht zur Lebens- und Nutzungsweise einer großen Familie passen. Er war in viele kleine Räume unterteilt und sah keine großzügigen Gemeinschaftsflächen vor, zudem ließ das komplexe Layout das Tageslicht nur in die fensternahen Bereiche einfallen. Das Konzept von Atelier Barda schafft den Spagat zwischen dem Erhalt der Fassade und der Transformation des Inneren. Die Nachbarn haben von den Veränderungen kaum etwas bemerkt. Lediglich die Fenster und ein paar Säulen der Frontfassade wurden ersetzt, um die Harmonie im städtebaulichen Kontext nicht zu stören. Alle größeren Eingriffe wurden exakt so platziert, dass sie beim Blick aus dem öffentlichen Raum auf das Grundstück nicht unmittelbar erkennbar sind. Der Fokus lag somit auf der Rückseite, wo sich jetzt ein Anbau hinter dem Volumen des Hauses versteckt.
Von vorne nach hinten
„Die Hinterhöfe dieser Häuser haben, historisch gesehen, eine untergeordnete Rolle gegenüber den Vorgärten und Fassaden gespielt. In gewisser Weise ist unser Ansatz für dieses Projekt eine Kritik an dieser Rhetorik“, erläutert das Team von Atelier Barda. Der gestalterische Aktionsraum hinter den frontalen Sichtachsen gab den Architekt*innen die Möglichkeit, die Materialien ohne Rücksicht auf die strengen Bauauflagen zu wählen. Dabei entschieden sie sich für eine konsequent dunkle Farbpalette, die den 34 Quadratmeter großen Annex wie einen Schatten hinter dem Bestand zurücktreten lässt. Das Dach wurde mit Kupferplatten belegt und die Fassade mit dunkel abgeflämmtem Holz bekleidet. Eine Technik, für die man sich nicht nur aus ästhetischen Gründen entschied, sondern auch aus funktionalen: Das gebrannte Naturmaterial bildet eine natürliche Schutzschicht gegen die Elemente.
Von der Küche in den Garten
Den Kontrast zwischen Alt und Neu haben die Architekt*innen und die Familie auch auf das Interior übertragen. Ganz bewusst sollte der Charme des Historischen erhalten bleiben und dabei auf moderne Elemente treffen, die sich nicht in den Vordergrund stellen. Zum Stil der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts gehörten dunkle Bodendielen und Türen aus Holz. Im Annex liegt der Beton blank – in Form eines polierten Terrazzo-Bodens. Dennoch entstehen ästhetisch keine Reibungen, vielmehr fließen die Elemente ineinander. Zum Zeitgenössischen des Ambientes zählen auch die monolithische Terrazzo-Kücheninsel und das rahmenlose Panoramafenster. Mobiliar wie historische Thonet-Freischwinger und ein rustikaler Holztisch erzählen von der Vergangenheit der Villa. „Das Projekt respektiert die historische Essenz und die ursprünglichen Merkmale des Hauses, bietet der Familie aber ein Ambiente, das besser in die Gegenwart passt", so die Architekt*innen abschließend. „Es vereint das Beste aus beiden Welten, wobei der hintere Teil des Hauses nun in einen modernen und entspannten Raum mit Blick auf den Garten umgewandelt wurde."
FOTOGRAFIE Maxime Desbiens und François Olivier-Gouriou
Maxime Desbiens und François Olivier-Gouriou