Die perfekte Welle
Wohnhaus von Omer Arbel in Vancouver fertiggestellt

Was kommt dabei heraus, wenn ein renommierter Künstler und Leuchtendesigner wie Omer Arbel mit Beton experimentiert? Ein Einfamilienhaus mit sakral anmutenden Innenräumen, das dank seiner skulpturalen Säulen ein bisschen an Gaudis Sagrada Família erinnert.
Beton gilt gemeinhin als Inbegriff des Soliden und Lieblingsmaterial des Brutalismus. Der Designer und Künstler Omer Arbel wollte zeigen, dass sich damit mehr bauen lässt als nur gerade Wände. Er entwickelte ein Verfahren, bei dem Beton langsam in eine zwischen radial angeordneten Sperrholzleisten gespannte Gewebeschalung gegossen wird. Durch diesen Prozess härtet der Beton während der Gießdauer kontinuierlich aus, der hydrostatische Druck im Sockelbereich wird reduziert und horizontale Kaltfugen vermieden. Das Stoffgewebe kann hinterher leichter entfernt werden und der Beton nimmt die plastische Natur des Materials an. Das Ergebnis sind organisch anmutende, trichterförmige Säulen, die sich nach oben ausstülpen. Die sogenannten „Seerosenblattsäulen“ oder Lily Pads waren bereits Thema von Skulpturen, die der Kreativchef des Leuchtenlabels Bocci entworfen hat. Sie spielen bei seinem ersten Einfamilienhaus-Projekt eine wichtige Rolle und waren der Ausgangspunkt seines Entwurfs.
Bepflanzte Bauten
Omer Arbel behandelte die vom Gewebe geformten Säulen so, als hätte er sie als archäologische Ruinen auf dem einstigen Feld südlich von Vancouver vorgefunden. Auf dem Baugrund in Alleinlage hat er sie durch vier doppelhohe Volumen aus Glas und Zedernholz ergänzt. Dazwischen scheinen sich aus der Wiese grüne Hügel zu erheben. Sie verbergen die Verbindungsgänge des Hauses. Aus den Trichtern der Säulen wachsen Magnolienbäume, die sich über den begrünten Dächern entfalten. So scheint die Architektur mit der Landschaft zu verschmelzen, ja sie sogar zu erweitern.
Kontrastreiche Materialien
Besonders natürlich wirkt das Wohnhaus 75.9 durch die unterschiedlichen Höhen und Positionen der Säulen. Im Inneren erzeugen sie – vor allem im Zentrum des Hauses – ein organisches Raumgefühl. Das zweigeschossige Wohnzimmer mit dem Essbereich und der offenen Küche befindet sich unter dem Baldachin einer Säule, die den Raum gliedert. Sie verleiht dem Raum eine sakrale Wirkung, die entfernt an Gaudis Sagrada Família erinnert. Die raue, strukturierte Oberfläche steht im Kontrast zu den polierten Betonböden. Holzeinbauten und -möbel schaffen eine warme Atmosphäre. Ein Bezug zur Natur entsteht durch den Blick in den üppig bepflanzten, japanisch inspirierten Innengarten. Keine Überraschung ist die Auswahl der Beleuchtung: Pendelleuchten von Bocci tauchen das Haus in ein warmes Licht. Das Label ist in Vancouver und Berlin ansässig und wurde von Arbel mitgegründet.
Gebaute Kunst
Omer Arbel unterstreicht die Bedeutung, die das Projekt für sein Studio hat. Zum ersten Mal in seiner Karriere als Designer und bildender Künstler finde bei dem Entwurf des Hauses 75.9 sein prozessbasierter Designansatz auf architektonischer Ebene Anwendung. Architekturmodelle des Baus waren bereits in seinen Ausstellungen zu sehen. Er sieht ihn als Rückbesinnung auf eine analoge Materialität in einer Zeit, in der fast alles gebaut werden kann. „Wir versuchen, Systeme in Gang zu setzen, bei denen das Material die Form bestimmt, die es annimmt“, beschreibt er den Ansatz seines Studios.
Diese raue Materialität zeichnet das erste Einfamilienhaus von Omer Arbel aus und gibt ihm eine einzigartige Atmosphäre, die man von außen kaum vermutet. Es ist ein begehbares Kunstwerk, in dem es sich außerdem gut leben lässt.
FOTOGRAFIE Fahim Kassam, courtesy of Bocci
Fahim Kassam, courtesy of Bocci
Projektname: | 75.9 |
Projektname: | Omer Arbel |
Ort: | British Columbia, Canada |
Fertigstellung: | 2017 - 2023 |
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