Die Poetik des Raumes
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„Jede Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge“ wird Jean-Luc Godard auf der „Three Acts“-Schachtel von Aesop zitiert. Der Gründer der australischen Kosmetikmarke Dennis Paphitis ist ein bekennender Bücherwurm, weshalb seine Produkte mit Sinnsprüchen von Autoren wie Gustave Flaubert und Mae West versehen sind. Aber die Zitate großer Autoren sind mehr als nur Ausdruck seiner Vorliebe für Bücher. Ebenso sind sie Teil einer Einstellung, die sich primär mit Inhalten auseinandersetzt. So geht es Paphitis nicht nur um die Bedürfnisse der Haut, sondern um ein ausgewogenes Leben als Ganzes. Hierzu zählen ein regelmäßiger Literaturgenuss, gute Ernährung, regelmäßige Bewegung und intelligentes und wohlüberlegtes Design.
Genau dies hat auch die britische Designerin Ilse Crawford von „studioilse“ in Aesops erster Dependance in London realisiert. Versteckt zwischen eleganten roten Backsteinfassaden liegt die von ihr entworfene Boutique in Mayfair. Es gibt kein Logo über der Tür; der Name ist nur mit Mosaiksteinen in die Türschwelle eingelegt. Das Innere des Geschäfts selbst ist klein, ein einzelner Raum, der warm und einladend wirkt. Mit gedeckten Farbnuancen und natürlichen Materialien bietet es einen optimalen Hintergrund für die Präsentation der in Medizingläsern verpackten und monochrom beschrifteten Artikel.
Individuelle Vereinfachung
Aesops Fokus liegt auf der Gesichtspflege, der Ursprung liegt jedoch woanders. 1987 betrieb Dennis Paphitis noch einen Haarsalon in Melbourne. Für diesen begann er eine eigene Produktlinie zu entwickeln – zunächst nur für die Haare, dann für Hände und Körper und schließlich für das Gesicht. Mittlerweile ist Aesop auch außerhalb Australiens bekannt. Doch es sind nicht nur die Inhalte, die diese Marke zu einem Erfolg machen; es ist die besondere Einstellung, Kosmetikprodukte zu verkaufen. Im Gegensatz zu den meisten Herstellern verspricht Aesop keine ewige Jugend, der Ansatz ist viel einfacher: Mit hochwertigen und natürlichen Inhaltsstoffen soll die Haut optimal genährt und behandelt werden – und dies mit möglichst wenigen Produkten. Diese Simplifizierung spiegelt sich sowohl in der schlichten Gestaltung der Verpackungen als auch der Geschäfte wieder, die jeweils individuell konzipiert und gestaltet werden – passend zur Nachbarschaft.
Zeitgemäß und Zeitlos
So hat Ilse Crawford bei der Renovierung des viktorianischen Gebäudes in der Mount Street dessen ursprüngliche Merkmale neu belebt. Betritt man heute den Laden, wird man von einer zeitgemäßen und dennoch zeitlosen Kulisse empfangen, die mit den in grünlichem Grau gefärbten Wänden sehr englisch wirkt, jedoch nichts mit der verstaubten Chintzanmutung vieler britischer Interieurs zu tun hat. Das Fischgrätparkett ist noch original, es wurde aufgearbeitet und rau patiniert. Die alten Kamine wurden wieder freigelegt. Ebenso wurde die Wendeltreppe aus schwarz lackiertem Metall, die zum Büro und Lagerraum ins Untergeschoß führt, restauriert. Hinzu addierte Ilse Crawford neue Elemente. Um den Raum größer erscheinen zu lassen, ließ sie eine Wand verspiegeln und die hohen Decken wieder freilegen. Von diesen hängen fünf gläserne „Selene“-Leuchten des Münchner Möbelunternehmens Classicon herab. Ein antiker goldener Spiegelschrank dient als Ablage für Aesops Produkte ebenso wie die an den seitlichen Wänden angebrachten Regale. Mittelpunkt des Geschäfts ist ein großes Waschbecken aus den 1930er Jahren, denn es reflektiert mit dem Ritual des Waschens den Schwerpunkt des Unternehmens.
Emotionale Raumgestaltung
Wie alle Interieurs von Ilse Crawford strahlt auch die kleine Londoner Boutique etwas Heimeliges und Intimes aus. Die 1962 geborene und in London ansässige Designerin hat sich schon während ihrer Zeit als erste Chefredakteurin der britischen „Elle Decoration“ einen Namen für ihren eklektischen Stil gemacht. Schon damals lag ihr das Menschliche im Design am Herzen. Daher benutzt sie auch heute noch für ihre Arbeiten hauptsächlich warme Farbtöne und natürliche Materialien und kombiniert existierende Architekturelemente mit Designklassikern und Fundstücken von Flohmärkten. Ihre Projekte haben weniger einen charakteristischen Stil, sondern vermitteln vielmehr ein Gefühl. Dieses setzt sich extrem mit dem Ort auseinander, ist dabei tief mit ihm verwurzelt und versucht seine „Seele“ zu finden, um sie zu reflektieren.
Eben so wie die elegante Aesop-Boutique in Mayfair, die sich gestalterisch der exklusiven Nachbarschaft anpasst, ohne an eigener Identität zu verlieren. Damit passt der Gestaltungsansatz von Crawford zu Aesops Einstellung.
FOTOGRAFIE Lisa Cohen
Lisa Cohen
Links
Aesop
www.aesop.net.austudioilse (Ilse Crawford)
www.studioilse.comMehr Projekte
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