Egoistisches Kollektiv: Wohnhaus in Japan
In diesem Wohnhaus wurden einige Planungsstandards auf den Kopf gestellt.
Wie kaum eine andere Kultur hat die japanische in den letzten Jahrzehnten ihre eigene Form des Zusammenlebens entwickelt, in der sich die Grenzen zwischem dem Öffentlichen und Privaten sowie außen und innen immer mehr auflösen. Das architektonische Ergebnis sind einige der bedeutendsten Wohnhäuser unserer Generation. Jun Igarashi liefert mit dem House D ein weiteres realisiertes Beispiel dieser neuen Baukultur.
Das Haus steht an einer Straßenecke im japanischen Asahikawa, einer Stadt, die keine hundert Jahre alt ist – und die geprägt ist durch die Architektur der Moderne und metabolistische Bauexperimente der Fünziger- und Sechzigerjahre. Hier fand Igarashi einen seiner konzeptionellen Anknüpfungspunkte.
Raum auf Raum
Die ersten Studien des Architekten versuchten noch, das gewünschte Raumprogramm in ein konventionelles, rechteckiges Raster zu pressen. Doch die Idee eines standardisierten Baukörpers verwarf Igarashi schnell, als er realisierte, dass durch diese Art der Organisation zu viel wertvolle Fläche der Zirkulation geopfert wird. Stattdessen behandelte er jeden Raum als Einzelstück und platzierte ihn an der für seine Funktion und Nutzung optimalen Stelle auf dem Grundstück. So richteten die Planer die Küche auf einen kleinen Baumgarten aus und dockten an einer Seite das Esszimmer und an der anderen Seite den Badbereich an, der sich in der abgelegendsten Ecke des Anwesens befindet. Diesem Prinzip folgend, reiht sich im House D wie bei einer Perlenkette Raum an Raum und Funktion an Funktion. An den Schnittstellen platzierten die Planer Übergänge, die ohne Tür auskommen und eine ungestörte Zirkulation ermöglichen.
Ehrliche Materialien
Nicht nur das Raumprogramm folgt diesem individuellen Zuschnitt: Jedem einzelnen Volumen wiesen die Architekten eine eigene Höhe und Proportion zu. Dadurch schufen sie – innen wie außen – eine Art architektonischer Landschaft. Mal stecken die Räume bis zur Hüfte im Erdreich, mal liegen sie obenauf. Im Inneren sorgen zudem Doppelgeschosse für eine zusätzliche vertikale Zergliederung des Neubaus, die ebenfalls der Idee einer gebauten Natur folgt. Jun Igarashi unterstützt dieses Motiv durch den Einsatz eines reduzierten und ehrlichen Materialkanons: Beton, verputztes Mauerwerk und Holz sind Teil der Konstruktion und zugleich optischer Rahmen dieser Architektur. Als Verbindung der Zwischengeschosse dienen Leitern: Auf insgesamt 95 Quadratmetern gilt es keinen Platz zu verschenken.
Urbaner Organismus
Im Außenbereich bildet der Baukörper durch seine gezackte und unregelmäßig verlaufende Gebäudekante eine Vielzahl kleiner, hofartiger Situationen und Zwischenbereiche aus. Wie eine Ministadt steht das House D inmitten der Einfamilienhäuser und verschränkt sich mit seiner Umgebung. „Das Ergebnis ist,“ erklärt Igarashi, „dass das Innen zum Außen, und das Außen zum Innen wird. So bildet das Haus eine komplexe Beziehung mit seinem direkten Umfeld.“ Damit steht der Bau auch in der Tradition metabolistischer Architektur, von der es in Asahikawa einige realisierte Beispiele gibt. Die japanische Bewegung betrachtete die Stadt als urbanen Organismus, der einem organischen Lebenszyklus folgt und eine Einheit aus Architektur und Natur bildet. Und genau das gelingt dem House D von Jun Igarashi auf subtile Art und Weise.
FOTOGRAFIE Sergio Pirrone
Sergio Pirrone