Ein Haus, das aus der Reihe tanzt
Stadthaus in Belgien von Poot Architectuur
Ein Stadthaus in der belgischen Kleinstadt Mortsel bringt Schwung in ein ganzes Viertel: Anders als die braven Backsteinfassaden der flämischen Midcentury-Nachbarn wölbt sich seine Front mutig zur Straße hin. Auch die Fenster und die roten Klinkersteine sind neuartig gesetzt. Dieses Gebäude bietet auf 190 Quadratmetern Raum für viele moderne Ideen.
Das Benedictus ist ein Haus, an dem man hängenbleibt. Wirft man nur einen kurzen, flüchtigen Blick darauf, ist der Unterschied vielleicht gar nicht zu erkennen. Doch sieht man genauer hin, so wird schnell klar, dass es sich hier um besondere Architektur handelt. „Die bauliche Umgebung ist typisch flämisch und typisch für die Fünfziger- und Sechzigerjahre“, erklärt Sarah Poot vom gleichnamigen Antwerpener Architekturstudio. „Hier gibt es hauptsächlich Einfamilienhäuser aus rotem Backstein mit horizontalen Fenstern. Gelegentlich mal einen Erker.“ Doch das Team von Poot Architectuur wollte sich dieser Eintönigkeit nicht beugen. Und brachte Schwung ins Design.
Tradition trifft Moderne
Für die Neuinterpretation eines zweistöckigen Reihenhauses wölbten die Architektinnen die vordere Fassade nach außen, ebenso wie den Anbau hinten, der sich zum Garten ausdehnt. Um diese Form zu konstruieren, wurden die roten Backsteine nicht – wie sonst üblich – in horizontaler Bauweise, sondern vertikal aneinandergereiht. „Der Bogen gibt dem Erker eine neue Bedeutung“, sagt Poot. „Gleichzeitig ist er das Resultat einer Formensprache, die sich aus der zentralen, ovalen Treppe ergibt, die die Fronten nach außen schiebt.“
Offenes Konzept
Die massive Sichtbetontreppe, die fast mittig im offenen Wohnraum steht, ist das verbindende Element im Inneren des Hauses. Ihre zentrale Lage in Kombination mit geteilten Ebenen ermöglicht es, dass das Haus gänzlich ohne Flure auskommt: Jeder Raum wird über einen Treppenabsatz erschlossen. Der offene Wohnbereich ist auf zwei Ebenen aufgeteilt. Dort findet das Familienleben in all seinen Formen statt: Die Bewohner*innen können dort lesen, spielen, essen, Hausaufgaben machen. In der oberen Etage sorgen die Schlafräume und ein zusätzliches Arbeitszimmer für Abgeschiedenheit und Ruhe. Um das große Wohnzimmer optisch zu strukturieren, senkten die Architektinnen den Betonboden vor dem Fenster nach unten ab. Darin schimmert wie ein kleiner Teich ein jadegrüner Teppich, auf dem sich das Licht von außen bricht. Es ist ein gemütlicher Platz zum Entspannen auf dem Sofa.
Großzügige Anmutung
Wie alle Einbauten im Haus ist auch die rote Holzküche mit grüner Marmorplatte eine Maßanfertigung. Über ihr thront – fast sakral – der Dunstabzug. „Eine klassische Abzugshaube hätte in Proportion zur Größe des Raums lächerlich gewirkt“, erklärt Sarah Poot. „Also haben wir beschlossen, sie bewusst zu vergrößern.“ So öffnet sie nun, ähnlich wie das große Fenster zur Straßenseite, den Raum nach oben. „Wir hielten es für notwendig, ein sehr geräumiges Design zu entwerfen, das sich nirgendwo klein oder eng anfühlt. Das Übermaß an Höhe schafft eine gewisse Großzügigkeit.“
Alles fließt
Das zentrale Gestaltungselement des Hauses, die runde Linienführung, schwingt nicht nur außen, sondern auch im Inneren mit: Etwa im Badezimmer, wo eine gebogene Mauer in Zitronengelb die Dusche von der Sauna abtrennt. Die Waschbecken sind kreisrund geformt, das Fenster über der Badewanne sieht aus wie ein riesiges Osterei. Die ovalen Formen sorgen für Kontinuität und Fluss im Grundriss ohne störende Elemente. Das „konvexe Haus“, wie die Anwohner*innen den Bau inzwischen nennen, ist in Mortsel übrigens in aller Munde. „Die Reaktionen sind äußerst positiv. Das Haus wird von Architekturstudent*innen und Neugierigen häufig besucht“, erzählt Poot. „Und es wurde bereits für den belgischen Baupreis nominiert.“ Kluge Architektur vermag es eben, sich stimmig einzufügen. Und das Auge trotzdem ein bisschen zu überraschen.
FOTOGRAFIE Stijn Bollaert Stijn Bollaert